„Obwohl irakische Spezialeinheiten sich dem türkischen Manöver an der Grenze zum Irak angeschlossen haben und Erdoğan erklärt hat, es lägen sämtliche militärischen Optionen auf dem Tisch, ist es unwahrscheinlich, dass die Türkei sich zur Bekämpfung Barzanis und der Kurdischen Regionalregierung (KRG) auf einen großangelegten Militäreinsatz im Irak einlassen wird. Wahrscheinlich wird es höchstens zu einigen gezielten Operationen gegen die verbotene Kurdische Arbeiterpartei (PKK) kommen, die das Referendum trotz ihrer Rivalität mit Barzani unterstützt hat. Erdoğan hat Barzani aufgefordert, ‚diesen Fehler rückgängig zu machen’ und nicht als ‚Werkzeug von Mächten, die der Region fremd sind’ zu agieren. Hierbei handelt es sich aber wohl nur um politische Rhetorik. Sollte Barzani allerdings noch einmal erklären, dass ‚wir die kurdische Unabhängigkeit nicht von einem Tag auf den nächsten erklären werden’, würde dies Erdoğan innenpolitisch durchaus helfen.
Die Drohung des türkischen Präsidenten vom 26. September, es würden keine türkischen Lastwagen mehr nach Irakisch-Kurdistan fahren, so dass ‚sie nichts zu essen haben werden’, birgt innen- und außenpolitische Risiken. Erstens widersprechen derartige Drohungen der humanitären Haltung, mit der die Türkei syrischen Flüchtlingen seit Beginn des Bürgerkriegs begegnet ist. Sie widersprechen auch der humanitären Haltung, die die Türkei den irakischen Kurden gegenüber einnahm, die nach dem Halabja-Massaker von 1988 und während des Golfkriegs von 1991 vor Saddam Hussein flohen. Außerdem bestehen Verwandtschaftsverhältnisse zwischen Millionen Kurden beiderseits der irakisch-türkischen Grenze, so dass die Ausführung derartiger Drohungen ihnen allen schaden würde. Schließlich erhält die regierende AKP viele kurdische Stimmen in den türkischen Wahlen, mitunter mehr als die Demokratische Volkspartei (HDP), die sich besonders auf das Kurdenproblem konzentriert. Das liegt zumindest zum Teil an konservativen kurdischen Wählern, von den viele Barzani unterstützen. (…) Sollte es weitere Drohungen geben, die KRG aushungern zu wollen, könnte das Erdoğans Unterstützung an der kurdischen Basis schmälern. Von daher scheint die Position des Präsidenten vom 26. September nicht nur fragwürdig, sie stellt potenziell auch ein politisches Risiko für ihn dar.“ (Murat Yetkin: „Possible costs of Barzani’s mistake to Erdoğan“)