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Wie sich der Ukraine-Krieg auf Syrien auswirkt

Muss ruslland wegen des Ukraine-Kriegs Truppen aus Syrien abziehen?
Muss Russland wegen des Ukraine-Kriegs Truppen aus Syrien abziehen? (© Imago Images / ITAR-TASS)

Sollte Russland wegen seines militärischen Engagements in der Ukraine gezwungen sein, Truppen aus Syrien abzuziehen, werden sich die Kräfteverhältnisse in Syrien deutlich verschieben. So könnte der Iran in das von Russland hinterlassene Vakuum vorstoßen und dadurch den Druck auf die USA und Israel erhöhen.

Als Russland im September 2015 in den syrischen Bürgerkrieg eingriff, rettete das Präsident Baschar al-Assad vor einer absehbaren Niederlage. Doch seit vier Monaten fordert die Offensive in der Ukraine Moskaus Aufmerksamkeit. Was bedeutet das für den syrischen Kriegsschauplatz?

Russlands militärische Dominanz in Syrien baut vor allem auf seine Luftstreitkräfte. Weniger stark ist Russland mit Bodentruppen vertreten. Deren Zahl beläuft sich laut dem Internationalen Institut für Strategische Studien (IISS) auf etwa 4.000 Soldaten. Bei Bodenoffensiven kommen zusätzlich Söldner der Gruppe Wagner zum Einsatz. Die genaue Zahl dieser Einsatzkräfte ist jedoch unbekannt, zeitweise sollen es mehrere hundert gewesen sein.

Anfang März berichtet unter anderen The Guardian, Moskau rekrutiere in Syrien Söldner, um diese in der Ukraine einzusetzen. In derselben Zeitung konnte man im April lesen, dass Söldner der Gruppe Wagner vermehrt aus Kriegsschauplätzen in Nordafrika und dem Nahen Osten abgezogen und nach Europa geschickt werden, um in der Ukraine zu kämpfen.

Könnte also Russland langfristig seine Präsenz in Syrien reduzieren, um seine Schlagkraft in der Ukraine zu erhöhen?

Russlands Rolle in Syrien

Entscheidend für die Erfolge der syrischen Armee seit dem Jahr 2015 ist vor allem der Einsatz russischer Kampfflugzeuge und Hubschrauber. Waren die militärisch-strategischen Ziele einmal erreicht, wurden unter Führung Russlands Waffenruhen vereinbart.

So etwa hält der von Russland und der Türkei ausverhandelte Waffenstillstand zwischen den Rebellen im Nordwesten Syriens und Damaskus (mehr oder weniger) seit zwei Jahren. Weitere Waffenstillstandslinien im Nordosten, auf die Russland, die USA und die Türkei sich einigten, halten seit 2019, sieht man von gelegentlichen Scharmützeln ab. Ein ähnliches Abkommen haben Russland, die USA, Israel und Jordanien für den Süden Syriens geschlossen.

Russland sei ein stabilisierender Faktor in Syrien, sagte Jordaniens König Abdullah II. noch im Juni. Umgekehrt bedeutet das aber, dass ein durch den Ukraine-Krieg notwendiger (Teil-)Rückzug Russlands die Kräfteverhältnisse in Syrien deutlich verschieben würde. So könnte die Türkei mehr Spielraum im Kampf gegen die kurdische YPG im Nordosten gewinnen und der Iran in das von Russland hinterlassene Vakuum vorstoßen und dadurch den Druck auf die US-Streitkräfte und Israel erhöhen.

Iran und Türkei als Profiteure des Ukraine-Kriegs?

Dana Stroul, im Pentagon für Nahost-Fragen zuständig, bezeichnete die oben zitierten Meldungen, wonach Russland Tausende syrische Söldner für den Krieg in der Ukraine rekrutiere, als Falschinformation. Bisher seien nur wenige Syrer angeworben worden. Wie viele davon überhaupt in die Ukraine geschickt wurden, ist unbekannt.

Unbestritten scheint hingegen, dass Russland Einheiten der Söldnergruppe Wagner aus Syrien abzieht, damit diese die russische Armee in der Ukraine unterstützen. In einem Bericht der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) gehen die Autoren davon aus, dass Teheran Russlands Fokus auf die Ukraine nutzt, um seinen Einfluss in Syrien auszubauen.

Zwar gelten Russland und der Iran als Unterstützer des Assad-Regimes, doch wollen beide für ihr langjähriges Engagement in Syrien Gewinne sehen. Auch wenn sie am Schlachtfeld kooperieren, sind sie Konkurrenten, wenn es um politischen Einfluss geht, den Zugang zum Mittelmeer und die Kontrolle über syrische Rohstoffe.

Wo Russlands Präsenz schwindet, werden daher der Iran und seine Verbündeten vorstoßen. Laut SWP hat Teheran seit Beginn des russischen Überfalls auf die Ukraine seine Aktivitäten in Syrien stetig ausgeweitet. Das betreffe die Provinzen Al-Hasakah, Homs und Deir ez-Zor, wohin der Iran im Februar und März größere Mengen an Waffen und militärische Ausrüstung geliefert habe. Der wachsende Einfluss des Irans am syrischen Kriegsschauplatz beunruhigt wiederum Israel, das seine Luftangriffe auf iranische Streitkräfte und mit ihnen verbündete Milizen fortsetzt.

Auch die Türkei scheint die in den Vordergrund medialer Berichterstattung gerückte Ukraine-Krise für ihren Vorteil nutzen zu wollen. Im Juni kündigte Präsident Erdogan eine neue Militäroperation in Nordsyrien an. Ziel ist es, die kurdischen Volksbefreiungseinheiten (YPG) aus einem dreißig Kilometer breiten Streifen jenseits der türkischen Grenze zu vertreiben. Dadurch soll Erdogans Plan einer türkischen Besatzung Nordsyriens, den er in mehreren Offensiven seit 2016 umzusetzen versucht, vorangetrieben werden.

Offiziell findet dieses Vorhaben beim Kreml keine Unterstützung. Russlands Sondergesandter für Syrien, Alexander Lavrentiev, bezeichnete Erdogans Pläne bei einem Treffen mit Diplomaten in der kasachischen Hauptstadt Nur Sultan (früher Astana) am 15. Juni als »unlogisch und irrational«. Diese könnten zu einer Eskalation der Spannungen und einer neuen militärischen Konfrontation in diesen Gebieten führen, was Russland ablehne.

Gleichzeitig betonten die Vertreter Russlands, Irans und Syriens die territoriale Unversehrtheit Syriens. Das kann zwar als Stoppschild Richtung Ankara gedeutet werden. Es bezieht sich aber auch auf eine mögliche Selbstverwaltung der Kurden im Nordosten Syriens sowie auf die Präsenz von US-Truppen und ihre Kontrolle syrischer Ölfelder.

Weitere Eskalation wahrscheinlich

Derzeit sieht es so aus, als würde Russland seine Position in Syrien halten. Doch selbst wenn ein andauernder Krieg in der Ukraine Moskau zwingt, seine Militärpräsenz zu verringern, ist nicht mit einem völligen Rückzug aus Syrien zu rechnen. Zu groß ist Moskaus strategisches Interesse am Luftwaffenstützpunkt Hmeimim und dem Militärhafen bei Tartus.

Denkbar wäre, dass Russland daher den Status quo in Syrien beizubehalten versucht und zunächst auf weitere Frontverschiebungen verzichtet, wie etwa eine größere Offensive Richtung Idlib. Darüber hinaus besteht jedoch die Gefahr, dass Russland zukünftig eine destabilisierende Rolle in Syrien spielt, um offene Rechnungen mit den USA aus dem Ukraine-Krieg zu begleichen. 

Bisher gibt es zwar kaum Anzeichen für eine Eskalation zwischen russischen und US-Streitkräften. Doch ein andauernder Krieg in der Ukraine und steigende Spannungen zwischen Washington und dem Kreml könnten dem bisher funktionierenden amerikanisch-russischen Dialog in Syrien ein Ende setzen. Das hätte weitreichende politische Folgen und würde die seit Jahren andauernden Waffenruhen gefährden.

Ein von Russland geduldeter, wachsender Einfluss Irans im Osten Syriens würde den Druck auf die dort stationierten US-Streitkräfte und die mit ihnen verbündeten kurdischen YPG erhöhen. Auch Israels Sicherheitsinteressen wären durch eine stärkere Präsenz pro-iranischer Truppen gefährdet. Vor allem mit Blick auf den Süden des Landes, wo Russland, Jordanien und Israel sich im Jahr 2020 auf einen Korridor entlang der syrisch-israelischen Grenze einigten, der frei von pro-iranischen Milizen sein sollte. Dieses jetzt schon in Teilen aufgeweichte Abkommen würde durch einen Rückzug Russlands weiter gefährdet werden.

Nicht zuletzt kann Russland sein Veto beim UN-Sicherheitsrat geltend machen, um die grenzüberschreitenden humanitären Hilfslieferungen in die von den Rebellen kontrollierten Gebiete in der Provinz Idlib zu blockieren. Das derzeitige Mandat läuft im Juli 2022 ab. Eine dadurch ausgelöste humanitäre Krise würde eine neue Flüchtlingswelle Richtung Türkei und damit Richtung Europa auslösen.

Auch die gegen Russland erlassenen Sanktionen strahlen auf Syrien aus. Die Fähigkeit Russlands, sich am Wiederaufbau des Landes zu beteiligen und die wirtschaftliche Entwicklung zu beeinflussen, wird deutlich abnehmen.

Der Blick nach Syrien zeigt ein weiteres Mal, dass sich die Auswirkungen des Ukraine-Kriegs weltweit bemerkbar machen. Der Ausgang des russischen Überfalls auf die Ukraine wird sich daher maßgeblich auf die zukünftigen Entwicklungen in Syrien auswirken.

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