Wie Israel die Wüste zum Blühen brachte

Von Florian Markl

Die Geschichte Israels grenzt in mehrfacher Hinsicht an ein Wunder: Seit seiner Gründung 1948 hat sich seine Bevölkerung mehr als verzehnfacht; das ehemalige Entwicklungsland verwandelte sich in eine moderne „Start-up Nation“ mit Wachstumsraten, von denen viele westliche Ökonomien nur träumen können. Und obwohl das Land zu rund 60 Prozent aus Wüste besteht, gehört das einstmals ernste Problem der Wasserknappheit der Vergangenheit an – Israel verfügt heute über einen Wasserüberschuss, der es ihm sogar erlaubt, den kostbaren Rohstoff an seine Nachbarn zu exportieren. In „Let There be Water. Israel’s Solution for a Water-Starved World“ schildert Seth M. Siegel, wie dem jüdischen Staat sein ‚Wasser-Wunder‘ gelingen konnte.


Falsche Prognosen

In den 1930er-Jahren prognostizierten britische Ökonomen, das damalige Mandatsgebiet „Palästina“ sei nicht in der Lage, viele zusätzliche Menschen zu verkraften. Nicht zuletzt der gravierende Wassermangel wurde als Argument angeführt, um mit dem berüchtigten White Paper von 1939 die Einwanderung von Juden just zu dem Zeitpunkt weitgehend zu unterbinden, an dem die nationalsozialistische Judenverfolgung in Europa erst richtig Fahrt aufnahm.

Wie Siegel in „Let There be Water“ zeigt, stellte die Sicherstellung der Wasserversorgung in der Tat eines der drängendsten Probleme dar, mit denen die jüdische Gemeinde der Mandatszeit sowie das neu entstandene Israel zu kämpfen hatten. In den fast siebzig Jahren seit seiner Gründung gelang es dem jüdischen Staat, der widrigen Umstände Herr zu werden – und eindrucksvoll zu beweisen, wie falsch die britischen Ökonomen lagen.


Geregelte Wasserversorgung

Die israelische Wasserwirtschaft beruht auf einem Ende der 1950er-Jahre verabschiedeten, streng zentralistischen Gesetz: Sämtliches Wasser, egal aus welcher Quelle, ist Staatseigentum. Während Israel sich mittlerweile weitgehend von seinen sozialistisch geprägten Wirtschaftsstrukturen der Pionierjahrzehnte verabschiedet hat, ist in der Wasserwirtschaft alles beim Alten geblieben – selbst am Balkon gesammeltes Regenwasser gehört streng genommen der Allgemeinheit.

„Israelis have accepted a trade-off. They have surrendered private ownership and the benefits of a market economy in water for a system that offers universal access to high-quality water. The public gives the government the power to manage, regulate, price, and allocate water in its name with the belief that the common good will be the greatest beneficiary. Israel’s water system may be the most successful example of socialism in practice anywhere in the world today.“

National Water Carrier
Israels National Water Carrier

Nach einer Reihe von Brunnenbohrungen, die die Bewässerung von Farmen in der Negev-Wüste ermöglicht, und kleineren Pipeline-Projekten, die Flusswasser in den Süden Israels geleitet hatten, wurde ein erster großer Schritt zur Lösung des Problems der Wasserversorgung mit der Inbetriebnahme des „National Water Carrier“ 1964 gesetzt. Mit diesem ambitionierten Großprojekt, dessen Planung bereits in die Zeit vor der Staatsgründung zurückging, wurde Trinkwasser aus dem im Norden des Landes gelegenen See Genezareth in den Großraum von Tel Aviv und weiter in den Süden geleitet.

Ein Bündel an Maßnahmen

So große Fortschritte der „National Water Carrier“ im Hinblick auf eine geregelte Versorgung auch brachte, er war keine Lösung zur Bewältigung der Wasserknappheit. Hier wurden gleichzeitig mehrere Wege beschritten, die alle zusammengenommen das eigentliche israelische Wasser-Wunder darstellen.

Erstens werden die Israelis von Kindheit an im gesamten Schul- und Bildungssystem zu einem sorgfältigen und sparsamen Umgang mit dem kostbaren Nass erzogen, sodass im Lande eine regelrechte Kultur des Wassersparens entstanden ist. Nicht zufällig war Israel beispielsweise auch das erste Land, in dem duale Klospülungen verpflichtend wurden – je weniger Wasser verschwendet wird, umso mehr steht zur Verfügung.

Zweitens beschloss die Israel Water Authority im Jahre 2008, dass alle Konsumenten für ihr Wasser den tatsächlichen Preis zahlen müssen – jede Form der Subventionierung zur Niedrighaltung des Wasserpreises wurde gestrichen, ein Preisanstieg von rund 40 Prozent war die Folge. Das führte freilich binnen kurzer Zeit zu einer Reduzierung des Wasserverbrauchs in israelischen Haushalten um geschlagene sechzehn Prozent.

Drittens wird die Wasserversorgung mit einer Unmenge von in den Leitungssystemen sowie bei den Abnehmern installierten Messstationen überwacht, um Löcher so schnell wie möglich lokalisieren und flicken zu können. Die Zahlen sprechen für sich: In Dehli gehen 53 Prozent, in Dublin und London rund 40 Prozent, in Sofia gar 62 Prozent des Wassers durch Lecks verloren. In israelischen Gemeinden waren es im Jahr 2013 dagegen weniger als elf Prozent, die neue Zielvorgabe der Israel Water Authority beläuft sich auf unter sieben Prozent.


Revolutionäre Bewässerungssysteme und Pflanzen

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Tröpfchen-Bewässerung in der Negev-Wüste

Enorm wichtige Schritte zur Beseitigung der Wasserknappheit wurden viertens in der Landwirtschaft gesetzt, die heutzutage für rund 55 Prozent des israelischen Wasserverbrauchs verantwortlich ist. Bereits in den 1950er-Jahren begann Simcha Blass, einer der Pioniere der israelischen Wasserwirtschaft, mit Experimenten zur sogenannten Tröpfchen-Bewässerung. Anstatt Pflanzen unter Wasser zu setzen oder mit Sprinkleranlagen zu bewässern wird Wasser dabei nur gezielt und zeitlich präzise zur Wässerung der Wurzeln eingesetzt. Die Experimente zeigten, dass auf diese Wiese nicht nur bis zu 40 Prozent Wasser gespart, sondern auch der Ernte-Ertrag der Pflanzen deutlich gesteigert werden konnte. Die Versuche vor über sechzig Jahren führten nicht nur zu einer massiven Reduzierung des für die Landwirtschaft in Israel benötigten Wasservolumens, sondern auch zur Geburt einer Reihe von israelischen Firmen, die ihr technisches Know-how auf dem Gebiet der Tröpfchen-Bewässerung weltweit vermarktet, damit etlichen Ländern zu einem effizienteren Einsatz der Mittel in der Landwirtschaft verhilft und buchstäblich die Lebensqualität von hunderten Millionen Menschen verbessert.

Die Effizienz in der Landwirtschaft wurde fünftens durch die Züchtung von Pflanzenarten noch weiter gesteigert, die auf jeweils spezielle klimatische Bedingungen und Bodenverhältnisse abgestimmt und auf das Wesentliche reduziert sind. So wurden etwa Tomatensorten entwickelt, die weniger Blätter tragen, oder Getreidearten, die nicht so hoch wachsen wie üblich – alles mit dem Ziel, mit dem aufgewendeten Wasser den höchsten Ertrag zu erzielen.

Aufbereitung von Abwasser

Sechstens entwickelte Israel Techniken und Methoden, um möglichst viel des entstehenden Abwassers wiederzuverwerten. Das dabei produzierte Wasser ist von so hoher Qualität, dass es einzig nicht als Trinkwasser und zur Köperpflege benutzt, abgesehen davon aber in allen möglichen Bereichen verwendet werden kann – nicht zuletzt zur landwirtschaftlichen Bewässerung: Fast ein Drittel des hier verwendeten Wassers kommt aus Kläranlagen, was den Verbrauch an Trinkwasser enorm reduziert hat. Insgesamt werden in Israel heutzutage rund 85 Prozent des Abwassers wiederverwertet. Zum Vergleich: In Spanien, das diesbezüglich hinter Israel den zweiten Platz weltweit einnimmt, sind es gerade einmal rund 25 Prozent, in den USA weniger als 10 Prozent.

Aufbereitetes Abwasser hat die israelische Landwirtschaft auf eine völlig neue Basis gestellt. Israelische Farmen können heute nicht nur den Nahrungsmittelbedarf des eigenen Landes decken, sondern gar Tomaten und Melonen exportieren – unabhängig davon, ob die Zeit gerade regenreich ist oder eine Dürreperiode herrscht.


Entsalzung von Meerwasser

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Entsalzungsanlage in Hadera

Einen großen und weiter steigenden Beitrag zur israelischen Wasserwirtschaft liefern siebtens die Anlagen zur Meerwasserentsalzung, die entlang der Mittelmeerküste errichtet wurden. Die unter israelischer Beteiligung entwickelte Umkehrosmose erlaubt die Gewinnung von Trink- aus Meer- oder Brackwasser mit wesentlich geringerem Energieaufwand als das zuvor möglich war. Noch vor zehn Jahren spielte entsalztes Wasser kaum eine Rolle in der Wasserversorgung israelischer Haushalte, heute macht es bereits 94 Prozent des benötigten Wassers aus.

Die fortgeschrittene Entsalzungstechnologie kann darüber hinaus einen Beitrag zur Förderung des regionalen Friedens liefern. Israel und Jordanien haben bereits umfassende gemeinsame Projekte beschlossen, darunter eine riesige Entsalzungsanlage, die am Roten Meer errichtet werden soll.

„Desalination has entirely transformed the water profile of Israel, and its effects have been felt throughout the entire society. The extensive use of desalinated water has had enormous implications for Israel’s environment, economy, infrastructure, social harmony, public health, and even its relationship with its Palestinian, Jordanian and other neighbors. In each of these realms, Israel has begun to see benefits that are likely to grow over time.”

Insgesamt 62 Prozent des israelischen Wasserverbrauchs werden heute mit hergestelltem Wasser bestritten, sei es aus Abwasser oder aus Entsalzungsanlagen. Nur mehr 38 Prozent des Wassers werden dem See Genezareth oder vorhandenen Grundwasservorkommen entnommen. Die Zeiten, in denen Israelis in den Nachrichten gebannt die Höhe des Wasserspiegels am See Genezareth verfolgten, sind vorüber – heute wird in ihm sogar für Jordanien bestimmtes Trinkwasser gespeichert, das nötigenfalls ins benachbarte Königreich geliefert werden kann.


Der internationale Effekt

In den vergangenen Jahren sind in Israel, auch mit Unterstützung durch spezielle Förderungsmaßnahmen, hunderte Firmen entstanden, die mit ihren technischen Innovationen im eigenen Land, aber auch international zur Verbesserung der Wasserversorgung beitragen. Israelische Unternehmen und Spezialisten sind auf der ganzen Welt tätig, sei es in Kooperation mit staatlichen Stellen in China, Indien oder den USA, sei es im Rahmen von Entwicklungshilfeprojekten in der sogenannten Dritten Welt. Das israelische Wasser-Wunder der vergangenen Jahrzehnte, so ist Siegel überzeugt, könne und werde in vielen Regionen der Welt zur Beseitigung oder zumindest Zurückdrängung existenzieller Bedrohungen führen.

Nur in der unmittelbaren Nachbarschaft erzielen die fortschrittlichen israelischen Entwicklungen (noch) keinen wünschenswerten Effekt. Israel könnte zur Lösung von Wasser- und Abwasserproblemen im Westjordanland und im Gazastreifen beitragen – und hat das in der Vergangenheit bereits schon getan. Als das Westjordanland im Sechstagekrieg 1967 unter israelische Kontrolle kam, hatten beispielsweise nur vier von insgesamt über 700 Städten und Dörfern fließendes Wasser; heute sind es rund 96 Prozent der palästinensischen Haushalte. Mehr als die Hälfte des Wassers wird aus Israel geliefert. Alon Tal, Professor für Wasser-Management an der Ben-Gurion-Universität in Beerscheba, hält fest:

„All but a small number [of Palestinians] get clean, safe water delivered to their homes. Even if Palestinians have justified complaints about the amount of water and about water pressure, it is still better quality and quantity than what is found in most of the Arab world, and even in in parts of Eastern Europe.”

Bis vor wenigen Jahren funktionierte die Zusammenarbeit zwischen Israelis und Palästinensern im Wasserbereich einigermaßen, doch hat sich die palästinensische Führung 2008 entschlossen, das Wasserthema zu politisieren und zu einer (Propaganda-)Waffe im Kampf gegen den jüdischen Staat zu machen. Die Leidtragenden dieser Haltung sind die Palästinenser selbst, deren Führung einmal mehr unter Beweis stellt, dass es ihr vordringlich nicht um eine Verbesserung der Lebensumstände der eigenen Bevölkerung geht.

Siegel mag die israelischen Errungenschaften in der Wasserwirtschaft und deren mögliche internationale Effekte in mancherlei Hinsicht zu optimistisch einschätzen, aber ihm ist es gelungen, ein recht trocken klingendes Thema auf packende Art aufzuarbeiten – und dem israelischen Wasser-Wunder die Aufmerksamkeit zu schenken, die es verdient hat.

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