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Wie Erdogan die Europäische Union erpresst

Fraglos hat die Türkei in den letzten Jahren Millionen von Flüchtlingen aufgenommen und bis vor kurzem auch halbwegs gut versorgt und integriert. Jede Kritik an der türkischen Regierung sollte dies berücksichtigen.

Gleichzeitig ist die Türkei von Europa weitgehend mit diesen Flüchtlingen alleine gelassen worden, und Hilferufe aus Ankara verhallten bis 2015 meist ungehört. Irgendwann wurde es dann der Regierung Erdogan zu viel, und sie lockerte Kontrollen zu Land und Wasser an ihren Westgrenzen. Die Folgen sind weitestgehend bekannt: Die daraus resultierende Flüchtlingskrise erschütterte Europa so nachhaltig, dass die EU und ihre Mitgliedsstaaten heute ganz andere sind,  als sie es noch vor vier Jahren waren, im September 2015, als über eine Million Flüchtlinge begannen, sich über die Balkanroute auf den Weg zu machen.

Damals galt es so schnell wie irgend möglich mit der Türkei ins Geschäft zu kommen. So entstand der äußerst fragwürdige EU-Türkei-Deal, der Ankara vor allem viel Geld versprach dafür, dass es seine Grenzen erneut kontrolliere und auch syrische Flüchtlinge aus Griechenland „zurücknehme“.

Das Ganze funktionierte auch ein paar Jahre, zwar nicht gut, denn noch immer kamen fast jede Nacht Flüchtlinge in Griechenland an, aber eben nicht mehr Tausende wie 2015. Zugleich legte damit die EU ihr Schicksal in die Hände des türkischen Präsidenten, der nun zunehmend innen- und außenpolitisch in Bedrängnis gerät – und offenbar mit dem Gedanken spielt, der EU weiteres Geld und weitere Konzessionen abzuringen.

Erdogans Drohungen an die EU

Das tut er in einer Sprache, die als Erpressung zu bezeichnen sicher nicht falsch wäre. Nur: Mit ihrem Deal hat die EU sich eben erpressbar gemacht, denn weitere Flüchtlinge auf griechischen Inseln oder gar der Balkanroute gehören nun einmal zu den größten Albträumen, die man in Brüssel, Berlin und anderswo hat.

Und so kann Erdogan kann offen damit drohen, die Grenzen wieder zu öffnen, und es wäre nicht weiter verwunderlich, hätte er damit auch noch Erfolg. Er verlangt nicht nur mehr Geld, sondern auch Unterstützung bei seinen Plänen, in Rojava, Syrisch-Kurdistan, einzumarschieren und dort eine so genannte Sicherheitszone zu schaffen.

„Präsident Recep Tayyip Erdogan hat am Donnerstag davor gewarnt, dass die Türkei den syrischen Flüchtlingen, die Flucht nach Europa ermöglichen werde, sollte Ankara nicht mehr internationale Unterstützung erhalten. (…) Sollte es keine Sicherheitszone geben, ‚werden wir dazu gezwungen sein, die Tore zu öffnen. Entweder unterstützen Sie uns, oder Sie tun es eben nicht. Es tut uns Leid, aber wir können nur so viel ertragen wie nötig‘, sagte Erdogan. ‚Werden wir diese Last alleine tragen?‘ fragte er während seiner Fernsehansprache in Ankara.

Erdogan behauptete, die Türkei habe 40 Milliarden Dollar für Flüchtlinge ausgegeben und kritisierte den Westen, insbesondere die Europäische Union, ihre Versprechen nicht eingehalten zu haben.

Im Rahmen eines Abkommens von 2016 versprach die EU Ankara sechs Milliarden Euro (6,6 Milliarden US-Dollar) als Gegenleistung für strengere Kontrollen von Flüchtlingen, die türkisches Hoheitsgebiet in Richtung Europa verlassen. Erdogan sagte, dass bisher jedoch nur drei Milliarden Euro angekommen seien. ‚Wir werden möglicherweise dazu gezwungen sein, dies zu tun (die Tore zu öffnen), um sie (internationale Unterstützung) zu erreichen’, sagte er.

Die EU-Kommissionssprecherin Natasha Bertaud bestritt Erdogans Behauptung später am Donnerstag und teilte Reportern in Brüssel mit, dass die EU der Türkei im Rahmen des Abkommens 5,6 Milliarden Euro zur Verfügung gestellt habe, wobei ‚der verbleibende Restbetrag in Kürze überweisen werden wird.‘“

Die EU mag antworten, was sie will, am Ende, und das wissen beide Seiten, sitzt die Türkei vermutlich am längeren Hebel in Zeiten, in denen Flüchtlinge zu einer Art Waffe geworden sind, und man nur drohen muss, sie außer Landes und in Richtung Europa ziehen zu lassen.

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