Nicht zum ersten Mal nutzt die Türkei ihre Kontrolle über Euphrat-Staudämme im Krieg gegen die Kurden in Syrien.
Raniah Salloum, spiegel.de
Bürgerkrieg, Corona, Wirtschaftskollaps und Hungerkrise – die Menschen in Syrien leiden. Und Beobachtungen zufolge droht noch ein weiteres Problem: Wasserknappheit. Seit ein paar Wochen sei der Wasserstand des Euphrats deutlich niedriger als sonst, berichtet Schirwan Schado, Betriebsleiter am Tishreen-Staudamm. „Laut den internationalen Verträgen über den Euphrat-Fluss müssten wir pro Sekunde 500 Kubikmeter Wasser bekommen. Gerade sind es weniger als 200 Kubikmeter.“ Und das hat fatale Folgen.
Der Tishreen-Staudamm ist Syriens zweitgrößter Staudamm. Millionen Menschen verwenden den dort produzierten Strom. Normalerweise sind das geschätzt etwa 800 Megawatt Strom. Doch gerade sind es einem Bericht zufolge nur noch ein Viertel davon. Der Euphrat selbst ist für viele die Hauptwasserquelle, sie bewässern mit ihm ihre Felder – der Nordosten gilt als Kornkammer Syriens, die meisten hier leben von der Landwirtschaft oder dem Fischfang. Nun könnten viele Hunger leiden. (…)
Nie zuvor seien die Wassermengen des Euphrats und Tigris derart schnell zurückgegangen, warnte die Internationale Organisation für Migration im Juli. Die aktuelle Hitzewelle im Nahen Osten – mit Rekordtemperaturen über 50 Grad kann den gewaltigen, bereits seit Wochen andauernden niedrigeren Wasserstand des Euphrats nicht erklären.
Der Grund für den Wassermangel liegt vielmehr in der Türkei, wo der Euphrat seinen Ursprung hat. Dort hat der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan im Rahmen des problematischen Südostanatolien-Projekts viele neue Staudämme bauen lassen, auch am Tigris, und die machen das Wasser nun im flussabwärts gelegenen Syrien und Irak knapp. (…)
Dazu fällt auf, dass in Syrien hauptsächlich die Gebiete betroffen sind, die unter der syrisch-kurdischen Selbstverwaltung stehen, in der die PKK eine wichtige Rolle spielt – und gegen die Erdogan in Syrien und im Irak Krieg führt. Der Verdacht liegt nahe, dass die Türkei den Zugang zu Wasser als Kriegsmittel einsetzt – zumal dies anderswo offenbar bereits geschah. (…)
„Die Türkei setzt Wasser – sowohl den Euphrat als auch Pumpstationen wie in Alouk – ein, um ihre Macht in Syrien zu demonstrieren, zu festigen und zumindest kurzfristig auch auszubauen. Die Türkei zeigt so auch, dass die syrisch-kurdische Selbstverwaltung nicht in der Lage ist, die Wasserversorgung zu sichern und schwächt so deren Legitimität“, sagt Tobias von Lossow, der am Clingendael Institut in Den Haag zu Wasser und Konflikten forscht.
(Auszüge aus dem Artikel „Türkei dreht Syrien das Wasser ab“, der auf spiegel.de erschienen ist.)