Selbst noch Berichte, in denen es nicht um Israels Krieg gegen die Hamas geht, bebildert der ORF gerne mit Aufnahmen aus dem Gazastreifen.
Ivo Herzl
Angesichts der vielen Konflikte weltweit kann die mediale Aufmerksamkeit natürlich nicht auf alle gleich konzentriert sein, aber blicken wir dennoch kurz darauf, was gerade anderswo geschieht: Über den Kongo, in dem einer der blutigsten Konflikte weltweit tobt, gab es im von mir beobachteten Zeitraum der letzten neun Monate einen einzigen Beitrag. Einige Konflikte wie etwa jene in Indien und Pakistan (vier Berichte) oder Thailand und Kambodscha (zwei Berichte) flammten kurz auf, in anderen legten die Kontrahenten ihre Waffen nieder, wie etwa die kurdische Arbeiterpartei PKK (drei Berichte).
Fünf Beiträge gab es über die Lage in Syrien rund um die massiven Verfolgungen und Massaker an Minderheiten, die jedoch durchgängig als »Kämpfe« bezeichnet wurden. Acht Beiträge hatten hingegen Abschiebewünsche oder Abschiebstopps nach Syrien zum Thema. Diese flossen zwar nicht in meine Statistik ein, weil sie ein innenpolitisches Thema behandelten, doch ohne dieses nationale Interesse wäre Syrien vielleicht nicht einmal zur Sprache gekommen. Was eine absolute Funkstille in der ORF-Redaktion zu verursachen scheint, sind alle Konflikte mit einem islamistischen Kontext: Die Sahel-Zone, Nigeria, der Sudan und der Jemen.
Auf Gaza projiziert
Das Ausmaß an Blutvergießen, Leid und Hunger, das in diesen Regionen und Ländern in den vergangenen zehn Jahren herrschte und herrscht, ist zwar kaum in Worte und Zahlen zu fassen, doch es wurde in gerade einmal zwei Beiträgen über UNO-Berichte abgehakt: »122 Millionen weltweit auf der Flucht« mit einem Foto aus dem Gazastreifen, und »Gewalt gegen Kinder so groß wie nie« mit einem Bild aus – dreimal dürfen Sie raten – dem Gazastreifen. Auf ihn wird also das gesamte Leid der Welt projiziert und Israel um den Hals gehängt.


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Der weltweite islamistische Terror bleibt der größte blinde Fleck in der öffentlich-rechtlichen Wahrnehmung, würde aber gerade im Nahost-Konflikt einen essenziellen Kontext herstellen, denn ohne diesen Kontext erweckt es den Anschein, als wäre Israel nicht an sieben Fronten der iranisch geführten »Achse des Widerstands« in Verteidigungsnot, sondern würde je nach Tageslaune andere Länder in der Region bombardieren, weil man mal Abwechslung vom Morden im Gazastreifen braucht. Betrachtet man die ORF-Kommentarspalten, erkennt man: Letzteres ist, was viele der Medienkonsumenten denken.
Hier muss man diesen Kontext auch für die Begleiterscheinungen des Gaza-Kriegs im Westen herstellen, die nicht Teil meiner Statistik sind. Auf der einen Seite die Reihe an islamistischen Attentaten, auf der anderen Seite die antisemitischen Vorfälle, die von Lokalverweisen in Wien bis zu Morden unter dem Slogan »Free Palestine« in Washington reichen. Die Medienlandschaft ignoriert jedoch weiterhin zum größten Teil, was hinter dem Konzept von »Globalize the Intifada« steht.
Israel hingegen erzeugt mit 29 Beiträgen auch noch eine Vielzahl an kulturellen Begleiterscheinungen, allen voran der Eurovision Song Contest (elf Berichte). Die Störaktion propalästinensischer Aktivisten unter der Leitung der Wienerin Dalia Sarig bei den Salzburger Festspielen (2) darf natürlich als Meisterleistung darstellender Kunst auch nicht kleingeredet werden, und auch Aussagen von Madonna (1) und dem Pontifex (1) zu Israel und dem Gaza-Krieg haben es in die Berichterstattung geschafft.
Auch über Anti-Kriegs-Demonstrationen wurde berichtet: Fünfmal über Israel, wo sich die Teilnehmer für die Freilassung der Geiseln einsetzten, einmal über Gaza, wo gegen die Hamas protestiert und viermal über Europa – Venedig (2), Berlin (1), Wien (1) –, wo ein vermeintlicher Genozid skandalisiert wurde.
Europa ist über alle Konfliktparteien hinweg damit beschäftigt, seine eigene Vergangenheit auf den Nahost-Konflikt zu projizieren – mit geistlichem Sanctus, wie man an dem Bericht über den Papst sehen kann. Es gibt auch keine klaren Grenzen zwischen Politik und Aktivismus mehr, wenn Spaniens Premier Israels Ausschluss aus Sportwettbewerben fordert (ein Bericht). Und es scheint generell keine Grenzen mehr zu geben, wenn eine Flottille (fünf Berichte) rund um Greta Thunberg in Richtung Gazastreifen segelt und nicht einmal mehr für die österreichische Millionenerbin Marlene Engelhorn Platz hat.
Der Konflikt zwischen Israel und der Hamas ist medial derart überfrachtet, dass er eine Feedbackschleife des Aufruhrs erzeugt, über die dann auch wieder berichtet werden kann. Dass Jugendliche sogar gleich zweimal ORF-Zentralen, einmal in Innsbruck, einmal in Wien, gestürmt und beschmiert haben, weil ihnen zu wenig oder vermeintlich zu israelfreundlich berichtet wird, versinnbildlicht die Sucht nach der Volksdroge Israelkritik. Ebenso wie in Belgien Palästina-Aktivistinnen ein Militärlager gestürmt und Rüstungsgüter für die Ukraine im Wert von einer Million Euro zerstört haben, weil sie meinten, diese wären für Israel bestimmt.
Von Israel lernen
Beim Scrollen durch die ZIB-Berichterstattung fiel mir ein Beitrag über den österreichischen Bundespräsidenten Alexander Van der Bellen auf, der in einer Rede mahnte, Journalismus habe im Gegensatz zu Social Media die Wahrheit und nicht die Aufmerksamkeit zu suchen. Dass Journalismus in Verbindung mit den sozialen Medien allerdings höchst professionell sein kann, beweist der Wiener Blogger Andreas Grassl mit seinem Instagram-Account worldpoliticsdaily, der derzeit ca. 100.000 Follower hat. Grassl bietet Breaking News über internationale Konflikte und ausgewogene Berichterstattung, in der er die Zusammenhänge erklärt – mit journalistischer Integrität, statt sich der Kommentarspalte zu beugen.
Im Gegensatz dazu lässt sich ORF-Anchorman Armin Wolf immer wieder dazu hinreißen, TikTok-Trends mitzumachen, wie beispielsweise Pudding mit der Gabel zu essen. Entscheidungsträger hören weiterhin auf unsere klassische Medienlandschaft, doch diese hört zunehmend auf ihre Kommentarspalten. Während man bei so mancher Berichterstattung also glauben könnte, im Kinderprogramm gelandet zu sein, sind auch die tatsächlichen Kinderformate nicht vor den Verzerrungen gefeit, die sich aus der allgegenwärtigen Fokussierung auf Israel ergibt: So berichtete das Kinder-Format ZIB Zack Mini pünktlich zum Schulstart einleitend über den Gazastreifen: »Da passieren schlimme Sachen.« Erst danach informierte es sein aus den Ferien zurückgekehrtes Publikum darüber, »was ihr zum Schulstart wissen müsst«.
Seltsame Prioritäten für eine Kindersendung – als sollte damit die nächste Generation an Flottillen-Kids herangezogen werden, die Israel im Cyberspace den Krieg erklärt, wie der unlängst zu einer Diskussionsveranstaltung eingeladene Gamer Rafael Eisler, der sich dort zusehends in antiisraelische Rage redete, zugleich aber wenig mehr bewies als eine gegen null tendierende Sachkenntnis.
Israel und die Ukraine wissen, was es heißt, Feinde zu haben, also Gegner, die einen unterwerfen und umbringen wollen; egal, was man nun tut oder lässt. Mit dem Kreml oder der Hamas konfrontiert, die keinerlei Probleme damit haben, Menschen zu verheizen, sei es nun Freund oder Feind, bedarf es nicht nur militärischer Kapazitäten, sondern Moral und Zusammenhalt der eigenen Bevölkerung müssen an erster Stelle stehen – insbesondere in Zeiten koordinierter (Des)informationskriege.
Israel weiß das seit seiner Staatsgründung und setzte sich als Land, das kaum mehr Einwohner hat als Österreich, in den vergangenen zwei Jahren erfolgreich an sieben Fronten im gesamten Nahen Osten zu Wehr. Und in der Ukraine wurde die Bevölkerung seit dem Jahr 2014 sukzessive für den Krieg sensibilisiert, den Russland dem Land aufzwang. Israel und die Ukraine bestechen durch unglaubliche Resilienz und Kreativität in der Kriegsführung, da beide Staaten und ihre Bewohner wissen, warum und wofür sie kämpfen: für die Unantastbarkeit ihrer Menschenwürde.
Ausgerechnet am vergangenen 10. September, dem Tag, an dem russische Drohnen erstmals NATO-Länder überflogen, schlug die Europäische Kommission vor, das Assoziierungsabkommen mit Israel zu suspendieren. Kurz danach brachte Israel die Laserwaffe Iron Beam zum Einsatz, die effektiv Geschosse wie Drohnen abschießen kann: Drohnen, die nun auch über Dänemark schwirren.
Europa könnte also das Wissen der einzigen Demokratie im Nahen Osten brauchen, weswegen zu hoffen wäre, dass der Kontinent eine Kehrtwende in seinen Prioritäten schafft. Doch dafür muss auch unsere Medienlandschaft erkennen, dass ihre unverhältnismäßige Berichterstattung weit über das sprichwörtliche »No jews, no news« hinausgeht: Als vom eingangs erwähnten Dreyfus-Style geprägte stellt sie vielmehr auch eine echte Gefahr für unsere eigene Sicherheit dar. Europa sollte von Israel lernen, anstatt es zu dämonisieren.






