Der öffentlich-rechtliche ORF kommt bei seiner Berichterstattung über den Krieg Israels gegen die Hamas seinem gesetzlichen Bildungsauftrag, objektiv und ausgewogen zu berichten, nicht nach.
Ivo Herzl
Dreyfus-Style: So nenne ich es, wenn Israel-Bashing wichtiger ist als die eigene europäische Sicherheit. Zur Erinnerung: Die Dreyfus-Affäre im Frankreich des späten 19. Jahrhunderts zeigte, dass das Anprangern von Juden stärker wog als Wahrheit und nationale Sicherheit. Schon lange bereitete es mir Kopfzerbrechen, dass die Ukraine, was die (mediale) Aufmerksamkeit betrifft, immer wieder betont zurückhaltend auftrat, während die Dauerbeschallung über den Gazastreifen seit zwei Jahren alles übertönt.
Immer wieder sprach ich Bekannte aus dem Journalismus-Bereich darauf an, die mir wiederum selektive Wahrnehmung vorwarfen. Also gut, dann machen wir eben die Probe aufs Exempel und nehmen eine kleine quantitative Medienanalyse der letzten neun Monate vor. Dafür die gesamte österreichische Medienlandschaft zu untersuchen, wäre zu viel, aber als steuerfinanziertes öffentlich-rechtliches Medium besteht beim ORF – abseits von redaktioneller Freiheit – der gesetzliche Bildungsauftrag, objektiv, ausgewogen und unabhängig zu berichten und alle Bevölkerungsschichten zu erreichen.
Verdacht erhärtet
Da die Beiträge auf orf.at rückwirkend nicht leicht herauszufiltern sind, konzentrierte ich mich dabei auf den ZIB-Instagram-Account. Vorrangig von der jüngeren Generation konsumiert, etabliert sich dieser mit 1,3 Millionen Followern immer mehr zu einer allgemeinen Primärquelle.
Nun scrollte ich stundenlang durch den Account bis zum Jahresbeginn 2025 zurück und fotografierte jeden Beitrag, der einen internationalen Krisenherd behandelte – und siehe da: Mit 264 zu 130 Berichten wurde der Nahost-Konflikt quantitativ häufiger, mitunter doppelt so oft, behandelt als der Ukraine-Krieg.
Alle anderen globalen Konflikte wurden in achtzehn Beiträgen abgehandelt. Obwohl beide Kriege, sowohl der in der Ukraine als auch der im Gazastreifen, schon längst ihr Anfangsstadium überschritten haben, gab es über die Ukraine ein- bis zweimal pro Woche einen Beitrag, während über Israel und den sogenannten Nahost-Konflikt fast täglich berichtet wurde.
Beide Konflikte hatten dabei ihre klaren Peaks: So gab es über den Iran-Krieg, der durch die Zerstörung von Atomanlagen wirklich internationale Tragweite hatte, 86 Beiträge innerhalb von rund zwei Wochen, während der Eklat im Weißen Haus rund um die Kleidung des ukrainischen Präsidenten einen kritischen Punkt im Ukraine-Krieg darstellte. Aber mein Gefühl lag richtig: Die Berichterstattung über den sognannten Nahost-Konflikt stellt durchaus eine Dauerbeschallung dar – und zwar nicht nur an Quantität, sondern auch an (mangelnder) Qualität.
Die Darstellung des Ukraine-Kriegs wird hauptsächlich mit Bildern von Politikern (88 von 130) kommuniziert, während im Nahost-Konflikt Bilder der Zerstörung (94) dominieren, wovon 27 massives menschliches Leid und viele weinende Kinder darstellen. Darunter befinden sich auch Abbildungen, die nachweislich inszeniert oder aus dem Kontext gerissen sind. Es sind Bilder, die sich im Bewusstsein der Menschen – und vor allem der Jugendlichen – verankert haben.
Zur Ukraine hingegen gab es lediglich fünfzehn Beiträge mit Bildern der Zerstörung aus der Ukraine und davon nur ein einziges Bild mit weinenden Menschen. Während Journalisten immer wieder beteuern, keinen Zugang zum Gazastreifen zu haben, sodass die Bilder von Leid und Zerstörung, die es von dort so massenhaft in die Medien schaffen, also aus Zweit- und Drittquellen stammen, gäbe es Zugang zur Ukraine, sodass man dort also aus erster Hand über die Zerstörungen berichten könnte, es aber viel weniger tut.
Darüber hinaus stellt sich natürlich noch die Frage der Berichterstattung über die israelischen Geiseln im Gazastreifen. Dreizehn Beiträge gab es dazu, aber nur drei davon zeigten Fotos der Betroffenen. Fünf Bilder betrafen die Horrorshow, die von der Hamas bei Geiselfreilassungen regelmäßig zelebriert wird, und zeigten wiederum Zerstörung und das Rote Kreuz. Fünf weitere zeigten Geisel-Angehörige, die sich über deren Freilassung freuen.
Ungleiche Zahlen
So viel zur groben Bildsprache, doch auch Zahlen erzählen ihre eigene Geschichte. Über den Ukraine-Krieg wird in dieser Kategorie fast ausschließlich über Finanzmittel berichtet; also, wie viele Milliarden »uns« dieser »nervende Inflationstreiber« denn kostet. Die Opferzahlen hingegen scheinen, ganz anders als beim Krieg gegen die Hamas, nicht weiter berichtenswert zu sein.
So gab es einen Beitrag über das Lichtermeer in Wien zum dritten Jahrestag des Kriegs und einen Beitrag über die Rückholung von 52 Waisenkindern aus Österreich. Dass die Ukraine ihr eigenes »BringThemHome« hat, nämlich 20.000 entführte Kinder in Putins Händen, scheint dabei sonderlich zu interessieren. Nicht einmal im zusammenfassenden Beitrag zu drei Jahren Krieg wurde auch nur annähernd eine Vorstellung von dem Blutzoll vermittelt, den die ukrainische Bevölkerung aufbringen muss, um der russischen Aggression massiven Schaden zuzufügen. Auch bei den eingangs erwähnten Journalisten, mit denen ich ab und zu spreche, existiert nicht einmal annähernd eine Zahl im Kopf.
Schätzungen westlicher Institute wie dem Center for Strategic and International Studies (CSIS) gehen von rund 250.000 gefallenen Kämpfern und knapp einer Million Verletzter auf russischer Seite und rund 50.000 Gefallenen auf ukrainischer Seite aus. Jetzt gilt es zwar, Zahlen aus Kriegsgebieten immer mit größter journalistischer Vorsicht zu behandeln – wenn es jedoch um den Gazastreifen geht, scheint diese Regel außer Kraft gesetzt zu sein.
So werden die – von Israel bestrittenen – Zahlen aus dem Hamas-geführten Gesundheitsministerium, das zwischen militärischen, zivilen und oft auch natürlichen Todesursachen nicht unterscheidet, seit zwei Jahren vom ORF fast täglich unhinterfragt wiedergegeben und den Opfern des 7. Oktobers 2023 gegenübergestellt. Nicht nur haben sich diese mehr als fragwürdigen Zahlen mittlerweile selbst in die desinteressiertesten Köpfe gebohrt, sondern auch die bislang fast tausend im Krieg gefallenen Israelis werden völlig ignoriert, obwohl hier Daten bereitstünden.
Man könnte meinen, Geiselnahmen und Kindesentführungen würden klar gegen den obersten Grundsatz der Unantastbarkeit der Menschenwürde stehen, doch die mediale Darstellung lässt den Ukraine-Krieg eher wie ein Politiker-Monopoly aussehen – und Gaza wie ein sadistisches Spiel unsterblicher Israelis mit Kindern und Zivilisten.






