Damit Amnesty International Israel eines Völkermords bezichtigen kann, schreibt es kurzerhand das Völkerrecht um.
Amnesty International (AI) hat am vergangenen Donnerstag einen Bericht vorgelegt, in dem es Israel vorwirft, im Gazastreifen einen »Genozid« zu begehen. Überraschend war das nicht, und auch der Zeitpunkt der Veröffentlichung ist wohl kein Zufall: Organisationen im Menschenrechtsbusiness sind auf Spenden angewiesen – und kaum eine Zeit des Jahres ist besser fürs Spendenkeilen geeignet als die Vorweihnachtszeit –, und um auf dem umkämpften Spendenmarkt zu reüssieren, muss man sich mit schrillen Ansagen hervortun, um Aufmerksamkeit zu erregen.
Wenigstens das ist AI gelungen, aber es ist mehr als fraglich, ob die Organisation sich damit wirklich einen Gefallen getan hat. Noch hat wohl kaum jemand die Zeit gefunden, sich zur Gänze durch die fast 300 mit Jargon geladenen und ermüdend-repetitiven Seiten des Berichts zu kämpfen, aber schon beim schnellen Querlesen wird klar: Was Amnesty International mit ›You feel like you are subhuman‹. Israel’s Genocide Against Palestinians in Gaza vorgelegt hat, dürfte die Organisation auch noch den letzten Rest ihrer ohnehin schon erschütternd geschrumpften Glaubwürdigkeit kosten.
Aus einer einst angesehenen Menschenrechts- ist eine durch und durch israelfeindliche Propagandaorganisation geworden, deren unredliche Vorgangsweisen niemandem verborgen bleiben können, der mehr als nur die Selbstbeweihräucherung in AI-Presseaussendungen zur Kenntnis nimmt. Greifen wir nur drei Beispiele heraus, die schon beim ersten Durchblättern des Berichts ins Auge stechen.
Manipulation mit Zahlen
Um Israel einen »Genozid« anlasten zu können, muss AI irgendwie plausibel machen, dass es sich bei dem unzweifelhaft geschehenen menschlichen Leid im Gazastreifen nicht bloß um die zwar schrecklichen, aber unabwendbaren Folgen eines Kriegs in urbanem Gebiet gegen eine Terrororganisation handelt, die sich hinter der Zivilbevölkerung verschanzt und zivile Opfer geradezu zum Kern ihrer Kriegsführung gemacht hat. Die NGO muss also den vielen Experten widersprechen, die von Kriegen etwas verstehen und gerade deswegen Israel bescheinigen, den Krieg so gut zu führen, wie es unter den gegebenen Bedingungen möglich ist, wie etwa John Spencer, dem Leiter der Studien zur urbanen Kriegsführung an der US-Militärakademie West Point, der zu folgendem Schluss kommt:
»Trotz der komplexen Herausforderung, in einem so schwierigen Umfeld zu operieren, haben die IDF [Israelische Verteidigungsstreitkräfte] außergewöhnliche, in der modernen Kriegsführung nicht gekannte Anstrengungen unternommen, um die Grundsätze des humanitären Völkerrechts einzuhalten und Schaden von der Zivilbevölkerung im Gazastreifen abzuwenden.«
Bei dem Versuch, Sachverstand und nüchterne Expertise beiseite zu wischen und diese mit der Lüge eines angeblichen israelischen »Genozids« zu übertönen, hat Amnesty International allerdings ein Problem: Die Zahlen geben ihre an den Haaren herbeigezogenen Schlussfolgerungen schlicht nicht her. Folgt man den Zahlen des von der Hamas geführten »Gesundheitsministeriums«, wie Amnesty International es tut, muss man von grob 40.000 Menschen ausgehen, die seit Kriegsbeginn im Gazastreifen getötet wurden.
Das ist zunächst einmal eine erschreckende Zahl, aber sie sagt für sich genommen wenig aus, solange sie nicht mit anderen Zahlen ins Verhältnis gesetzt wird, allen voran selbstverständlich dem Verhältnis von getöteten Kombattanten zu getöteten Zivilisten, das einen Hinweis darauf geben kann, ob der Vorwurf von Amnesty International, Israel habe zahlreiche »vorsätzliche und gezielte direkte Angriffe auf Zivilisten« unternommen, berechtigt ist oder nicht.
Die Hamas, Verzeihung, das »Gesundheitsministerium« im Gazastreifen macht, wie auch AI bemerkt, keine Angaben über die Zahl der getöteten Kombattanten. Aber das bedeutet nicht, dass sich darüber nichts sagen ließe – und man kann die Frage nicht einfach mit der Behauptung vom Tisch wischen, »keine unabhängige Organisation [ist] in der Lage, festzustellen, wie viele (…) Kämpfer und wie viele Zivilisten waren«.
Nun mag AI die israelische Armee nicht für »unabhängig« halten – ein Vorbehalt, den die Organisation gegenüber den Hamas-Institutionen im Gazastreifen offenbar nicht hegt –, aber nirgends in dem gesamten Bericht auch nur zu erwähnen, dass laut den IDF mindestens 17.000 bis 20.000 Kombattanten getötet worden seien, ist in höchstem Maße unredlich. Aber der Zweck dieser Auslassung ist klar: AI will die Leser nicht darüber in Kenntnis setzen, dass rund zwei Fünftel der Getöteten Terroristen waren, denn das ist ein weit größerer Anteil als in sämtlichen auch nur annähernd vergleichbaren Kriegen weltweit.
Nach Angaben des Centers for Civilians in Conflict machen Zivilisten bei Kriegen in urbanem Gebiet 90 Prozent der Getöteten aus, auf jeden getöteten Kombattanten kommen also neun getötete Zivilisten. Im Gazastreifen liegt dieses Verhältnis nicht bei 1:9, sondern bei 1:1,35. Diese Zahl allein zertrümmert die Genozid-Lüge von Amnesty International, denn sie zeigt, dass Israel weit davon entfernt ist, »vorsätzliche und gezielte direkte Angriffe auf Zivilisten« zu unternehmen, sondern ganz im Gegenteil so viel wie keine andere Armee der Welt unternimmt, um zivile Opfer zu vermeiden. Der bereits angeführte Experte für urbane Kriegsführung John Spencer listet einige der Maßnahmen auf, die diesem Zweck dienen:
»Israel hat über 70.000 direkte Telefonanrufe getätigt, über 13 Millionen Textnachrichten verschickt und über 15 Millionen aufgezeichnete Sprachnachrichten hinterlassen, um die Zivilbevölkerung darüber zu informieren, dass sie die Kampfgebiete verlassen sollte, wohin sie gehen sollte und welchen Weg sie nehmen sollte. Sie setzten Drohnen mit Lautsprechern ein und warfen riesige Lautsprecher an Fallschirmen ab, die die Zivilbevölkerung aufforderten, die Kampfgebiete zu verlassen, sobald sie auf dem Boden aufschlugen. Sie kündigten tägliche Pausen aller Operationen an und hielten diese auch ein, um den in den Kampfgebieten verbliebenen Zivilisten die Möglichkeit zur Evakuierung zu geben.«
Mit gutem Grund bemerkt Spencer, dass Israel in seiner Kriegsführung im Gazastreifen einen »historischen neuen Standard« gesetzt hat. Mit Blick auf AI schreibt Salo Aizenberg von der Media-Watch-Organisation Honest Reporting zurecht: »Eine ehrliche Diskussion über diese Zahl [das Verhältnis von getöteten Kombattanten zu getöteten Zivilisten] und ein Vergleich mit anderen Kriegen würde die unglaubliche Präzision der IDF belegen, aber Amnesty wusste, dass dies ihren gesamten ›Bericht‹ zunichtemachen würde«, also hat es diese entscheidende Frage einfach ausgespart.
Fünfzehn Angriffe
In der Präsentation des Berichts hat Amnesty International besonders einen Teil hervorgehoben: Die Analyse von fünfzehn israelischen Angriffen auf Häuser, bei denen über dreihundert Zivilisten ums Leben gekommen seien. Belegt werden soll damit, dass Israel »Tötungen« unternommen habe, die unter die Genozid-Konvention fielen.
Die zusammengetragenen Landkarten, Interviews mit Überlebenden und Zeugen, Fotos der Opfer und vieles mehr mögen Empathie mit den Betroffenen erwecken, tun aber kaum etwas zur Sache. Denn niemand bezweifelt, dass Zivilisten zu Opfern des Kriegs wurden, doch ist eine Schilderung der Fälle völlig unzureichend, um damit eine genozidale Absicht zu belegen.
Amnesty zufolge habe es sich bei angeführten Fällen um »direkte« Attacken auf Zivilisten oder »wahllose Angriffe« gehandelt. Als solche würde es sich um ungerechtfertigte Angriffe, möglicherweise sogar um Kriegsverbrechen handeln. Aber waren sie das?
Die wiederholte Beteuerung, Amnesty habe »keine Hinweise auf ein militärisches Ziel gefunden«, hilft bei dieser Frage nicht wirklich weiter, denn nur weil AI keine solche Hinweise gefunden hat, bedeutet nicht, dass nicht doch legitime militärische Ziele angegriffen wurden. Wie sollten denn zum Beispiel Belege dafür aussehen, dass in einem Zimmer im dritten Stock eines getroffenen Hauses ein Treffen von Hamas-Kommandeuren stattgefunden hatte? Wie sollten sich Tage danach vor Ort diesbezügliche »Hinweise« finden lassen? Und welchen Wert hätten die Aussagen von Bewohnern des Nebenhauses, das möglicherweise stark in Mitleidenschaft gezogen wurde? Inwiefern hilft das Foto einer bei dem Angriff getöteten Zivilperson hier weiter?
Fakt ist: Amnesty International hat keine Ahnung, warum ein bestimmtes Ziel angegriffen wurde. Auskunft darüber könnten nur diejenigen geben, die den Angriff beschlossen haben. Nur sie wissen, welches konkrete Ziel mit welchen Mitteln unter Einhaltung welcher Vorsichtsmaßnahmen anvisiert wurde. Ohne diese Informationen ist eine Beurteilung nicht möglich.
In der Vergangenheit hat sich überdies gezeigt, dass bei Behauptungen von AI über angeblich nicht vorhandene militärische Ziele größte Skepsis angebracht ist. Einmal beispielsweise bezeichnete die Organisation einen vermeintlichen Angriff auf zwei Wohnhäuser in Gaza-Stadt als israelisches Kriegsverbrechen. Wie sich danach herausstellte, waren gar nicht die Häuser angegriffen worden, sondern ein Hamas-Tunnel unterhalb der Häuser. Obwohl auf Drohnenaufnahmen die Krater in den Straßen zu sehen waren, ließ Amnesty International den Tunnel unerwähnt. Und zusammengestürzt waren die Häuser nicht, weil israelische Raketen in sie einschlugen, sondern weil von der Hamas in den Tunneln gelagerte Waffen explodiert waren.
Die Frage ist eher, wieso Amnesty sich überhaupt Urteile in Fällen anmaßt, ohne über die für die Beurteilung nötigen Informationen zu verfügen. Die Organisation setzt statt auf nüchterne Fakten auf die emotionale Kraft von Geschichten, deren erklärender Wert und Beweiskraft gegen Null geht.
Doch damit nicht genug: Selbst, wenn ein bestimmter Angriff nicht gerechtfertigt gewesen sein sollte, stellt er nicht einmal notwendigerweise ein Verbrechen dar, denn in jedem Krieg geschehen Irrtümer und passieren Fehler. Und mit Sicherheit können die Aussagen von Bewohnern eines eingestürzten Hauses keine Beweise für die genozidale Absicht der für den Angriff Verantwortlichen liefern.
Umschreiben des Völkerrechts
Genau darauf kommt es aber an, wenn das Vorhandensein eines Völkermords behauptet wird. Denn laut der Völkermordkonvention müssen Handlungen, um einen Genozid darstellen zu können, »in der Absicht begangen« werden, eine »Gruppe als solche ganz oder teilweise zu zerstören«. Ohne diesen spezifischen Nachweis der Intention gibt es keinen Völkermord. Dieser Nachweis ist eine sehr große Hürde, weswegen auch nur sehr wenige Fälle (wie Srebrenica und Ruanda) als Völkermord eingestuft werden. Der Internationale Gerichtshof hat auch klargestellt, dass es nicht ausreicht, wenn auf Basis bestimmter Beweise auf die völkermörderische Absicht geschlossen werden könnte, sondern dieser Schluss muss der einzig mögliche sein, um den hohen Anforderungen zu genügen.
Amnesty International weiß genau, dass es diesen Nachweis im Falle Israels nicht erbringen kann – und schreibt deswegen (ab Seite 101) einfach das Völkerrecht um. Die Organisation verwirft die seit Jahrzehnten herrschende Interpretation der Völkermordkonvention kurzerhand als »extrem« bzw. »zu eng gefasst«. Stattdessen fordert sie eine nicht näher erläuterte »ganzheitliche Untersuchung« mit niedrigerer Beweiskraft, um Israel trotzdem als Staat dämonisieren zu können, der einen Völkermord begeht – Völkerrecht umgeschrieben, Israel schuldig, Operation erfolgreich.
Amnesty International Israel hat sich von dem infamen und den jüdischen Staat dämonisierenden Genozid-Vorwurf der Mutterorganisation distanziert und dieser vorgeworfen, bereits mit einer »vorgefassten Schlussfolgerung« an die Sache herangegangen zu sein. Das ist noch das mildeste Urteil, das man über dieses Machwerk formulieren kann.