In der kurdischen Region Afrin in Syrien begehen die mit der Türkei verbündeten islamischen Milizen systematische Verbrechen an kurdischen Frauen.
Rachel Haga, Open Democracy
Afrin befand sich einst in einer Region, in der Kurden die Mehrheit stellten und Frauen mehr Rechte hatten als anderswo in Syrien, einem patriarchalischen Land in einem blutrünstigen Krieg. Kinderehen und Polygamie waren verboten, und häusliche Gewalt war eine Straftat. (…) Seit 2018 befindet sich Afrin unter der Kontrolle türkisch unterstützter Milizen, die nach einer zweimonatigen Militäroperation gegen kurdische Kräfte die Kontrolle über die Stadt übernommen haben. Für viele Zivilisten in der Stadt ist es nun, als lebten sie unter Belagerung. (…)
Eine kürzlich von der UNO eingesetzte Kommission hat zahlreiche Beweise dafür gefunden, dass die „Situation für kurdische Frauen prekär ist“. Die UN-Untersuchungskommission zu Syrien fand umfangreiche Beweise für tägliche Vergewaltigung, sexuelle Gewalt, Belästigung und Folter in der ersten Hälfte des Jahres 2020. Sie führt beunruhigende Beispiele von Vergewaltigungen und gezielter Verfolgung entführter Zivilisten in Afrika an. Der Bericht dokumentiert die Vergewaltigung von mindestens 30 Frauen in der kurdischen Stadt Tal Abyad allein im Februar. (…)
Ein Video zeigte Anfang dieses Jahres, wie Frauen aus einer geheimen, illegalen und überfüllten Gefängniszelle herausgeführt wurden. Die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte berichtete, dass sie nackt waren, als man sie fand.
Diese Gräueltaten spiegeln wider, was mit der kurdischen Bevölkerung nur wenige Jahre zuvor in Teilen des Irak und Syriens durch die Hand des Islamischen Staates geschah. Aber diese Frauen werden nicht von einer militanten islamistischen Gruppe gefoltert. Sie stehen unter der Kontrolle von Milizen, die von der Türkei, einem NATO-Mitglied und Verbündeten der Vereinigten Staaten, unterstützt werden.
Es herrscht „ein Klima der Angst vor Folter, das so weit geht, dass Frauen ihre Häuser nicht mehr verlassen können, weil sie nicht von einer bewaffneten Gruppe ins Visier genommen werden wollen”“ sagt Meghan Bodette, die Gründerin des „Missing Afrin Women Project“. Sie hat die Website 2018 ins Leben gerufen, um das Verschwinden von Frauen in der Region zu dokumentieren, was neben der Folter ein großes Problem darstellt.
Seit Januar 2018 sind mindestens 173 Frauen und Mädchen entführt worden. Nur 64 wurden Berichten zufolge freigelassen, während das Schicksal der 109 anderen unbekannt bleibt. Meghan spricht von einer „umfassenden Terrorkampagne gegen die kurdische Bevölkerung“. Andere örtliche Menschenrechtsexperten behaupten, es habe über 1.500 Entführungen gegeben. Die Differenz ergibt sich daraus, dass Meghan nur Frauen dokumentiert, deren vollständige Identität ihr bekannt ist. (…)
Der UN-Bericht hat Meghans Ergebnisse nun bestätigt. Während sie dafür dankbar ist, erklärt sie: „Sobald diese Gruppen das Territorium kontrollierten, begannen sie damit, Gräueltaten an Zivilisten zu begehen. Deshalb denke ich, dass es nun viel zu spät ist“. Es ist sehr schwierig für Journalisten, in dieses Gebiet einzureisen, und diejenigen, die das Wort ergreifen, riskieren ihr Leben.
(Aus dem Artikel „How Syria’s Afrin became hell for Kurds“, der bei Open Democracy erschienen ist. Übersetzung von Alexander Gruber.)