Während der 85-jährige Ayatollah Ali Khamenei Berichten zufolge schwer krank ist, scheint sein Sohn Mojtaba bereit zu sein, in die Fußstapfen seines Vaters als Führer des Irans zu treten.
Shachar Kleiman
Schattenherrscher, Milliardär und Torwächter zum Obersten Führer des Irans – das sind einige der Titel von Mojtaba Khamenei. Der Sohn des derzeitigen Führers scheint gleichzeitig ein militanter Konservativer, ein pragmatischer Intellektueller, ein Kandidat für das Amt seines Vaters und ein Präsidentschaftskandidat zu sein.
Nach dem Angriff der israelischen Luftwaffe auf den Iran erreichten die Diskussionen über ihn sogar die USA. In einer Analyse in der New York Times (NYT) schrieb der erfahrene Journalist Steven Erlanger über einen aufkommenden Nachfolgekampf in Teheran und wies darauf hin, dass der 85-jährige Oberste Führer Ayatollah Ali Khamenei Berichten zufolge schwer krank sei. Im klerikalen Establishment herrscht deswegen Unruhe und viele erwähnen zunehmend, dass der zweitälteste Sohn des Führers, der 55-jährige Mojtaba, eines Tages seine Nachfolge antreten könnte.
Arabische Medien stellten kürzlich die These auf, der Iran stehe nach dem israelischen Angriff vor zwei Wegen: einer diplomatischen Einigung mit dem Westen oder einem Rennen um Atomwaffen, bei dem das Risiko einer umfassenden regionalen Konfrontation besteht. Befürworter der Diplomatie setzen ihre Hoffnungen auf Mojtaba und sehen in ihm einen potenziellen »Architekten des Wandels«.
Schlüsselfaktor Revolutionsgarde
»Mojtabas allmählicher Aufstieg hat es ihm ermöglicht, innerhalb des Regimes an Einfluss zu gewinnen«, schrieb der libanesische Journalist Nadim Koteish in einem Artikel in der in Saudi-Arabien ansässigen und in London erscheinenden panarabischen Zeitung Asharq Al-Awsat. »Er ist bekannt für seine engen Beziehungen zur Revolutionsgarde (IRGC) und für seinen strategischen Einfluss hinter den Kulissen sowie für seine Beteiligung an der Verwaltung des riesigen Vermögens des Irans, das unter der Kontrolle seines Vaters auf hundert bis zweihundert Milliarden Dollar geschätzt wird.«
Ein Analyst am Persischen Golf schätzte Mojtabas persönliches Vermögen auf etwa drei Milliarden Dollar, die größtenteils auf Banken in Großbritannien und anderen Ländern verteilt sind.
Koteish betonte, »Mojtabas absolute Loyalität gegenüber dem ideologischen Kern des Regimes« gehe »mit einem pragmatischen Verständnis der geopolitischen Realitäten einher. Seine Rolle gewann nach dem Tod des ehemaligen Präsidenten Ebrahim Raisi mit dem Amtsantritt des derzeitigen Präsidenten Masoud Peseschkian und Mojtabas Aufsicht über die Anzeichen des Wandels, den Peseschkian mit sich bringt, an Bedeutung.«
Das plötzliche Ende von Raisi, der im vergangenen Mai bei einem Hubschrauberabsturz ums Leben kam, war nicht die einzige Entwicklung, von der Mojtaba profitierte. Mit der Tötung von Qassem Soleimani, dem Kommandeur der Quds-Einheit der Revolutionsgarde, der im Jahr 2020 bei einem US-Raketenangriff ums Leben kam, wurde ein weiterer bedeutender Rivale ausgeschaltet.
Sowohl Raisi als auch Soleimani waren prominente Kandidaten für die Nachfolge von Khamenei Senior, wobei Ersterer über eine umfangreiche Erfahrung und ein höheres religiöses Ansehen verfügte, während Letzterer zu Lebzeiten zu einem Symbol geworden war und von Khamenei fast wie ein Adoptivsohn behandelt wurde.
Koteish zählte die Vorteile von Mojtaba auf: So mache ihn »sein Einfluss innerhalb der Revolutionsgarde zu einer stabilisierenden Figur, was seine Verhandlungsposition stärkt, wenn er sich dafür entscheidet, interne und regionale Verhandlungen zu führen. Seine engen Beziehungen zu hochrangigen Militär- und Sicherheitsbeamten verleihen ihm die Glaubwürdigkeit, um die Unterstützung der pflichteifrigen Basis des Regimes während eines möglichen Übergangs zu sichern. Als Sohn des Obersten Führers gilt er als Symbol der ideologischen Kontinuität des revolutionären Regimes, was ihm möglicherweise die einzigartige Autorität verleiht, Reformen zur Anpassung und Nachhaltigkeit des Systems durchzuführen.«
Außerdem werde er mit seinen fünfundfünfzig Jahren »als Teil der jüngeren Generation in einem alternden Regime angesehen, was ihm theoretisch Flexibilität und ein Verständnis für den internen Druck im Iran sowie die Auswirkungen der internationalen Isolation verleiht. Dies könnte ihm helfen, die Unterstützung einer jüngeren Generation zu gewinnen, die von der Stagnation im Iran frustriert ist.«
Viele Menschen im Iran lehnen jedoch grundsätzlich jede Form der Erbmonarchie ab, insbesondere, wenn die Führung vom Vater auf den Sohn übergeht. Mojtaba wird als untrennbar mit der herrschenden Elite verbunden wahrgenommen und sein Image durch Zweifel, er könnte einen echten Wandel herbeiführen, getrübt. Einige sehen in ihm einen Extremisten, da er sich nicht weniger als sein Vater für die Zerstörung Israels einsetzt.
Der Kämpfer aus der Wüste
Mojtaba Khamenei wurde 1969 in Mashhad, der zweitgrößten Stadt des Irans, als zweiter Sohn eines damals schon prominenten schiitischen Geistlichen geboren, der später zum iranischen Staatsoberhaupt wurde und einer seiner vielen Lehrer war. Vor der Revolution gegen das Schah-Regime Ende der 1970er Jahre wurden Mojtaba und seine drei Brüder Zeugen der gewaltsamen Verhaftung ihres Vaters. Nach dem Aufstieg von Ayatollah Ruhollah Khomeini an die Macht zog die Familie nach Teheran, wobei sich ihr sozioökonomischer Status erheblich verbesserte, als Ali Khamenei in zahlreiche Positionen berufen wurde, darunter die des stellvertretenden Verteidigungsministers.
Mojtaba wurde während des Iran-Irak-Kriegs von 1980 bis 1988 erwachsen. Im Alter von neunzehn Jahren schloss er sich mit einem iranischen Bataillon namens Habib ibn Mazaher den Kämpfen in den südlichen Wüsten des Iraks an. Das Ausmaß seiner Beteiligung am Krieg ist unklar. Während einige Berichte ihn als heldenhaften Kämpfer beschreiben, sollten diese Behauptungen mit Vorsicht betrachtet werden.
Es ist aber bekannt, dass Mojtaba als Sohn von Khamenei, dem damaligen Präsidenten, keine besonderen Privilegien genoss. Allerdings schmiedete er Allianzen mit Kämpfern und Kommandeuren, die später in leitende Positionen berufen wurden, und bildete eine Koalition aus Politikern, Geistlichen und Offizieren der Revolutionsgarde. Der prominenteste unter ihnen war Hossein Taeb, der später den IRGC-Geheimdienstflügel leitete. Ein weiterer Verbündeter war Mojtabas Bataillonskommandeur Hassan Mohakek, der später stellvertretender Geheimdienstchef wurde. Einige Jahre nach seiner Rekrutierung wurde Mojtaba von seinem Vater nach Teheran zurückgerufen.
Westliche Quellen berichten, dass Khamenei Junior zweimal im Rahmen von »Zeitehe«-Vereinbarungen geheiratet hat – eine von Khomeini gebilligte Praxis, die Beziehungen zu einer Frau ohne langfristige Bindung und oft gegen ihren Willen ermöglicht. Später ging Mojtaba eine politisch strategischere Ehe mit der Tochter des damaligen Parlamentssprechers ein, der heute einer der Berater von Khamenei Senior ist. Das Paar reiste mehrmals nach Großbritannien, um sich dort einer Fruchtbarkeitsbehandlung zu unterziehen und wurden schließlich Eltern von zwei Söhnen und einer Tochter.
Auf den ersten Blick scheint Mojtaba kein natürlicher Nachfolger zu sein. Sein älterer Bruder, der neunundfünfzigjährige Mustafa, trägt den Titel eines Ayatollah, der schiitischen Gelehrten verliehen wird, die fortgeschrittene islamische Studien abgeschlossen haben. Im Gegensatz zu Mojtaba verfügt Mustafa über eine bedeutende religiöse Autorität und hat ebenfalls im Iran-Irak-Krieg gekämpft. Trotz seines Studiums in Qom erreichte Mojtaba nie eine umfassende religiöse Autorität und hat seinem Bruder gegenüber außer seinen politischen Ambitionen nichts voraus.
Dennoch leiden beide unter einem ähnlichen Problem. So sprach sich Revolutionsführer Khomeini gegen eine erbliche Führung aus, und selbst Mustafas und Mojtabas Vater Ali Khamenei hat sich – zumindest öffentlich – dagegen ausgesprochen.
Würde Mojtaba jedoch schrittweise in die Führung eingebunden und von der Expertenversammlung gewählt, könnte der Übergang akzeptiert werden. Seit der Ernennung seines Vaters zum Obersten Führer ist Mojtabas Ansehen stetig gestiegen, und nicht zufällig gilt Khamenei Junior als hoher Funktionär im Büro seines Vaters.
Seit den 1990er Jahren ist Mojtaba in politischen und sicherheitspolitischen Angelegenheiten tätig. Veteranen des Iran-Irak-Kriegs umgaben ihn und übernahmen Sicherheitspositionen. Dieser Kreis steht im Verdacht, die Wahlergebnisse im Iran zu manipulieren. Daher ist sein Einfluss im Geheimdienst der Revolutionsgarde und in der paramilitärischen Basisch-Miliz, die für die Unterdrückung von Protesten verantwortlich ist, stark. Zugleich haben ihn seine Verbindungen zu einem potenziellen Spitzenpolitiker, der jedoch sowohl von iranischen Oppositionellen als auch von bestimmten Politikern des Establishments zutiefst verabscheut wird, auch zu einer umstrittenen Persönlichkeit gemacht.
Der Strippenzieher
In einem durchgesickerten und über WikiLeaks veröffentlichten britischen Memo an das US-Außenministerium wird Mojtaba als »Sohn des Obersten Führers Ali Khamenei« beschrieben, »der innerhalb des Regimes als mächtige Persönlichkeit und fähiger Manager gilt und vielleicht dazu bestimmt ist, zumindest einen Teil der nationalen Führung zu übernehmen«. Das amerikanische Finanzministerium hat Sanktionen gegen ihn verhängt, die sich gegen den Generalstab des iranischen Militärs und neun Personen richten, die vom iranischen Staatsoberhaupt ernannt wurden oder in seinem Auftrag handeln.
Kurz gesagt: Mojtaba Khamenei ist nicht nur ein nationaler Politiker, sondern auch eine einflussreiche regionale Persönlichkeit, die Einfluss auf arabische Hauptstädte und schiitische Milizen hat, die von dem von Soleimani vor seinem Tod geknüpften Netzwerk finanziert und geleitet werden.
Die oppositionelle Medienplattform Iran International berichtete kürzlich, dass der Kommandeur der Luft- und Raumfahrtstreitkräfte des IRGC, Brigadegeneral Amir Ali Hajizadeh, bei einem geheimen Treffen der Revolutionsgarde in der Vergangenheit Mojtabas Rolle bei der Finanzierung des Drohnenprogramms und der Raketenentwicklung lobte – dasselbe Netzwerk, das Berichten zufolge Ende Oktober von Israel ins Visier genommen wurde. Während dieses Treffens lobte auch ein weiterer hochrangiger Funktionär Mojtabas militärische Expertise, während Khamenei Junior die Gelegenheit nutzte, die Regierung des damals amtierenden Präsidenten Raisi dafür zu kritisieren, »das Land in eine Sackgasse geführt« zu haben.
Es scheint, dass Mojtabas Einfluss im Iran fast überall hinreicht, von Medienpostenbesetzungen bis hin zum Universitätsbetrieb in der gesamten Islamischen Republik, und er ist sicherlich an Entscheidungen im Zusammenhang mit regionalen Konflikten mit Israel und den Verhandlungen über das Atomprojekt mit dem Westen beteiligt. Aber wie im Fall des saudi-arabischen Kronprinzen Mohammed bin Salman wird sich Mojtaba Khamenei erst nach dem Tod des Vaters seiner wahren Bewährungsprobe stellen müssen, wenn er entweder entmachtet wird – oder sich langfristig an der Spitze der iranischen Führung positionieren kann.
Der Text erschien auf Englisch zuerst beim Jewish News Syndicate. (Übersetzung von Alexander Gruber.)