Von Alex Feuerherdt
Nach dem terroristischen Attentat in Tel Aviv interessieren sich viele deutsche Medien weniger für die jüdischen Opfer, sondern vor allem für die mögliche – und natürlich in jedem Fall für überzogen gehaltene – Reaktion der israelischen Regierung. Dem zugrunde liegt die so gewohnte wie bizarre Logik, dass eine Eskalation immer erst dann gegeben ist, wenn der jüdische Staat sich wehrt.
Wieder einmal haben palästinensische Terroristen ihr mörderisches Werk verrichtet, diesmal mitten in Tel Aviv, im belebten und beliebten Sarona-Park. Die in einem Vorort von Hebron lebenden Cousins Ahmad Mussa Makhamreh und Khalid Muhammad Mussa Makhamreh, beide 21 Jahre alt, erschossen dort am vergangenen Mittwochabend vier Menschen und verletzten 17 weitere teilweise schwer. Ihr Attentat hatten sie professionell vorbereitet: Sie betraten in schwarzen Anzügen und mit Krawatten – also gut gekleidet und damit unauffällig – das im Park gelegene Café „Max Brenner“, bestellten sich ein Dessert und etwas zu trinken und warteten darauf, dass sich der Laden füllt. Dann gaben sie ihre tödlichen Schüsse ab. Beide Täter konnten festgenommen werden. Die Reaktionen auf palästinensischer Seite waren die gewohnt abscheulichen: Die Hamas pries den Anschlag als „heldenhafte Tat“, die Fatah sah in ihm eine „individuelle und natürliche Reaktion“, in Hebron wurde er mit einem Feuerwerk gefeiert, in einem „Flüchtlingslager“ südlich von Bethlehem gab es eine lautstarke Solidaritätskundgebung, in anderen Orten des Westjordanlandes und in Gaza wurden Süßigkeiten an die Bevölkerung verteilt.
Das Augenmerk vieler deutscher Medien gilt allerdings – trotz der außerordentlichen Heimtücke und Kaltblütigkeit der Tat – weniger der Sicherheit der Israelis; und auch die bodenlose Menschenverachtung, die aus den palästinensischen Freudenbekundungen spricht, sind allenfalls ein untergeordnetes Thema. Man interessiert sich mehr für die Maßnahmen, die sich die israelische Regierung nun überlegen könnte.
Dass die in den Augen zahlreicher Journalisten nur komplett überzogen, aber niemals legitim und angemessen sein können, zeigt sich bereits daran, dass etliche Beiträge wie gehabt nicht ohne Begriffe wie „Hardliner“ und „ultrarechter Verteidigungsminister“ (FAZ.net), „ultrarechter Hardliner“ (Berliner Zeitung) oder „lautester Hardliner“ (ZEIT Online) auskommen. „Wie reagieren die rechten Hardliner in Israels Regierung?“, fragt auch Nicola Abé auf Spiegel Online gleich im zweizeiligen Vorspann ihres Beitrags. Der neue israelische Verteidigungsminister Avigdor Lieberman sei „in der Vergangenheit“ schließlich „durch brutale Rhetorik“ aufgefallen und habe mit Moshe Yaalon „eine der letzten vernünftigen Stimmen in der derzeitigen ultrarechten israelischen Regierung“ beerbt.
Mord an Juden? Business as usual!
Man muss sich das noch einmal vergegenwärtigen: Palästinensische Killer töten und verletzen wahllos und hinterhältig Gäste eines israelischen Cafés, verbreiten Tod, Hass, Angst und Schrecken und demonstrieren damit, dass sich auch im lebensfrohen Tel Aviv niemand – und schon gar kein Jude – seines Lebens sicher sein kann. Im Gazastreifen und im Westjordanland wird dieser Judenmord frenetisch gefeiert – weshalb sich einmal mehr die Frage stellt, wie (und warum) die Israelis mit solchen Menschen eigentlich Frieden schließen sollen. Das Ganze geschieht just zu einem Zeitpunkt, da die seit Oktober 2015 dauernde „Messer-Intifada“ gerade spürbar abgeflaut war, weshalb der jüdische Staat zum muslimischen Fastenmonat Ramadan 83.000 zusätzliche Reisegenehmigungen für Palästinenser – etwa für Familienbesuche in Israel, die Teilnahme an Gebeten in Jerusalem oder Reisen vom Tel Aviver Flughafen aus – erteilt hatte. Wo aber sitzen für deutsche Medien die Hardliner? Logisch: in der israelischen Regierung.
„Die Frage ist nun, ob der rechte Verteidigungsminister Lieberman auf Eskalation setzt“, so Nicola Abé weiter. Ein bemerkenswerter Satz, der einer bezeichnenden Logik folgt. Um eine Eskalation handelt es sich demzufolge nämlich erst, wenn Israel reagiert – getreu dem Motto: „Alles begann, als er zurückschlug“. Die Ermordung von Juden in Tel Aviv ist demgegenüber business as usual, und wer das Menschenmögliche dafür tun will, dass sie sich nicht wiederholt, ist ein Hardliner – ein (ultra)rechter noch dazu. Vermutlich sind der Autorin von Spiegel Online „die ‚soften Juden‘ der Vergangenheit lieber, die sich nicht verteidigt haben“, wie Gerd Buurmann in einem lesenswerten Kommentar auf seinem Blog Tapfer im Nirgendwo schreibt. „Die sind nämlich tot, und man kann so schön Kränze für sie flechten, Stolpersteine verlegen und sie in Sonntagsreden einbauen, ohne dass sie mucken.“
Verdrehung von Ursache und Wirkung
Auch die Berliner Morgenpost hebt in ihrem Beitrag die israelische Reaktion auf den Anschlag hervor. „Israel droht Palästinensern mit Vergeltung“, lautet ihre Schlagzeile, mit der das bei „Israelkritikern“ so beliebte Bild von der „alttestamentarischen Rache“ heraufbeschworen wird. ZEIT Online titelt derweil: „Israel verbietet Palästinensern die Einreise“, legt den Schwerpunkt also ebenfalls nicht auf das Attentat, sondern sieht den Nachrichtenwert in der als repressiv und autoritär dargestellten israelischen Antwort. Eine ähnliche Überschrift wählt FAZ.net: „Israel widerruft Einreisegenehmigung für Palästinenser“. De
r Südwestrundfunk geht unterdessen auf seinem Twitter-Account auf Äquidistanz, kann (oder will) Ursache und Wirkung also nicht auseinanderhalten: Mit den Worten: „Nach den vier Toten in Tel Aviv wird die Spirale der Gewalt wohl weitergedreht“ kommentiert der Sender dort die Schlagzeile von tagesschau.de: „Netanyahu sagt Terroristen Kampf an“. „Spirale der Gewalt“ heißt: Terror und Selbstverteidigung, Mord und Sühne, Antisemitismus und jüdische Souveränität – es ist alles das Gleiche, moralisch, politisch, rechtlich. Auch hier lautet die Botschaft: Das Problem beginnt erst, wenn Israel sich wehrt.
Die Hamas hat nach den Morden von Tel Aviv angekündigt, es werde während des Ramadan „weitere Überraschungen“ für Israel geben. Sollte es dazu kommen, wird eine andere Überraschung allerdings mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ausbleiben: die nämlich, dass in der Nahostberichterstattung der Hardliner unter den deutschen Medien einmal nicht Ursache und Wirkung sowie Täter und Opfer verdreht werden, nicht der Antisemitismus unterschlagen wird und das israelische Recht auf Selbstverteidigung nicht bloß eine Worthülse ist.