„Vor fünf Jahren floh ich aus meinem Heimatland Marokko in die Schweiz, weil mein Leben in Gefahr war, nachdem ich mich öffentlich als Ex-Muslim bekannt hatte. Das gilt in Marokko für viele als Todsünde. Denn Ex-Muslim zu sein, bedeutet, nicht mehr an den Koran und seine Lehren zu glauben, den Glauben frei zu wählen, was ein grundlegendes Menschenrecht ist. (…)
Wenn ich die Scharia, die Stellung der Frauen oder der Apostaten in der islamischen Welt kritisiere, wenn ich darauf bestehe, den Islam in seinem historischen Kontext zu verstehen, und für eine islamische Aufklärung plädiere, wird mir vorgeworfen, islamophob zu sein. Und ich frage mich: Warum nehmen so viele Schweizer Kritik am Islam als islamophob wahr?
Der Vorwurf der Islamophobie ist das bevorzugte Mittel muslimischer Fundamentalisten, um jegliche Kritik am Islam zu unterbinden. Indem auch einige meiner Schweizer Freunde auf Social Media diesen Vorwurf übernehmen, sabotieren sie jede Anstrengung für einen Wandel und eine Aufklärung in der islamischen Welt. Statt sich auf die Seite der säkularen Muslime und Ex-Muslime zu stellen, helfen sie dem islamischen (Rechts-)Extremismus. (…)
Diese Verteidigung des Islams ist unter vielen westlichen, nichtmuslimischen Akademikern verbreitet – auch weil sie Toleranz gegenüber anderen Kulturen und das Ideal des Multikulturalismus hochhalten. Das ist durchaus positiv, doch tappen sie so in die Falle des Kulturrelativismus: Sie sind überzeugt davon, dass Europäer und Amerikaner kein Recht haben, nichtwestlichen Gesellschaften westliche Werte aufzuzwingen.
Dabei übersehen sie, dass sie so diese Gesellschaften nicht als gleichwertig und die universalen Menschenrechte nicht als für alle geltend ansehen. Sie vergessen, dass es Menschen in der islamischen Welt gibt wie mich, die sich für ihr Land ebenso die Freiheit einer säkularen Gesellschaft wünschen, dafür aber oft mit dem Tod bedroht werden.“
(Kacem El Ghazzali: „Wer den Islam kritisiert, ist noch lange nicht islamophob“)