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Zwei Jahre 7. Oktober 2023: Wenn ein antisemitisches Massaker zu mehr Antisemitismus führt

Österreichische Teilnehmer der Gaza-Flottille nach ihrer Rückkehr nach Wien
Österreichische Teilnehmer der Gaza-Flottille nach ihrer Rückkehr nach Wien (© Imago Images / Anadolu Agency)

Der Antisemitismus wird von einer Gesellschaft genährt, die noch das abwegigste israelfeindliche Ressentiment als Argument behandelt, über das sich rational diskutieren ließe.

Zwei Jahre ist es her, als Terroristen der Hamas und anderer Terrorgruppen sowie Tausende palästinensische »Zivilisten« aus dem Gazastreifen in Israel einfielen und dort das schlimmste Massaker an Juden seit dem Ende des Holocaust verübten. Rund um diesen traurigen Jahrestag widmeten sich viele Medien den erschreckenden Folgen, welche die Verbrechen des 7. Oktober 2023 in Form einer bislang ungeahnten Welle des Antisemitismus nach sich gezogen haben. Von einer »Zäsur für Juden in Österreich« sprachen etwa die Salzburger Nachrichten. Das Massaker habe auch »das Leben für viele Juden und Jüdinnen in Österreich verändert«.

Das ist nur allzu wahr, wie auch die Zahlen der Antisemitismus-Meldestelle der Israelitischen Kultusgemeinde Wien zeigen: Im Jahr 2024 wurden dort 1.520 antisemitische Vorfälle registriert, was einen Anstieg der Fälle um 32,5 Prozent gegenüber dem schon schlimmen Jahr 2023 bedeutete, in dem die Zahlen nach dem Hamas-Massaker in Israel in die Höhe geschossen waren. Jeden Tag ereigneten sich vergangenes Jahr somit mehr als vier antisemitische Vorfälle, wobei der Bericht der Meldestelle zu bedenken gibt, dass von einer erheblichen Dunkelziffer an nicht gemeldeten Fällen ausgegangen werden muss.

Von der Gesellschaft genährt

So richtig es also ist, auf die wegen des antisemitischen Hasses veränderte Lebenssituation von Juden in Österreich, Deutschland und anderswo hinzuweisen, so kurzsichtig ist es, den aktuell grassierenden Wahn nur darauf zu reduzieren. Denn dabei wird ein wesentlicher Punkt nicht verstanden: Ja, der Hass richtet sich gegen Juden (und vermehrt auch gegen alle, die nicht in die hysterische Verdammung Israels einstimmen), aber er ist ein Problem der Gesellschaft, aus der heraus er erwächst und die ihn gedeihen lässt.

Er wird unter anderem genährt von Medien, die den blinden Hass auf den jüdischen Staat nicht als das behandeln, was er ist, sondern wie eine respektable Haltung, deren Pro und Kontra seriös diskutiert werden müsse. So etwa, wenn die in jeglicher Hinsicht jenseitige Gaza-Bootskarawane als ein an Frieden und Menschenrechten interessiertes Unterfangen porträtiert wird, ohne auf die Hamas-Verbindungen ihrer Organisatoren hinzuweisen. Oder wenn Extremisten an Bord der Boote – wie die vom Tagesspiegel als »Stimme des Israelhasses« bezeichnete Yasemin Acar, die Terror gegen Israel bejubelt, Angriffe der Huthi auf die Schifffahrt vor der jemenitischen Küste feiert und erst Ende Juli wegen Widerstand gegen und Angriffe auf Polizisten, Verleumdung und versuchte Körperverletzung verurteilt wurde –, allen Ernstes als »Menschenrechtsaktivisten« dargestellt werden.

Der Hass wird genährt, wenn einem österreichischen Ex-Schifahrer, der sich ebenfalls an Bord eines der Schiffe der Flotte befand, Platz für ein Interview eingeräumt wird, in dem er unwidersprochen blanken Unsinn von sich geben darf, als handle es sich bei diesem offenkundig ideologisch Derangierten um einen Gesprächspartner, dessen Stimme gehört werden müsse – obwohl er Verschwörungsfantasien über angeblich die Welt kontrollierende »Oligarchen« verbreitet, sich nach seiner Ausweisung aus Israel in einem weinerlichen Mimimi-Video kurzerhand mit Häftlingen in NS-Konzentrationslagern vergleicht und so blind vor Hass ist, dass er nicht einmal den Namen Israel über die Lippen bringt.

Was stimmt mit Medien nicht, die das maritime Propagandaspektakel zugunsten der Hamas nach wie vor als »Hilfsflotte« bezeichnen, obwohl längst klar ist, dass praktisch keine Hilfsgüter an Bord der Schiffe waren?

Gefährliches Missverständnis

Was läuft in einer Gesellschaft schief, in der just zum Jahrestag des Massakers vom 7. Oktober 2023 in Berlin zu einer Demonstration unter dem Motto »Bis zur vollständigen Befreiung« aufgerufen wird, wobei das Morden, Vergewaltigen und Verstümmeln von 1.200 Israels als »heldenhafter Ausbruch« gepriesen wird, mit dem »die Menschen in Gaza« ihre »Freiheit erobert« hätten? Wie werden unsere Gesellschaften damit umgehen, dass Judenmord und Massenvergewaltigungen als »heldenhafter palästinensischer Widerstand« bzw. »heldenhafter Kampf für Gerechtigkeit, Freiheit [und] Würde« bejubelt werden?

Wie reagieren wir darauf, dass hier ungeschmälerte Terror-Apologie betrieben wird, wenn es am Ende des Aufrufs heißt: »Wir entschuldigen uns nicht für ihren Widerstand; ihr Widerstand ist unsere Hoffnung. Er ist unser Versprechen. Generation für Generation«? (Dass Judenmord eine zu bejubelnde Absicht ist, mit der in Deutschland in so manchen Familien Angehörige verschiedener Generationen zueinander finden, dürfte die einzige zutreffende Behauptung in diesem Aufruf gewesen sein.)

Was macht es mit einer Gesellschaft, wenn auf in Berlin affichierten Plakaten zur Ermordung von Lokalbetreibern aufgerufen wird, bloß, weil sie Veranstaltungen unter anderem zum Thema Antisemitismus organisieren und solidarisch zu Israel stehen?

Dass solcher Wahnsinn ein Problem »nur« für Juden sei, ist ein gefährliches Missverständnis des Antisemitismus, der immer schon das Symptom einer gesellschaftlichen Malaise war. Mit den Argumenten und Diskussionen völlig unzugänglichen Quartalsirren, die heute durch unsere Straßen ziehen und hysterisch »From the River to the Sea« kreischen, obwohl sie weder wissen, welcher Fluss gemeint ist, noch, um welches Meer es sich handelt, werden wir uns noch viele Jahre auseinandersetzen müssen, wenn das Thema »Palästina« auf der Jagd nach dem nächsten TikTok-Selfie schon längst einer anderen Gelegenheit zur eitlen Selbstdarstellung gewichen sein wird.

Das ist ein Auszug aus dem jüngsten Mena-Watch-Newsletter vom 8. Oktober. Wenn Sie unseren Newsletter künftig immer schon am Mittwochnachmittag erhalten wollen, melden Sie sich hier an.

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