Von Alex Feuerherdt
Der saudische Kronprinz schlägt bemerkenswert versöhnliche Töne gegenüber Israel an. Das gefällt dem ARD-Korrespondenten Carsten Kühntopp nicht besonders – denn er befürchtet, dass dadurch die Sache der Palästinenser in den Hintergrund treten und der jüdische Staat in einem zu positiven Licht erscheinen könnte. Sein öffentlich-rechtlicher Kommentar ist eine Ungeheuerlichkeit.
Vor wenigen Tagen hat sich der saudische Kronprinz Mohammed bin Salman in einem Interview ungewöhnlich konziliant gegenüber Israel geäußert. Nicht nur die Palästinenser, sondern auch die Israelis hätten das Recht auf ihr eigenes Land, in dem sie friedlich leben können sollten, sagte er. Israel sei außerdem eine große und wachsende Wirtschaftsmacht, und es gebe viele Interessen, die man miteinander teile. Das sind beachtliche Töne, die natürlich viel damit zu tun haben, dass die hegemonialen Ambitionen und kriegerischen Aktivitäten des Iran im Nahen Osten den Saudis ein Dorn im Auge sind. In diesem Punkt verbindet Saudi-Arabien einiges mit dem jüdischen Staat, den das Regime in Teheran bekanntlich als Todfeind betrachtet. Die Äußerungen von bin Salman sind aber, wie Thomas von der Osten-Sacken deutlich gemacht hat, nicht bloß rein taktischer Natur und nicht nur eine Folge des saudischen Kampfes gegen den Iran um Deutungshoheit und Einfluss in der Region. Sie sind vielmehr auch ein Ausdruck der sich entwickelnden Bereitschaft zu Veränderungen, die im Land der Ajatollahs undenkbar scheinen.
Auch Carsten Kühntopp vom ARD-Studio Kairo treiben bin Salmans Worte um, allerdings aus einem anderen Grund: Die Quintessenz seines Kommentars ist es, dass zu viel Annäherung zwischen Saudi-Arabien und Israel die Sache der Palästinenser in den Hintergrund treten und den jüdischen Staat in einem zu positiven Licht erscheinen lassen könnte. Zwar konstatiert Kühntopp pflichtschuldig, es sei „bemerkenswert, dass ein so ranghohes Mitglied des saudischen Königshauses Israel ein Existenzrecht zuspricht“. Doch gleich darauf schränkt er ein, Riad habe ja bereits im Jahr 2002 die Arabische Liga zu dem Angebot veranlasst, Frieden mit Israel zu schließen, wenn es zu einer Einigung mit den Palästinensern kommt. Dieses Angebot habe der jüdische Staat jedoch nicht angenommen. Dass es dafür gute Gründe gab – der „Friedensplan“ sah unter anderem die für Israel vollkommen inakzeptable Anerkennung des palästinensischen „Rückkehrrechts“ und damit die Aufnahme von mehr als vier Millionen Palästinensern in Israel vor –, sagt Kühntopp nicht.
Kühntopp spielt die Gefahr durch den Iran herunter
Schon an dieser Stelle wird deutlich, worauf sein Kommentar hinausläuft: Der jüdische Staat soll als das eigentliche Hindernis für den Frieden im Nahen Osten dargestellt werden – und sich bloß nicht einbilden, „dass die Saudis zu einem Separatfrieden mit Israel bereit wären, der die Rechte der Palästinenser ignorieren würde“. Deshalb habe König Salman auch auf der Umsetzung der „legitimen Rechte der Palästinenser auf einen eigenen Staat mit Jerusalem als Hauptstadt“ beharrt. Doch „die Sorge vor dem wachsenden Einfluss des Iran in der Region“ lasse „einstige Feinde zusammenrücken“. In vielen arabischen Hauptstädten sei, so stellt Kühntopp mit besorgtem Unterton fest, „die Solidarität mit den Palästinensern zu einem nachrangigen Thema geworden – während der ‚Anti-Iranismus‘ immer wichtiger wird“.
Dass es für diesen „Anti-Iranismus“ gute Gründe gibt, kommt auch der ARD-Mann nicht umhin festzustellen. Denn dass sich das Regime in Teheran, wie er es formuliert, „vielerorts im Nahen Osten in arabische Belange einmischt“, sei „nicht zu bestreiten“. Doch „gerade in den Ölmonarchien am Persischen Golf“ steigere sich dies nun „zu einer Hysterie“, findet Kühntopp. Mohammed bin Salman etwa habe gesagt, der oberste geistliche Führer des Iran, Ali Khamenei, lasse Hitler „gut aussehen“. Das sei „ein unendlich dummer Satz“, der außerdem befürchten lasse, „dass der Kronprinz die europäische Geschichte nicht gut genug kennt“. Kühntopp kennt dafür offensichtlich die nahöstliche Gegenwart nicht übermäßig gut, sonst hätte er die äußerst aggressive, auf Expansion ausgerichtete, mit direkten und indirekten militärischen Mitteln exerzierte Interventionsstrategie des Iran in Ländern wie Syrien, dem Libanon und dem Jemen nicht bloß als „Einmischung in arabische Belange“ bezeichnet und damit heruntergespielt.
Mal wieder soll Israel an allem schuld sein
Außerdem hätte er dann nicht behauptet: „Dass Israel und die meisten arabischen Staaten bisher nicht in Frieden gelebt haben, lag nicht an einer vermeintlich revanchistischen Politik der Saudis, sondern daran, dass Israel während der vergangenen Jahre immer weiter nach rechts gerückt ist.“ Mit diesem Satz macht Kühntopp am unmissverständlichsten deutlich, wer für ihn der Hauptschuldige an der unfriedlichen Situation im Nahen Osten ist – nämlich der jüdische Staat. Nicht die antisemitische Hetze, die Kriege und die Vernichtungsdrohungen, die immer wieder von arabischen Staaten, vom Iran und von diversen Terrororganisationen gegen Israel ausgegangen sind und weiterhin ausgehen – völlig unabhängig davon übrigens, wer in Israel gerade die Regierung stellt –, haben demnach den Frieden verhindert, sondern ein „Rechtsruck“ in Israel. Fast könnte man denken, dass Kühntopp ernsthaft glaubt, die arabisch-muslimische Welt wäre ohne den jüdischen Staat ein Hort der Liberalität.
„Weder im Parlament noch in der Regierung gibt es jetzt eine Mehrheit für eine gerechte Friedenslösung mit den Palästinensern“, behauptet der Korrespondent weiter. Damit könnte er sogar insofern Recht haben, als die meisten Israelis das, was Kühntopp in diesem Zusammenhang für gerecht hält, vermutlich in der Tat nicht für eine Lösung halten, die der Sicherheit ihres Landes zuträglich ist. Wie aber sieht es diesbezüglich auf palästinensischer Seite aus? Ganz einfach: Dort hält man weiterhin unbeirrt und unbeirrbar an der Maximalforderung einer „Befreiung ganz Palästinas“ fest, das heißt: am Vorhaben einer Zerstörung Israels. Gestritten wird nur darüber, wie sich das am besten bewerkstelligen lässt. Das erfährt man von Carsten Kühntopp jedoch nicht, stattdessen ist er davon überzeugt, dass der fehlende Frieden auch etwas damit zu tun hat, „dass das palästinensische Lager seit mehr als einem Jahrzehnt heillos zerstritten ist“. Und wer ist daran schuld? Natürlich „der Westen, der die Spaltung zwischen Fatah und Hamas maßgeblich betrieb“.
In dieser Sichtweise sind die Palästinenser und ihre Organisationen also schlicht für gar nichts verantwortlich zu machen. Selbstmordanschläge und Raketenterror? Israel ist „immer weiter nach rechts gerückt“! Keine Friedenslösung? Die Israelis wollen sie nicht! Die Hamas wirft Fatah-Mitglieder erst von Hochhausdächern und dann aus dem Gazastreifen? Der Westen hat sie gegeneinander ausgespielt! Und jetzt vernachlässigen auch noch die Saudis und andere Ölmonarchien ihre palästinensischen Brüder und Schwestern, weil sie den Iran in ihrer geschichtslosen Hysterie für schlimmer halten als Israel! Von palästinensischen Emissären würde man kaum etwas anderes erwarten als solche Vereinfachungen und Schuldzuweisungen. Wenn derlei aber im öffentlich-rechtlichen deutschen Rundfunk ersonnen und verbreitet wird, ist das ungeheuerlich.