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Wie „Diplo-Sprech“ fragwürdige Prioritäten deutscher Außenpolitik verrät

Braucht keine Kritik zu befürchten: Palästinensischer „Außenminister“ Riad Al-Malki beim Treffen mit Heiko Maas
Braucht keine Kritik zu befürchten: Palästinensischer „Außenminister“ Riad Al-Malki beim Treffen mit Heiko Maas (© Imago Images / photothek)

Der Nahe Osten verändert sich, mehrere arabische Staaten schließen Frieden mit Israel, der israelisch-palästinensische Konflikt steht nicht mehr im Mittelpunkt. Doch die deutsche Außenpolitik hält unverändert an ihren Prioritäten fest. Zu diesen gehört es auch, sich immer wieder einseitig auf den jüdischen Staat zu fixieren.

Am vergangenen Dienstag verschickte das Auswärtige Amt eine Nachricht über seinen Twitter-Account: „Dass Israel und die Palästinenser ihre Sicherheitskoordination wieder aufnehmen, ist seit langem die beste Nachricht im Nahostfriedensprozess!“, habe der deutsche Außenminister Heiko Maas seinem israelischen Amtskollegen Gabi Ashkenazi in einem Telefonat mitgeteilt.

Das konnte stutzig machen: Seit langem die beste Nachricht im Nahostfriedensprozess? Gab es da nicht die Friedensverträge, die der jüdische Staat unlängst mit drei arabischen Staaten geschlossen hatte? Oder sollte das deutsche Außenamt sie etwa nicht für der Rede wert halten?

Der Tweet sorgte jedenfalls für Unverständnis, etwa bei Volker Beck. Der Grünen-Politiker kritisierte, ebenfalls auf Twitter, Maas wirke „obsessiv“ und „nicht rational analysierend“. Zwar sei es gut, wenn Israel und die Palästinensische Autonomiebehörde in Belangen der Sicherheit zusammenarbeiten. „Dass arabische Staaten mit Israel ihre Beziehungen normalisierten“, sei allerdings „von größerer [und] anhaltender Bedeutung“.

Auch Leonard Kaminski – Autor, Politikberater und ehemaliges Mitglied des Parlaments der Jüdischen Gemeinde zu Berlin – war merklich irritiert. „Ist das Euer Ernst, Auswärtiges Amt?“, fragte er. „Drei Länder, die bis vor kurzem von der Vernichtung Israels geträumt haben, leben seit ein paar Wochen mit ihren jüdischen Nachbarn in Frieden. Und nur, weil Ihr das weder absehen konntet noch etwas damit zu tun hattet, ignoriert Ihr es?“

Nur eine Frage des „Diplo-Sprechs“?

Keineswegs, versicherte das Außenamt, man habe vielmehr „die Aufnahme von Beziehungen [zwischen] Israel und arabischen Ländern mehrfach als einen historischen Beitrag zum Frieden begrüßt“. Doch „im Diplo-Sprech“, ergänzte das Ministerium in einem weiteren Tweet, „bezieht sich ‚Nahostfriedensprozess‘ auf Israel und die Palästinenser“. Und in diesem Kontext habe es „lange keine guten Nachrichten“ gegeben.

Daraufhin wandte Kaminski ein: „Ob man eine Trennung zwischen israelisch-palästinensischem einerseits [und] israelisch-arabischem Konflikt andererseits so rigoros vornehmen kann, ist fragwürdig – egal, ob in Diplo-Kreisen oder außerhalb davon.“ Tatsächlich verrät die begriffliche Verengung der deutschen Diplomatie an dieser Stelle eine zweifelhafte Weltsicht: Dass der Frieden im Nahen Osten vor allem oder gar alleine an einer Einigung von Israelis und Palästinensern hängt, lässt sich nicht (mehr) ernsthaft behaupten.

Wenn sich der „Diplo-Sprech“ dennoch nicht an die veränderten Gegebenheiten anpasst, dann nicht bloß aus Gewohnheit oder Schwerfälligkeit, sondern auch und vor allem, weil man diese Anpassung gar nicht für erforderlich hält.

Mag der Krieg in Syrien auch in wenigen Jahren ein Vielfaches der Todesopfer gefordert haben, die es im gesamten israelisch-palästinensischen Konflikt gab; mag der Iran auch die gesamte Region destabilisieren und von der nuklearen Vernichtung des jüdischen Staates träumen – im Auswärtigen Amt hält man eisern daran fest, dass der „Nahostfriedensprozess“ von anderen Akteuren abhängt.

Einseitige Fixierung auf Israel

Eigentlich sogar nur von Israel. Denn wie soll man es sonst interpretieren, dass sich Deutschland stets an der alljährlichen antiisraelischen Verurteilungsorgie auf der Generalversammlung der Vereinten Nationen beteiligt – auch diesmal wieder? Wie soll man es sonst verstehen, dass der jüdische Staat auch schon mal im Bundestag für etwas gemaßregelt wird, das er noch gar nicht getan hat? Wie soll man es sonst deuten, dass jeder Ausbau israelischer Ortschaften und Gemeinden etwa in Ost-Jerusalem gerügt wird, während der palästinensische „Außenminister“ Riad Al-Malki bei seinem Treffen mit Heiko Maas in Berlin keinerlei Kritik zu gewärtigen hat, sondern nur freundliche Unterstützung?

„Es ist bemerkenswert, wie oft und motiviert im Deutschen Bundestag über Israel diskutiert wird“, hatte der FDP-Abgeordnete Bijan Djir-Sarai während der Parlamentsdebatte im Juli gesagt, als es um die mögliche Ausdehnung israelischer Souveränität auf Teile des Westjordanlandes ging. „Bis zum heutigen Tag kenne ich keine einzige Resolution, kein einziges Papier des Deutschen Bundestags, wo die Islamische Republik Iran verurteilt wird, wo Menschenrechtsverletzungen im Iran verurteilt werden und wo vor ­allem die Rolle des Irans in der Region verurteilt wird.“

Deutschland ist nach dem Rückzug der USA mittlerweile auch der größte Geldgeber für die UNRWA, also das höchst umstrittene Hilfswerk der Vereinten Nationen für die Palästinenser. Erst kürzlich hatte der deutsche Außenminister dem neuen Generalsekretär der Einrichtung eine weitere Erhöhung der Zuwendung zugesagt.

Zwar findet sich im Koalitionsvertrag der Regierungsparteien die Ankündigung, für eine Reform der UNRWA einzutreten. Doch diesbezüglich hat sich bis heute nichts getan, auch nicht nach dem Rücktritt des vormaligen Generalsekretärs, gegen den UN-intern wegen des Verdachts auf Machtmissbrauch, sexuelles Fehlverhalten, Diskriminierung und einen tyrannischen Umgang mit Mitarbeitern ermittelt worden war.

Der Impuls der Friedensabkommen Israels

„Deutschland und seine europäischen Partner erhoffen sich durch die Entwicklungen neue Impulse für den Nahostfriedensprozess“, hieß es Anfang Oktober in einer Erklärung des Auswärtigen Amtes zu den jüngsten Friedensverträgen zwischen Israel und arabischen Ländern. „Denn für langfristige Stabilität und Frieden in der Region ist eine Lösung des Konflikts zwischen Israel und den Palästinensern unabdinglich.“ Auch hier also wurde der „Nahostfriedensprozess“ mit der „Lösung des Konflikts zwischen Israel und den Palästinensern“ gleichgesetzt.

Einmal abgesehen davon, dass der Stellenwert, den die deutsche Regierung diesem Konflikt verleiht, fragwürdig ist, haben die Friedensabkommen Israels mit den Vereinigten Arabischen Emiraten, Bahrain und dem Sudan tatsächlich einen Impuls gesendet: Sie haben gezeigt, dass längst nicht mehr alle arabischen Staaten die „Palästinafrage“ für zentral halten und dass die von der Bundesregierung hervorgehobene Konfliktlösung keine Priorität mehr hat.

Dass die palästinensische Führung nun angekündigt hat, die Sicherheitskooperation mit Israel wiederaufzunehmen, ist ein Ergebnis dieser veränderten Gegebenheiten. Denn so sehr sich Mahmud Abbas & Co. auch darüber echauffieren mögen, dass arabische Staaten mit Israel einfach Frieden schließen, ohne das vorher mit ihnen abgestimmt zu haben, so klar ist auch, dass solche Klagen nichts ändern. Wenn sich die Palästinenser nicht mit diesen Veränderungen arrangieren und stattdessen weiterhin an ihrer Verweigerungshaltung festhalten, geraten sie noch weiter ins Hintertreffen.

Sie müssen derzeit feststellen, dass sich im Nahen Osten nicht mehr alles um sie dreht und sich Entwicklungen an ihnen vorbei vollziehen. Wenn sie ihre Obstruktionspolitik nun hinterfragen und auf Israel zugehen, ist das in der Tat eine gute Nachricht – und eine Folge der noch viel bedeutenderen Nachricht, dass sich die Zahl der Friedensverträge Israels mit arabischen Ländern innerhalb kurzer Zeit mehr als verdoppelt hat. Auch wenn das deutsche Außenamt weiterhin nicht willens ist, sich diese Gewichtung und Prioritätensetzung zu eigen zu machen.

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