Bedingt durch die akuten weltweiten Krisen, in denen Nothilfe geleistet werden muss, vernachlässigt das Welternährungsprogramm die syrische Bevölkerung.
Inzwischen vergessen scheint das Schicksal all der Syrer zu sein, die während des Bürgerkriegs in den Norden des Land geflohen sind und seit Jahren in der Provinz Idlib unter verheerenden Bedingungen ihr Leben fristen müssen.
Über zwei Millionen Menschen müssen größtenteils ohne Perspektive in notdürftig unterhaltenen Lagern zurechtkommen. Um zu überleben, sind die meisten von Lebensmittelhilfen abhängig, die allerdings seit geraumer Zeit immer weniger werden. Denn einerseits mehren sich die weltweiten Krisen, in denen dringend Nothilfe geleistet werden muss – man denke etwa nur an den katastrophalen Bürgerkrieg im Sudan –, andererseits sinkt der Wille von Industrienationen, in Dauerkonflikte wie in jenen in Syrien zu investieren.
Die Folgen sind fatal, denn erneut muss nun das Welternährungsprogramm die Rationen für Menschen in Syrien drastisch kürzen:
»Das Welternährungsprogramm (WFP) hat angekündigt, dass es sein primäres Hilfsprogramm in Syrien im Januar aufgrund fehlender Finanzmittel beenden wird. Diese Entscheidung kommt zu einer Zeit, in der mehr als zwölf Millionen Menschen in dem vom Krieg zerrütteten Land Schwierigkeiten haben, regelmäßig Zugang zu ausreichender Nahrung zu erhalten, wobei drei Millionen von ihnen nach Angaben der Vereinten Nationen unter akuter Ernährungsunsicherheit leiden.
Im Juli gab das WFP bekannt, dass es die Hilfe für fast die Hälfte der 5,5 Millionen Syrer, die es unterstützt hatte, aufgrund finanzieller Engpässe kürzen musste. Einen Monat später kürzte die Organisation die Bargeldhilfe für syrische Flüchtlinge in Jordanien abermals. Mitte September gab das WFP bekannt, wegen Mittelkürzungen gezwungen zu sein, die Nahrungsmittelhilfe bei mehreren Einsätzen, darunter auch in Syrien, erheblich zu reduzieren. In der Erklärung des WFP vom Montag wurde betont, dass diese Kürzungen zu einem Zeitpunkt erfolgen, an dem die Ernährungsunsicherheit in Syrien ihren schlimmsten Stand erreicht und voraussichtlich Millionen von Menschen betroffen sein werden.«
Diese Maßnahme betrifft allerdings nicht nur Binnenvertriebene, sondern auch große Teile der restlichen Bevölkerung Syriens, sowohl in den Gebieten, die das Assad-Regime kontrolliert, als auch in jenen, die entweder unter kurdischer Selbstverwaltung stehen oder von syrisch oppositionellen Milizen kontrolliert werden.
Kurzzeitgedächtnis
Die Hiobsbotschaft erreicht Syrien zu einer Zeit, in der aus dem benachbarten Libanon bislang über 250.000 Menschen, die dort als Flüchtlinge gelebt haben, vor dem Krieg zwischen Israel und der Hisbollah zurück in ihr ehemaliges Heimatland fliehen. Die israelischen Angriffe auf Hisbollah-Stellungen im Südlibanon und der Bekaa-Ebene haben zu einer massiven Flüchtlingswelle geführt; laut Angaben des UNHCR sollen inzwischen mehr als eine Million Menschen betroffen sein.
Syrische Flüchtlinge gehen aus reiner Not heraus in ihr Heimatland zurück, obwohl viele fürchten, von den Sicherheitskräften des Assad-Regimes festgenommen, gefoltert oder gar »eliminiert« zu werden. Zusätzlich müssen sie versorgt werden, da sie nichts besitzen, wovon sie leben könnten. Es stellt sich die Frage, warum gerade jetzt die internationale Hilfe weiter zusammengestrichen wird angesichts der Tatsache, dass Assads Syrien de facto ein bankrotter Staat ist.
»Familien, mit denen ich gesprochen habe, sind um ihr Leben gerannt und haben keine Ahnung, was der morgige Tag nach einer anstrengenden, gefährlichen Reise zur Grenze bringen wird. Sie kommen mit wenigen Mitteln an und benötigen dringend Hilfe.« Mit diesen Worten beschrieb ein Vertreter des UNHCR die Situation an einem der syrisch-libanesischen Grenzübergänge.
Zu befürchten ist auch, dass es für diese »Rückkehrer« keinen Weg mehr zurück in den Libanon oder ein anderes Aufnahmeland geben wird, denn seit Jahren versucht der Zedernstaat, sich der über eine Million Flüchtlinge aus dem Nachbarland zu entledigen und deportierte in den vergangenen Monaten schon Zehntausende, wie unter anderem Human Rights Watch Anfang des Jahres dokumentierte.
Eigentlich müsste klar sein, welche Konsequenzen die Kürzungen von Hilfe für Syrien haben dürften. Aber offenbar erinnert sich in Europa niemand mehr daran, dass die große Flüchtlingswelle 2015 unter anderem ausgelöst wurde, weil das Welternährungsprogramm damals schon Rationen für syrische Flüchtlinge kürzen musste.