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Welche Rolle der Iran bei der Verfolgung von Christen im Nahen Osten spielt

Iraniasche christinnen feiern Weihnachten
Iranische Christinnen feiern Weihnachten (© Imago Images / ZUMA Wire)

Der Iran betreibt bei der Verfolgung von Christen eine »Strategie der Eliminierung«, die sich in einer organisierten und unerbittlichen Kampagne zur Reduzierung christlicher Präsenz im Nahen Osten äußert.

David Isaac

Geht es um die Verfolgung von Christen im Nahen Osten, übersehe der Westen eine entscheidende Komponente, sagte Farhad Rezaei, Gastdozent an der York University in Toronto während einer Zoom-Präsentation am 22. Februar. Dieses fehlende Element sei der Iran.

In der Präsentation, die von The Philos Project, einer christlichen Gruppe, die sich für Pluralismus im Nahen Osten einsetzt, organisiert wurde, erklärte er, der Iran spiele eine zentrale Rolle bei der Zerstörung christlicher Gemeinschaften, insbesondere im Irak, in Syrien, im Libanon und im Jemen.

In westlichen Medien werde dennoch die Meinung vertreten, »nur Dschihadisten« wie Al-Qaida und der Islamische Staat (IS) stünden hinter der Verfolgung von Christen in der Region, sagte Rezaei, der Senior Fellow beim Philos Project ist.

»Die Realität ist viel komplexer als das einfache Bild, dass Dschihadisten kommen und Christen töten.«

Rezaei zufolge verfolge der Iran eine »Strategie der Eliminierung«: eine organisierte, systematische und unerbittliche Kampagne zur Reduzierung christlicher Präsenz im Nahen Osten.

»Eliminierung« bedeute, die christlichen Gemeinschaften zu dezimieren, indem man ihnen das Leben unerträglich mache, u. a. durch Beschlagnahmung von Privateigentum, willkürliche Inhaftierung, Folter, öffentliche Aufhetzung gegen sie, Entführung und Tötung, erklärte Rezaei, der sieben Monate lang zu diesem Thema recherchiert hat und in den kommenden Wochen einen Bericht mit seinen Ergebnissen veröffentlichen wird.

Dramatischer Rückgang

Rezaei gab in seinem Vortrag einen Überblick über den dramatischen Rückgang der christlichen Bevölkerung im Irak, in Syrien, im Libanon und im Jemen.

Im Irak lag die Zahl der Christen vor 2003 bei 1,5 Millionen. Derzeit liegt sie zwischen 141.000 und 171.000, was 0,3 Prozent der Bevölkerung entspricht. Die meisten seien von den mit dem Iran verbündeten schiitischen Milizen vertrieben worden. In dem Zusammenhang bezeichnete Rezaei die Christen im Irak als »die unbestrittenen Verlierer der konfessionellen Konflikte«.

In Syrien betrug die christliche Bevölkerung vor 2011 2,3 Millionen. Heute sind es nur noch 677.000. Bevor Präsident Bashar al-Assad während des Bürgerkriegs auf iranische Hilfe angewiesen war, ließ er seine christlichen Minderheiten in Ruhe. Laut Rezaei waren es die iranischen Militärberater der syrischen Armee, die die »Strategie der Eliminierung« in Syrien einführten.

»In einigen Fällen trugen die Iraner und die libanesische Hisbollah die Uniform der Armee des Assad-Regimes [um ihre Identität zu verbergen], aber die lokale Bevölkerung erkannte an ihrem Akzent, dass sie von der Hisbollah und aus dem Iran waren.«

Rezaei führte weiter aus, dass im Jemen, wo die vom Iran unterstützten schiitischen Huthis große Teile des Landes übernommen haben, die christliche Bevölkerung von 40.000 auf 3.000 Menschen zurückgegangen ist.

Im Libanon, wo die vom Iran unterstützte Hisbollah dominiert, ist der Anteil der Christen an der Gesamtbevölkerung von 54 Prozent auf 34 Prozent gesunken.

Radikalisierter Schiismus

Rezaei führt zwei Hauptgründe für die Umsetzung seines Eliminierungsplans durch den Iran an. Der eine sei strategischer Natur: Der Iran will eine Landbrücke zum Mittelmeer errichten, wobei die christlichen Gemeinden genau auf dieser Route beheimatet sind.

Der zweite sei ideologischer Natur: Der sogenannte Khomeinismus oder »neue Schiismus« betrachtet Christen und Juden als »Verunreinigung« bzw. »Befleckung«. Es sei zwar richtig, dass der Schiismus auch traditionell antichristliche und antijüdische Elemente enthalte, aber er sei »quietistisch«, was darauf hinauslaufe, dass Minderheiten weitgehend in Ruhe gelassen würden, wenn sie eine Dschizya-Steuer zahlten, also eine jährliche Pro-Kopf-Abgabe für Nicht-Muslime.

Dies änderte sich mit dem Aufstieg von Ayatollah Ruhollah Khomeini. Khomeini und ein weiterer wichtiger Geistlicher, Ayatollah Mohammad-Taqi Mesbah-Yazdi, wurden stark von Sayyid Qutb aus Ägypten beeinflusst, einem führenden Mitglied und Ideologen der Muslimbruderschaft, der als »Vater des salafistischen Dschihadismus oder des globalen Terrorismus« gelten könne, so Rezaei.

Khomeinis Mitstreiter Mesbah-Yazdi gründete das Haghani-Seminar, eine schiitische Ausbildungsstätte in der iranischen Stadt Qom, aus der viele bedeutende Politiker und Kleriker der Islamischen Republik hervorgegangen sind.

»Die meisten der hochrangigen Mitglieder des Korps der Islamischen Revolutionsgarden (IRGC) sind Schüler von Ayatollah Mesbah-Yazdi. Sie alle sind Absolventen der Haghani-Schule.«

Mesbah-Yazdi lehnte das Konzept der universellen Menschenrechte ab, da er es für ein Produkt der jüdisch-christlichen Tradition hielt, erläuterte Rezaei.

»Er entwickelte seine eigene Version islamischer Menschenrechte und -pflichten. Und nach dieser Version der Menschenrechte haben Muslime grundsätzlich das Recht, ihre religiösen Feinde zu töten.

Obwohl das iranische Regime den Holocaust leugnet, hat es eine Menge aus dem Holocaust gelernt. Seine Vertreter haben jedoch verstanden, dass sie Christen und Juden nicht mit denselben Methoden vernichten können, die die Nazis in Deutschland angewandt haben, wie zum Beispiel durch Gaskammern und Völkermord.

Also haben sie sich einen anderen Plan ausgedacht – und das ist die Strategie des Eliminationismus.«

Raymond Ibrahim, Autor von Sword and Scimitar: Fourteen Centuries of War between Islam and the West, stimmte Rezaei zu, dass »wir uns zu einseitig auf den IS und die radikalen Gruppen konzentrieren, nur weil sie die Spitze des Eisbergs sind« –, und dass der Iran einer der schlimmsten Akteure sei.

Der Islamforscher wies zwar darauf hin, dass der Löwenanteil der Verfolgung von Christen in sunnitischen Ländern stattfindet, dies aber aus dem einzigen Grund, weil dort wesentlich mehr Christen leben als in schiitisch geprägten Ländern.

So stehe der Iran weltweit an neunter Stelle der fünfzig im kürzlich veröffentlichten Bericht 2022 World Watch List der NGO Open Doors aufgeführten Länder, in denen die Christenverfolgung als am gravierendsten einzustufen ist. Jene auf den Rängen eins bis acht seien entweder sunnitische oder solche mit großem sunnitischem Bevölkerungsanteil, so Ibrahim.

Große Gleichgültigkeit

Rezaei erklärte gegenüber dem JNS, der Zweck seines Berichts bestehe nicht darin, die Verfolgung in sunnitischen Ländern zu leugnen. »Was ich damit sagen will, ist, dass die Iraner christliche Minderheiten auf organisierte Weise verfolgen«, sagte er und merkte an, die Verfolgung in sunnitischen Ländern wie zum Beispiel Pakistan sei zwar intensiv, werde aber nicht von oben organisiert und auf nationaler Ebene durchgeführt.

Sowohl Ibrahim als auch Rezaei sind der Meinung, dass die großen etablierten Menschenrechtsgruppen die Christenverfolgung bewusst nicht problematisieren. Als möglichen Grund dafür vermutet Ibrahim eine gewisse Furcht, als »tribalistisch« zu gelten, sollten sie als Christen anderen Christen zur Seite stehen.

»Ich denke auch«, so Ibrahim weiter, »dass ein großer Teil dieser Gleichgültigkeit auf die innere Feindseligkeit gegenüber ihrem eigenen Erbe zurückzuführen ist, in dem sich alle möglichen Sünden, sowohl reale als auch eingebildete, angehäuft haben. Es gibt eine Feindseligkeit gegenüber dem Christentum unter den Nachkommen der Christen.«

Rezaei sagte, es gebe noch Hoffnung für die christlichen Gemeinden, die vom Iran und seinen Stellvertretern bedrängt werden, aber dazu sei eine gemeinsame Anstrengung der westlichen Nationen unerlässlich. Er geht davon aus, dass im derzeitigen Klima, in dem die US-Regierung von Joe Biden versucht, den Iran zu beschwichtigen, kaum Fortschritte erzielt werden können, was aber »nicht heißt, dass wir schweigen sollten«.

Der Text erschien ursprünglich auf Englisch beim Jewish News Syndicate. Übersetzung: Alexander Gruber.

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