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Weibliche Genitalverstümmelung: Trotz UN-Resolution ein globales Verbrechen

Das Krankenhaus Waldfriede in Berlin weist auf das Desert Flower Project hin, in dem Mädchen mit Genitalverstümmelung betreut werden
Das Krankenhaus Waldfriede in Berlin weist auf das Desert Flower Project hin, in dem Mädchen mit Genitalverstümmelung betreut werden (© Imago Images / Klaus Martin Höfer)

Berliner Behörden registrieren die Zunahme von Patientinnen, die wegen Female Genital Mutilation (FGM, Genitalverstümmelung) behandelt werden müssen: Einwanderinnen sowie Mädchen aus Einwandererfamilien, die in ihren Herkunftsländern oder auch in Deutschland Opfer sogenannter „Beschneiderinnen“ wurden.

Zwei Nachrichten zum Thema Female Genital Mutilation (Genitalverstümmelung) gingen in den vergangenen Tagen durch die Medien: Der Sudan will diese Form der brutalen geschlechtsspezifischen Folter per Gesetz verbieten – und immer mehr Frauen, die Opfer dieser Praxis wurden, müssen deshalb in Berliner Krankenhäusern behandelt werden. Doch spätestens seitdem Waris Dirie 1998 das Buch „Wüstenblume“ veröffentlichte, ist das Problem bekannt; auch dass Mädchen zur Beschneidung in ihre Herkunftsländer gebracht oder „Beschneiderinnen“ aus diesen eingeflogen werden.

Bereits 2006 befasste sich das Ärzteblatt mit dem Thema:

„Die weibliche Genitalverstümmelung (Female Genital Mutilation, FGM) beschreibt nach einer Definition der Weltgesundheitsorganisation (WHO) jede nichttherapeutische, zum Beispiel religiös oder kulturell begründete, teilweise oder vollständige Entfernung oder Verletzung der weiblichen äußeren Genitale.

In den meisten Regionen Afrikas spricht man dagegen von „Beschneidung“ oder davon, ob eine Frau „offen“ oder „geschlossen“ ist. Der Ausdruck „Beschneidung“ sollte kritisch verwendet werden, da er – analog zur männlichen Zirkumzision – nur die Entfernung der klitoralen Vorhaut betrifft.

Der Ausdruck „weibliche Genitalverstümmelung“ trifft die Irreversibilität und Schwere des Eingriffs besser und wird auch von den Vereinten Nationen in allen offiziellen Dokumenten gebraucht. Dennoch sollte betroffenen Patientinnen gegenüber von „Beschneidung“ gesprochen werden, um sie mit der Wortwahl nicht zusätzlich zu stigmatisieren.

FGM betrifft weltweit circa 150 Millionen Frauen und Mädchen. Durch zunehmende Migration werden Ärztinnen und Ärzte auch in Deutschland vermehrt mit Patientinnen konfrontiert, die eine weibliche Genitalverstümmelung erlitten haben.“

Am 20. Dezember 2012, dem „Tag der Menschenrechte“, beriet die UNO-Vollversammlung zu dem Thema und erließ eine Resolution gegen FGM. Darin sprechen sich alle 194 Mitgliedsstaaten dafür aus, entsprechende Gesetze zu erlassen und deren Einhaltung streng zu überwachen. Trotzdem wird diese Form der geschlechtsspezifischen Folter auch fast 10 Jahre später noch in weiten Teilen der Welt praktiziert. Auch ein Verbot allein wird im Sudan nicht reichen, wie Kritiker befürchten.

Hunderte Millionen Mädchen und Frauen weltweit betroffen

Laut Unicef sind weltweit etwa 200 Millionen Mädchen und Frauen Opfer dieser Praxis, die in rund 30 Ländern in Afrika, aber auch in Ländern des Nahen Ostens und Asiens Tradition hat, jährlich etwa drei Millionen Mädchen, meist unter 15 Jahren.

Laut der von Waris Dirie gegründeten „Desert Flower Foundation“ leben in Europa 500.000 Frauen und Mädchen, an denen ein solcher Eingriff bereits vollzogen wurde, oder die ihn noch vor sich haben. In Deutschland waren der Frauenrechtsorganisation „Terre des Femmes“ (TdF) zufolge 2017 etwa 13.000 Mädchen von FGM bedroht, in Österreich sind etwa 8.000 Frauen betroffen, europaweit gibt es etwa eine halbe Million Opfer, die meisten davon in Frankreich.

Im Sudan sind laut TdF 87% aller Mädchen und Frauen zwischen 14 und 49 Jahren genitalverstümmelt. In Somalia sind es über 98 Prozent aller Frauen – über zwei Drittel davon wurden Opfer der sogenannten „Infibulation“ (siehe unten).

Indonesien stellt mit mehr als 200 Millionen Muslimen den Staat mit der größten muslimischen Bevölkerung dar. Trotzdem ist Indonesien kein islamischer Staat, aber fundamental-islamische Vorschriften und Riten finden immer weitere Verbreitung: So tragen Frauen zunehmend Kopftücher, die nicht nur das Haupt bedecken, sondern fast das gesamte Gesicht verhüllen, und der barbarische Akt der weiblichen Genitalverstümmelung nimmt zu. Auch wenn dieser nicht originär muslimisch ist, geht diese Praxis häufig mit der Verbreitung des Islam einher.

In der Region Java zum Beispiel gehören 94% der Bevölkerung dem muslimischen Glauben an – 96% der dort ansässigen Familien lassen ihre Töchter beschneiden. Organisiert von der Assalaam Foundation finden an speziellen Tagen Massenbeschneidungen in Schulen oder Gebetssälen statt. Diese sind zwar grundsätzlich abzulehnen, finden aber unter wesentlich besseren hygienischen Standards statt als in Afrika.

Zumeist wird die Beschneidung bei Mädchen im Alter bis 15 Jahre vorgenommen. Die gesundheitlichen und psychischen Folgen sind laut Terre des Femmes dramatisch: ständige Entzündungen im Genitalbereich, Inkontinenz, starke Schmerzen beim Geschlechtsverkehr, hohe Gefahr von HIV-Infektion. Bei der Menstruation kann das Blut nicht abfließen, bei einer Geburt ist das Leben von Mutter und Kind in Gefahr.

Verschiedene Formen

FGM wird nicht immer gleich – und vor allem nicht immer gleich brutal – ausgeführt, die WHO unterscheidet zwischen vier verschiedenen Typen:

„x)· Typ I: teilweise oder vollständige Entfernung des äußerlich sichtbaren Teils der Klitoris (Klitoridektomie) und/oder der Klitorisvorhaut (Klitorisvorhautreduktion).
Type Ia: Entfernung der Klitorisvorhaut
Type Ib: Entfernung der Klitorisvorhaut und der Klitoris

x)· Typ II: teilweise oder vollständige Entfernung des äußerlich sichtbaren Teils der Klitoris und der inneren Schamlippen mit oder ohne Beschneidung der äußeren Schamlippen (ExzisionExzision).
Type IIa: Entfernung der kleinen Schamlippen
Type IIb: Entfernung der kleinen Schamlippen und ganz oder teilweise Entfernung der Klitoris
Type IIc: Entfernung der kleinen und großen Schamlippen und ganz oder teilweise der Klitoris

x)· Typ III (auch Infibulation): Verengung der Vaginalöffnung mit Bildung eines deckenden Verschlusses, indem die inneren und/oder die äußeren Schamlippen aufgeschnitten und zusammengefügt werden, mit oder ohne Entfernung des äußerlich sichtbaren Teils der Klitoris.
Type IIIa: Abdeckung durch Aufschneiden und Zusammenfügung der kleinen Schamlippen
Type IIIb: Abdeckung durch Aufschneiden und Zusammenfügung der großen Schamlippen

x)· Typ IV: In dieser Kategorie werden alle Praktiken erfasst, die sich nicht einer der anderen drei Kategorien zuordnen lassen. Die WHO nennt beispielhaft das Einstechen, Durchbohren (Piercing), Einschneiden (Introzision), Abschaben sowie die Kauterisation von Genitalgewebe, das Ausbrennen der Klitoris oder das Einführen ätzender Substanzen in die Vagina.“

Laut WHO ist es schwierig, genaue Daten über die Verteilung der betroffenen Frauen und Mädchen auf die einzelnen Kategorien zu erfassen. Schätzungen aus 2008 zufolge wurden in Afrika Frauen und Mädchen über 15 Jahren zu 90% Genitalveränderungen der Typen I, II und IV vollzogen, an 10 % des Typs III, bei den unter 15 jährigen 20% des Typs III. Das würde bedeuten, dass dieser barbarische Akt sich weiter verbreitet.

Bei besagtem Typ III, oder auch Infibulation, werden die Beine des Mädchens von der Hüfte bis zu den Knöcheln für bis zu 40 Tage zusammengebunden, damit die Wunde heilen und die Haut über der Vaginalöffnung und dem Ausgang der Harnröhre zusammen wachsen kann. Lediglich eine kleine Öffnung für den Austritt des Urins, des Menstruationsbluts und der Vaginalsekrete soll bleiben. Dazu wird den Mädchen ein dünner Zweig in die Vagina gelegt oder Steinsalz in die Wunde gestreut (!).

Was tun?

Eine zündende Idee, wie die Mädchen und Frauen tatsächlich wirkungsvoll vor FGM geschützt werden können – auch nicht jene, die in Deutschland leben und in den Ferien zur „Beschneiderin“ gebracht oder geflogen werden – gibt es indes nicht.

In den meisten Ländern, in denen FGM praktiziert wird, gelten Mädchen als „unrein“, wenn sie nicht genitalverstümmelt wurden – und als für die Ehe unvermittelbar; also als Kostenfaktor. Die „Beschneiderinnen genießen hohes Ansehen und einen vergleichsweise hohen Lebensstandard, denn ihre Dienste bieten sie nicht pro bono an.

2013 wurde in Deutschland ein Gesetz verabschiedet, nach dem FGM mit einer Gefängnisstrafe von bis zu 15 Jahren geahndet werden kann. Auch im Sudan wird das geplante Gesetz nur etwas ändern, wenn mit der Zuwiderhandlung drastische Strafen verbunden sind.

Außer TdF beschäftigt sich auch die von Rüdiger Nehberg und seiner Frau gegründete Organisation „Target“ mit dem Thema. Diese setzt auf Aufklärung und die direkte Ansprache von Entscheidern in den betroffenen Regionen und der islamischen Welt. Die „Desert Flower Foundation“ bietet als einzige betroffenen Frauen die Möglichkeit der Rekonstruktion der entfernten Geschlechtsteile.

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