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Wechselbad der Extreme: Israels arabische Parteien nach der Wahl

Wahlplakat der arabisch-israelischen Hadash-Ta’al-Partei
Wahlplakat der arabisch-israelischen Hadash-Ta’al-Partei (© Imago Images / epd)

Im Gegensatz zu den letzten Knesset-Wahlen blicken Israels arabische Parteien auf gänzlich andere Ausgangssituationen. Wie geht es für sie weiter?

Bei den Wahlen in den Jahren 2015 und 2020 erlangten vier arabische Parteien durch ihren Zusammenschluss zur Vereinigten Liste dreizehn bzw. fünfzehn Mandate in der Knesset. Dass sie so viele Abgeordnetensitze, die erstmals die israelische arabische Minderheit adäquater in der Knesset repräsentierten, erringen und beide Male drittstärkste Fraktion des Parlaments werden konnten, wurde als aufsehenerregende Premiere für Israels arabische Parteipolitik bezeichnet.

Für eine noch bemerkenswertere Premiere sorgte nach der Wahl 2021 die aus der Vereinigten Liste ausgescherte Ra’am. Im Alleingang angetreten, schlug die Partei unter dem Vorsitz von Mansour Abbas einen bis dahin von den arabischen Fraktionen abgelehnten Weg ein, indem sie zur Förderung der Bedürfnisse der arabischen Minderheit eine Beteiligung an den Regierungsentscheidungen befürwortete.

Das Wahlergebnis ließ Ra’am damals zum Zünglein an der Waage bei den Koalitionsverhandlungen und nachfolgend zum Königsmacher bei der Regierungsbildung werden: eine präzedenzlose Rolle für eine arabische Partei Israels – erst recht, da Ra’am der Islamischen Bewegung entspringt.

Das Wahlergebnis 2022 verheißt den mittlerweile vier arabischen Parteien Israels – so scherte Balad mittlerweile ebenfalls aus der Vereinigten Liste aus – allerdings nicht nur einen Wandel bezüglich ihrer Knesset-Präsenz, sondern wirft auch Fragen im Hinblick auf ihre zukünftige Ausrichtung auf.

Erfolgreiche Wählermobilisierung

Da die Prognosen von einem historischen Tiefstand bei der arabischen Wahlbeteiligung ausgingen, sorgten sich diese die Minderheit der israelischen Gesellschaft vertretenden Parteien um ihren Knesset-Einzug, der nur durch das Überwinden einer Schranke von 3,25 Prozent möglich ist. Mit der Spaltung der Vereinigten Liste rückte für die verbliebenen Fraktionen von Hadash und Ta’al sowie die nun wieder allein agierende Balad ein solches Szenario noch näher, da arabische Wähler Konflikte unter ihren Parteien im Allgemeinen mit Wahlabstinenz quittieren.

Um ein Scheitern an der Sperrklausel abzuwenden, konzentrierten sich die arabischen Parteien in den letzten Wahlkampfwochen auf das Gewinnen jeder einzelnen Wählerstimme. NGOs des arabischen Sektors versuchten, arabische Wähler zur Wahrnehmung ihres demokratischen Mitspracherechts zu motivieren. Die Appelle trugen Früchte. Nicht wie angenommen weniger als vierzig Prozent, sondern über dreiundfünfzig Prozent der arabischen Stimmberechtigten gingen wählen, nur geringfügig weniger als durchschnittlich im Verlauf der elf Wahlen seit 1999.

Das brachte aus Sicht der arabischen Parteien einen weiteren Erfolg. In den letzten zwanzig Jahren gingen siebzehn bis einunddreißig Prozent der arabischen Wählerstimmen an »zionistische Parteien«. Dieses Mal waren es nur vierzehn Prozent – ein wahrhafter Tiefstand. 

Das ist nicht nur angesichts der Alleingänge der arabischen Parteien bemerkenswert, sondern auch, weil einige »zionistische Parteien« besonders intensiv um die Gunst der arabischen Wähler warben. Der Likud zum Beispiel investierte mehr als doppelt so viel Geld in arabischsprachige Facebook-Kampagnen als Ra’am und dreizehnmal so viel wie Hadash-Ta’al, blickt aber trotzdem auf lediglich zwei Prozent errungene arabische Wählerstimmen. Im Jahr 2021 waren es im Vergleich dazu noch über fünf Prozent.

Denkzettel-Opfer eines selbsternannten Siegers

Das Bündnis Hadash-Ta’al zog letztlich mit fünf Mandaten in die Knesset ein. Diese beiden Parteien blicken zusammen auf rund 180.000 Wählerstimmen, eine für sie übliche Größenordnung, was heißt, dass die Wahlmotivations-Kampagnen spurlos an ihnen vorbeizogen. Das ist nicht nur wegen der hohen arabischen Wahlbeteiligung auffällig, sondern sticht angesichts des Wahlergebnisses ihres Ex-Partners Balad noch mehr ins Auge.

Bei den fünf Wahlgängen, zu denen diese 1996 gegründete Partei mit panarabischer Ausrichtung alleine antrat, kam sie nur einmal in die Nähe von 100.000 Stimmen, zumeist blieb sie sehr deutlich darunter. Mit Anheben der Sperrklausel im Jahr 2014 hatte Balad keine Chance mehr, den Sprung in die Knesset zu schaffen, sodass sie sich anderen arabischen Parteien anschloss. Im letzten Parlament fiel von den sechs Sitzen der Vereinigten Liste ein Mandat auf Balad.

Parteivorsitzender Sami Abu Shehade zog nach dem Bruch mit Hadash-Ta’al alle Register, um Wähler zu gewinnen. Als arabischer Nationalist setzte er nicht nur auf die Gegner des Ra’am-Ansatzes, sondern vor allem auf Stimmberechtigte, die wegen des Umspringens von Hadash-Ta’al mit seiner Partei verärgert waren. 

In den frühen Prognosen errang Balad nicht einmal ein Prozent der Wählerstimmen. Der Wahltag zeigte, dass Abu Shehades Solidaritäts- bzw. Protestwahlaufruf erfolgreich war: Balad errang 2,91 Prozent der Wählerstimmen. Mit 138.617 Stimmzetteln eine bislang ungekannte Unterstützung dieser Partei, was der Antizionist Abu Shehade dann auch als Sieg hinstellte.

Diese Interpretation grenzt keineswegs nur deshalb ans Absurde, weil Balad trotz dieses Wahlergebnisses den Sprung ins Parlament nicht schaffte. Vor dem Hintergrund der Motivation seiner Wähler, die zwar Solidarität mit seiner Partei bekundeten, aber nicht zwangsläufig hinter deren politischer Ausrichtung stehen, muss sich Abu Shehade nicht nur Sorgen wegen des Schuldenbergs infolge ausbleibender Parteiförderung machen, sondern steht vor der Frage, wie die Partei außerparlamentarisch die Zeit bis zur nächsten Wahl überleben kann. 

Besonders haarsträubend an der Siegeserklärung des Parteichefs ist jedoch, dass mit Balads Scheitern fast 140.000 arabische Wählerstimmen, die an arabische Parteien gingen, den Bach hinuntergingen; sage und schreibe siebenundzwanzig Prozent der abgegebenen Stimmen aus diesem Teil der israelischen Gesellschaft.

Das Opfer von Shehades Denkzettelwahlkampfs ist trotz stagnierender Wählerzahl mit fünf Mandaten wahrlich gut weggekommen. Da die Vorsitzenden des Hadash-Ta’al-Bündnisses nach dem Ausstieg des arabisch-nationalistischen Partners Balad Andeutungen machten, eventuell den Weg von Ra’am einschlagen zu wollen, bedeutet ihr dennoch ansehnliches Wahlergebnis, dass sie ihre Wähler mit dieser Eventualität zumindest nicht abgeschreckt haben. 

Vielleicht geschah sogar genau das Gegenteil, denn gerade ihr Wahlergebnis könnte die Tendenz unterstreichen, dass sich eine Mehrheit der arabischen Wähler tatsächlich nicht mehr grundsätzlich gegen eine Beteiligung an Regierungsentscheidungen ausspricht. Auf einem anderen Blatt steht, dass das das Bündnis natürlich Wähler hat, die diese Haltung ebenso ablehnen wie einige der Abgeordneten. Folglich ist mehr als fraglich ist, ob Hadash-Ta’al bei einem Wahlausgang, der der Anti-Netanjahu-Koalition die Mehrheit gebracht hätte, diesen Weg wirklich gegangen wäre.

Gewinner und doch Verlierer?

Mansour Abbas’ Partei wurden vier Mandate prognostiziert. Die Partei konnte bei der Wahl zur 25. Knesset knapp 195.000 Wählerstimmen auf sich vereinen und damit um vierzehn Prozent mehr als bei der Wahl 2021. Eine deutliche Bestätigung für den Ra’am-Ansatz, der mit der traditionellen Distanzierung der arabischen Parteipolitik von israelischen Regierungsentscheidungen bricht, die noch mehr Aussagekraft erhält, angesichts der Tatsache, dass sich Ra’am zur tolerierenden Partei einer Koalition erklärt hatte, an der unter anderem Naftali Bennetts Pro-Siedlungspolitik-Partei Jamina beteiligt war. 

Zusätzliche Bedeutung erhält Ra’ams Wahlergebnis, weil Mansour Abbas’ Ziele während der Zeit der Veränderungskoalition im besten Fall rudimentär in Angriff genommen wurden, sich seine Wähler trotz Frustration darüber aber dennoch nicht von ihm und seinem Kurs abwandten. Ra’am blickt nicht nur auf ein Mandat mehr als vor dem Beschreiten dieses waghalsigen Weges mit unzähligen Stolpersteinen, sondern überflügelte bezüglich der Wählerstimmenzahl sogar Hadash-Ta’al, womit der Partei die große Errungenschaft zuteil wurde, zur stimmenstärksten arabischen Fraktion im israelischen Parlament geworden zu sein.

Wie weiter?

Als Mansour Abbas noch in der Wahlnacht Interviews gab, wurde klar: Die Enttäuschung über den Verlust so vieler arabischer Wählerstimmen, die mit dem Nichteinzug Balads dem Brachliegen preisgegeben wurden, brachte ihn an den Rand der Tränen. Über ein mögliches Aus seiner Einflussnahme zugunsten der Verbesserung der Lebensbedingungen der arabischen Gemeinschaft äußerte er sich zunächst nicht. 

Erst Tage später vernahm man wieder den bekannten Mansour Abbas: ruhig, überlegt, geradlinig und nach vorne schauend sein Ziel verfolgend. Beim Empfang bei Staatspräsident Jitzchak Herzog zur Empfehlung der Regierungsbildung äußerte Abbas seine Befürchtung, die neue Regierung könnte seinen Errungenschaften absichtlich schaden, meinte aber auch: »Wir geben unser Recht nicht auf, Partner zu sein und Einfluss zu nehmen.« 

Wenig später betonte der Ra’am-Abgeordnete Walid Taha, seine Partei lasse »die Tür für einen Dialog offen«. Mansour Abbas setzte nach, gewillt zu sein, »mit jeder Regierung, die gebildet wird, zusammenzuarbeiten«.

Wie ungewöhnlich Ra’ams Weg grundsätzlich und erst recht die Bekundung von Kooperationsbereitschaft angesichts der in Aussicht stehenden Zusammensetzung der neuen israelischen Regierung ist, veranschaulichte erst vor wenigen Tagen der Hadash-Vorsitzende Ayman Odeh. Er weigerte sich, dass Fotos von ihm im Knesset-Foyer aufgenommen werden, weil im Hintergrund die Staatssymbole und die israelische Flagge abgelichtet worden wären.

Wie es nun weitergeht, wird nicht nur auf die Haltungen der arabischen Parteien ankommen, denn zukünftig könnte der Vorsitzende der Religiösen Zionisten Bezalel Smotrich dann als Minister nicht mehr nur den arabischen Abgeordneten, sondern allen arabischen Bürgern Israels verkünden: »Ihr seid wegen eines Fehlers hier. Es war ein Fehler, dass Ben Gurion den Job nicht zu Ende führte und euch 1948 nicht hinausexpedierte.«

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