Der ESC-Gewinner JJ, sorgte mit der Forderung, Israel vom nächsten Eurovision Song Contest auszuschließen, für internationale Empörung.
In einem Interview mit der spanischen Zeitung El País sagte JJ, bürgerlich Johannes Pietsch: »Es ist sehr enttäuschend, dass Israel noch am Wettbewerb teilnimmt. Ich würde mir wünschen, dass der Eurovision Song Contest nächstes Jahr in Wien stattfindet, aber ohne Israel stattfindet.« Der Sänger zeigte sich zudem irritiert, dass Russland nicht am ESC teilnehmen dürfe, Israel aber schon, obwohl beide Länder gleichermaßen »Aggressoren« seien.
Politiker und zahlreicher Beobachter werfen Pietsch vor, antisemitische Narrative zu bedienen. Die Gleichsetzung Israels mit Russland würde dem jüdischen Staat sein Existenzrecht entziehen – ein Kernmotiv moderner Israel-Feindschaft. In den sozialen Netzwerken entwickelte sich binnen Stunden ein Shitstorm gegen den Sänger. Auf Plattformen wie X, Instagram und TikTok forderten zahlreiche Nutzer sogar eine nachträgliche Disqualifikation.
Auch Teile der heimischen Politik reagierten umgehend. »JJ braucht eine Geschichtslektion«, erklärte Johanna Mikl-Leitner (ÖVP), Landeshauptfrau von Niederösterreich. Alt-Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka (ÖVP) nannte die Äußerungen »geschichtsvergessen« und warf dem Künstler vor, islamistischen Terror zu verharmlosen. Auch Staatssekretär Alexander Pröll (ÖVP) sprach von »Geschichtsfälschung«.
Oskar Deutsch, der Präsident der Israelitischen Kultusgemeinde, reagierte ebenso scharf. Auf X warf er dem ESC-Gewinner vor, sich nach seinem Aufruf zur Liebe nun in den »Chor der Israel-Hasser« einzureihen. Deutsch sprach von einer »enttäuschenden, aber vor allem gefährlichen« Aussage.
Nachträglich disqualifizeren?
Der bekannte Kölner Rechtsanwalt Ralf Höcker forderte sogar die nachträgliche Disqualifikation des Siegers. »Und ich wünsche mir, dass der Eurovision Song Contest nächstes Jahr in Tel Aviv stattfindet, ohne den nachträglich zu disqualifizierenden Antisemiten JJ.« Zur Berliner Zeitung sagte er: »ESC-Teilnehmer dürfen den Wettbewerb laut Statuten nicht als Plattform für politische Propaganda missbrauchen – schon gar nicht für derart widerliche. JJ gehört nachträglich disqualifiziert. Von den Zuschauern hatte ohnehin Israel die meisten Stimmen bekommen. «
Der ORF distanzierte sich hingegen nur knapp. Pietschs Aussagen seien »Privatmeinungen«, so die Rundfunkanstalt. Die Wiener Staatsoper, bei der der Sänger beschäftig ist, zeigte bislang keine Reaktion.
Die Europäische Rundfunkunion (EBU) als Veranstalter des ESC erklärte hingegen, ihre Rolle sei es, einen Song Contest zu organisieren, der auf Zusammenhalt, Diversität und Inklusion achte. Die EBU verstehe sich zudem als Zusammenschluss öffentlich-rechtlicher Rundfunkanstalten und nicht staatlicher Stellen. Es sei nicht ihre Aufgabe, zwischen Konflikten Vergleiche zu ziehen, so die EBU in einem Statement.
Kritik trifft Massaker-Überlebende
Nach der ersten Kritik an seiner Person wollte sich Pietsch nicht weiter äußern. Später erklärte er gegenüber der APA, es tue ihm leid, »falls meine Worte missverstanden wurden. Obwohl ich die israelische Regierung kritisiere, verurteile ich jegliche Form von Gewalt gegen Zivilisten überall auf der Welt – sei es gegen Israelis oder Palästinenser.« Explizit zurückgenommen hat er seine Aussagen nicht.
Als »besonders schäbig«, bezeichnen viele Kritiker die Aussagen von Pietsch, da sie direkt gegen die diesjährige israelische ESC-Teilnehmerin Yuval Raphael gerichtet sind. Raphael überlebte den Terroranschlag der Hamas auf das Nova-Musikfestival am 7. Oktober 2023 nur knapp. Sie versteckte sich stundenlang in einem Bunker unter Leichen, um nicht getötet zu werden. Ihr Auftritt beim ESC wurde von vielen als Zeichen der Aufarbeitung verstanden. Raphael selbst hielt sich bei der Veranstaltung politisch weitgehend zurück: »Alle Geiseln müssen nach Hause kommen«, sagte sie der Neuen Zürcher Zeitung. Nach dem Finale erklärte sie: »Ich wollte meinem Land eine kleine Sekunde Frieden schenken.«
Verschwörung wegen Voting
Pietsch kritisierte außerdem das Televoting. »Dieses Jahr war alles sehr seltsam«, sagte er. Der Sänger nimmt damit Bezug auf die großen Unterschiede zwischen Jury- und Publikumsstimmen. Während die Fachjurys Israel nur mittlere Platzierungen einräumten, schnitt das Land beim Publikum deutlich besser ab und konnte sich so Platz zwei holen.
Die spanische Rundfunkanstalt RTVE forderte deshalb eine Überprüfung des Televotings. Der Sender, der vor dem Beitrag Israels ein antiisraelisches Insert einblendete, vermutet eine politische Einflussnahme im Zusammenhang mit dem Nahostkonflikt. Auch der belgische Sender VRT möchte von den Veranstaltern Aufklärung und stellte die Teilnahme Belgiens im nächsten Jahr infrage. In den sozialen Medien kursieren seitdem zahlreiche Verschwörungstheorien über politische Einflussnahme oder Manipulation, die offenbar auch Pietsch ohne Beweise verbreitet.
Boykott gegen die Toleranz
Pietsch beklagte zudem, dass er beim Finale keine Regenbogenflagge zeigen durfte. »Europa wird konservativer«, sagte er. Er wolle seine Sichtbarkeit künftig nutzen, um sich für »queere Rechte« einzusetzen.
Pietsch ist mit seinen Israel-Aussagen nicht alleine. Auch der vorjährige Schweizer ESC-Sieger Nemo hatte im Vorfeld des Wettbewerbs Kritik an Israels Teilnahme geäußert und bediente dabei wie Pietsch antisemitische Ressentiments. In einem offenen Brief forderten zudem frühere ESC-Teilnehmer einen Boykott Israels.
Besonders pikant dabei: Pietschs und Nemos Boykottaufruf würde vor allem die sehr aktive Queer-Community in Israel treffen, die sich für Frieden, Freiheit, Toleranz und Gleichheit einsetzt und auch viele Palästinenser in ihren Reihen aufweist. Die Transgender-Sängerin Dana International, die den ESC 1998 für Israel gewann, ist bis heute eine Leitfigur der LGBTQ-Bewegung und wird vor allem von rechten und ultranationalen Politikern angefeindet.
Aber dafür reicht wohl die »Liebe nicht aus. JJ ist wie sein Songtitel einfach ›Wasted Love‹«, schreibt eine Nutzerin auf X.