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Was erwartet den Libanon nach dem Umsturz in Syrien?

Der libanesische Drusenführer Walid Jumblatt zu Besuch bei Syriens Milizenführer Ahmed al-Sharaa
Der libanesische Drusenführer Walid Jumblatt zu Besuch bei Syriens Milizenführer Ahmed al-Sharaa (Imago Images / UPI Photos)

Der Sturz des Regimes von Baschar al-Assad in Syrien hat schwerwiegende Auswirkungen auf den Nahen Osten, insbesondere auf das unmittelbare Nachbarland Libanon.

Aktuell werden immer mehr Fragen nach den Auswirkungen der neuen Situation in Syrien auf den Libanon gestellt, sei es in Bezug auf die Hisbollah-Milizen, die Institutionen, die durch das wiederholte Scheitern bei der Wahl eines Präsidenten unter einem politischen Vakuum leiden, oder den Staat im Ganzen, der seit Jahrzehnten unter der Vormundschaft von Damaskus steht. Das soll nun anders werden.

Um die Beziehungen zwischen den beiden Ländern wieder in konstruktive Bahnen zu lenken, besuchte der libanesische Drusenführer Walid Jumblatt gemeinsam mit einer Delegation den neuen syrischen Machthaber und zugleich Anführer der islamistischen Rebellengruppe HTS, Ahmed al-Sharaa – besser bekannt unter seinem Kampfnamen Abu Mohammed al-Julani – im Präsidentenpalast von Damaskus.

Während des Treffens bekräftigte al-Sharaa, Syrien und die Milizen seien »in eine neue Phase des Aufbaus eingetreten und stehen allen Akteuren äquidistant gegenüber. Wir möchten eine Partnerschaft mit dem Libanon aufbauen, da dieser Syriens strategische Tiefe repräsentiert.« 

Al-Sharaa beschuldigte das Assad-Regime, den libanesischen Premierminister Rafik Hariri ermordet zu haben und sich die Einmischung Syriens in die politischen Agenden des Libanons höchst negativ ausgewirkt hätten, deshalb »werden [wir] keine Partei im Libanon auf Kosten einer anderen unterstützen und hoffen, dass die dortige Spaltung ein Ende findet. Wir haben die Region vor einem großen regionalen Krieg bewahrt und werden uns nicht in die Angelegenheiten des Libanons einmischen«.

Klärung offener Fragen

Libanesischen Berichten zufolge überreichte Jumblatt, einer der wichtigsten politischen Führer des Landes, bei seiner Visite ein Memorandum über seine Vision einer künftigen Zusammenarbeit. Dazu zählen insbesondere die Frage der libanesischen Häftlinge in syrischen Gefängnissen und die Überprüfung der Vormundschaft, die Damaskus dem Libanon seit Jahrzehnten gewaltsam auferlegt hat. 

Das Memorandum beinhaltet auch die Kontrolle der gemeinsamen Grenze: So soll die Festlegung der See- und Landgrenzen beschleunigt, illegale Grenzübergänge geschlossen und der Schmuggel unterbunden werden. Außerdem fordert der Drusenführer faire Gerichtsverfahren für die an den Verbrechen Beteiligten und die Ausforschung jener, die in den vergangenen Jahrzehnten an politischen Morden im Libanon beteiligt waren.

Seit Oktober 2022 herrscht im Libanon, bedingt durch die Unnachgiebigkeit der Hisbollah, ein Präsidialvakuum, da die Terrorgruppe, die mit dem Iran verbündet ist, darauf beharrte, nur solche Kandidaten für das Präsidentschaftsamt zu nominieren, die für Damaskus akzeptabel waren, während für die übrigen Parteien solch syrien- und irantreue Kandidaten als inakzeptabel galten.

Anderer Kontext

Laut dem leitenden Redakteur des Malcolm H. Kerr Carnegie Middle East Center, Michael Young, wird die Parlamentssitzung zur Wahl eines Präsidenten am 9. Januar 2025 in einem völlig anderen Kontext stattfinden als in den letzten zwei Jahren, nachdem »die Hisbollah in ihrem Konflikt mit Israel eine schwere Niederlage erlitten hat und mit dem Sturz des Assad-Regimes ihre strategische Basis in Syrien verloren hat«.

Aufgrund dieser Entwicklungen, so schloss er, werde die Fähigkeit der Hisbollah, dem Rest der libanesischen Gesellschaft ihren Willen aufzuzwingen, massiv eingeschränkt. »Es stimmt, dass sie immer noch über Waffen verfügt, aber sie ist nicht mehr in der Lage, ihre Umgebung zu bedrohen, wie sie es in der Vergangenheit getan hat.« Darüber hinaus sei keine der libanesischen Konfessionen bereit, sich einer Partei zu unterwerfen, die weithin als in der Defensive befindlich angesehen wird.

Darüber hinaus meinte der Wissenschaftler Mohammad Kawas in einem Bericht für den in London ansässigen Thinktank Progress Center for Policy, der Krieg gegen die Hisbollah und der Sturz des syrischen Regimes »haben das interne Kräfteverhältnis zulasten des schiitischen Duos (Hisbollah und Amal-Bewegung) verändert. Das bedeutet, dass die Chancen des Kandidaten dieses schiitischen Duos bei den Präsidentschaftswahlen gesunken sind.«

Der Analyst verwies darauf, dass mehrere bislang mit Hisbollah und Amal verbündete sunnitische Bewegungen »das schiitische Duo zugunsten eines Blocks verlassen werden, der auf künftige Entscheidungen Saudi-Arabiens im Libanon setzt«. Es könnten einige Kandidaten die Präsidentschaft gewinnen, »aber Armeekommandeur Joseph Aounsteht noch immer an vorderster Front, zumal er auch die Unterstützung Washingtons und Paris genießt«.

Zukunft der Hisbollah

Eine weitere wichtige Frage, welche die politische Debatte nach Assads Sturz beherrscht, ist die nach der Zukunft der Hisbollah im Libanon, insbesondere nachdem die Partei ihre Hauptversorgungslinie in Syrien verloren hat. In diesem Zusammenhang schrieb der Kolumnist der libanesischen Zeitung Al-Nahar, Ali Hamadeh, die Hisbollah stehe nach nun vor großen Herausforderungen, »da die Fähigkeit der Partei, sich wieder zu bewaffnen und ihre militärische und politische Rolle aufrechtzuerhalten, beeinträchtigt wurde, insbesondere durch die Unterbrechung der Waffenlieferwege durch Syrien«.

Der pensionierte Oberst der libanesischen Armee, Jamil Abu Hamdan, ist der Ansicht, der syrische Umsturz gehe mit einem erheblichen Rückgang des iranischen Einflusses einher, was zum Verschwinden der Faktoren führte, die in den letzten Jahren zum Aufstieg der Hisbollah beigetragen hatten. Syrien war nicht nur ein Durchgangsort für Waffen aus dem Iran zur Hisbollah, sondern auch »ein Waffenlager, ein Ausbildungszentrum und ein wichtiges Tor für Schmuggeloperationen«, die einen großen Teil der Finanzierung der Partei ausmachten. Der Verlust dieser Privilegien erschwerte es der Hisbollah, ihre Reihen neu zu ordnen, insbesondere, da sie nach dem letzten Krieg mit Israel eine Erholungsphase benötige.

Kurz gesagt, der Sturz von Baschar al-Assad verschärfte die Probleme der Hisbollah, beraubte sie ihrer Versorgungswege und schwächte die Organisation militärisch und in ihrem politischen Einfluss, was zur Entstehung neuer Blöcke und damit zu einer Neugestaltung der politischen Gleichung führen kann.

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