Gerade angesichts des erstarkenden türkischen Nationalismus stellt sich die Frage, wie dieses Schweigen zu erklären sei. Es gibt dafür drei mögliche Erklärungen. Erstens wären da politische Erwägungen. Ankara durchlebt eine schwerwiegende Wirtschaftskrise und versucht, seine Bestände an Dollar und Euroanleihen zu diversifizieren. China bietet der Türkei dazu die Gelegenheit. Zudem erhofft Ankara sich chinesische Investitionen in der Türkei, insbesondere im Energiesektor – etwa in der Erdgasspeicherung und der Atom- und Solarenergie –, im Bereich der Kommunikations- und Satellitentechnologie, des Internets, des mobilen Breitbands, der Eisenbahn- und Schifffahrtslogistik, des elektronischen Geschäfts- und Geldverkehrs und im Bergbau. Angesichts des mit der chinesischen Seidenstraßeninitiative verbundenen massiven Infrastrukturprojekts geht Ankara davon aus, China könne hunderte Millionen Dollar in die türkische Transportinfrastruktur investieren. Unterdessen berät der US-Senat einen Gesetzentwurf, der die Türkei daran hindern soll, sich bei internationalen Finanzinstitutionen, einschließlich des Internationalen Währungsfonds, Geld zu leihen. (…)
Manche meinen schließlich, das Schweigen der Türkei sei mit dem plötzlichen Interesse an den Uiguren in den USA zu erklären, in dem manche einen opportunistischen Manipulationsversuch sehen. Dieser Theorie zufolge lenken die USA die Aufmerksamkeit absichtlich auf die Situation der Uiguren, um eine Annäherung zwischen der Türkei und China zu verhindern. Würde die Türkei China kritisieren, würde sie damit den Interessen der USA dienen, so die Logik.
Die einzige politische Reaktion auf das chinesische Vorgehen in der Türkei kam von Omer Faruk Gergerlioglu, einem Abgeordneten der prokurdischen Demokratischen Volkspartei (HDP). Nur er hat China unter Berufung auf einen Bericht des UNO-Komitees für die Beseitigung von Rassendiskriminierung öffentlich kritisiert. In dem Bericht heißt es, die chinesische Regierung setze Uiguren in Lagern fest und foltere sie. Faruk hat Außenminister Mevlut Cavusoglu eine Anfrage zur Situation der Uiguren vorgelegt. Sollte Cavusoglu sie beantworten, wird vielleicht deutlicher, warum Ankara sich so stark zurückhält. Allerdings sollte man dabei nicht vergessen, dass Minister unter dem neuen Präsidialsystem Erdogans auf Anfragen des Parlaments nicht mehr reagieren müssen.“ (Metin Gurcan: „Ankara oddly quiet on China’s alleged torture of Uighurs“)