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Warum scheitert der palästinensische Nationalismus?

Warum scheitert der palästinensische Nationalismus?„Das Gipfeltreffen von Warschau im Februar 2019, auf dem der israelische Premierminister neben arabischen Führern Platz nahm, war ein Wendepunkt, an dem deutlich wurde, wie zunehmend schlecht es um die palästinensische Sache steht. Die anhaltende Unfähigkeit der Palästinensischen Autonomiebehörde, einen funktionierenden Staat aufzubauen, hat ebenso für Frustration unter ehemals verlässlichen Unterstützern gesorgt wie die sich abzeichnende Krise um die Frage, wer Mahmud Abbas als Nachfolger im Präsidentenamt folgen soll. Die zunehmende Kürzung amerikanischer Hilfszahlungen, von der u.a. die UNRWA betroffen ist, haben nicht zu einem grundlegenden Überdenken der palästinensischen Ziele, Methoden und Bedingungen geführt, sondern nur zu Ausgabenkürzungen.

Warum ist der palästinensische Nationalismus gescheitert? Um diese Frage zu beantworten, müssen einige grundlegende Dinge betrachtet werden. Sind die Palästinenser ein ‚Volk‘ mit einem starken Zusammengehörigkeitsgefühl? Ja, das sind sie, wenn auch eines jüngeren Jahrganges. Sind sie eine ‚Nation‘ mit einem Gefühl der Verbundenheit mit einem Territorium? Auch diesbezüglich lautet die Antwort ja. Warum also sind sie daran gescheitert, einen Nationalstaat aufzubauen?

Ein Teil der Antwort lieg in der inneren Widersprüchlichkeit des palästinensischen Nationalismus, der sich sowohl auf positive wie negative Grundsätze stützt. Auf der einen Seite beruht er auf einem romantischen Blick auf eine imaginierte Vergangenheit, auf dem Mythos von den unter ihren Zitronenbäumen sitzenden Vorfahren. Solch angeblich zeitlose Wesenheiten haben mit der beschwerlichen Realität des vormodernen Palästinas wenig zu tun, das vom Osmanischen Reich kontrolliert wurde, unter der Dominanz seiner führenden Familien stand und von endemischer Armut und Krankheit geplagt wurde. Wie in allen nationalen Visionen, werden diese weniger erfreulichen Umstände aus der Erinnerung gestrichen.

Auf der anderen Seite ist der palästinensische Nationalismus entschieden negativ, da er an die Vorstellung vom existenziell bösen ‚siedler-kolonialistischen‘ Zionismus und den stets hinterlistigen Juden gebunden ist. Nehmen wir nur die wichtigsten Symbole Palästinas: ein Kämpfer, der in seinen Händen ein Gewehr und eine Karte hält, von der Israel komplett gelöscht ist. Es ist ein Nationalismus – und eine Identität –, die zum großen Teil auf einer Negation des Anderen beruht, die bevorzugt mit Gewalt erreicht wird. Das impliziert die Vorstellung, dass die palästinensische Identität nur durch Kampf existieren kann, sowie eine ethno-religiöse Dialektik. (…)

Noch im Juni 1918, weniger als drei Monate vor dem Ende der Kämpfe im Nahen Osten, bemerkte der höchste politische Offizier der britischen Truppen, die die Osmanen aus der Levante vertrieben, das Fehlen eines ‚wirklichen Patriotismus in der Bevölkerung Palästinas‘. Eine separate palästinensische Identität entstand erst nach dem Krieg als Antwort auf das rasche Erwachsen der jüdischen nationalen Heimstätte. Die Massen waren wahrscheinlich bis nach 1948 nicht wirklich nationalisiert.

Die hysterischen Übertreibungen palästinensischer Führer, die die Herkunft ihres Volkes auf die Jungsteinzeit datieren, sind Ausdruck einer tiefsitzenden Unsicherheit in dieser Frage. Die Wichtigkeit von Widerstand und Durchhaltwillen, das Böse des zionistischen Feindes und die Notwendigkeit der Palästinenser, solange Flüchtlinge zu bleiben, bis durch eine magische Rückkehr die mythische Vorkriegszeit wiederhergestellt wird, halten den palästinensischen Nationalismus in einem prekären Zustand gefangen, der gleichermaßen reaktionär wie revolutionär ist.

Zu diesen Widersprüchen gesellen sich unausweichlich noch eine weitere Spannung, die in der gesamten arabischen und muslimischen Welt zu bemerken sind: die zwischen Nationalismus und größeren Identitäten (namentlich das Arabertum und der Islam) und kleineren Identitäten (Stämmen und Clans).

Diese Spannungen werden im Konflikt zwischen der Hamas und der Fatah ausgetragen. Die Hamas fordert die Fatah, die PA und die PLO mit einem halb-universellen ‚religiös-nationalistischen‘ Narrativ heraus. Das Ergebnis dessen ist, dass das dominierende palästinensische Narrativ seit den Tagen Arafats gezwungen ist, sich zum islamisieren, um mit der Hamas konkurrieren zu können. Die Aneignung der palästinensischen Sache durch den Islamismus weltweit trägt zusätzlich dazu bei, die palästinensische Identität in einem Zustand permanenten Konflikts einzuzementieren.“ (Alex Joffe: „The Failure of Palestinian Nationalism“)

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