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Warum palästinensische Terrorgruppen Israel aus dem Libanon angreifen

Ein israelischer Panzer patoulliert an der Grenze zum Libanon
Ein israelischer Panzer patoulliert an der Grenze zum Libanon (Quelle: JNS)

Der unmittelbare Verdacht für den Raketenangriff von vergangener Woche fällt auf die Hamas im Libanon, es könnten aber auch die Fatah oder der Palästinensische Islamische Dschihad gewesen sein.

Yaakov Lappin

Am Montagmorgen erschütterte in der Morgendämmerung ein Raketenangriff aus dem Libanon die Ruhe in Israels nordwestlicher Region Galiläa, als ein Projektil auf offenem Gelände unweit der jüdischen Gemeinden Shlomi und Matzuva explodierte. Die israelischen Verteidigungskräfte reagierten mit Artilleriebeschuss in Richtung der Feuerquelle südlich von Tyrus im Libanon.

Da sich keine der Terrororganisationen zu dem Angriff bekannt hat, der drei Tage nach dem Abschuss von zwei Raketen aus dem Gazastreifen auf Israel durch eine palästinensische Terrorgruppe erfolgte, die ebenfalls nicht namentlich genannt wurde, stellt sich die Frage: Wer steckt hinter dem jüngsten Angriff aus dem Libanon, und war Israels Reaktion ausreichend?

Ehrgeizige Hamas-Pläne

Zu den möglichen Hinweisen auf den Urheber gehört die Botschaft eines hochrangigen Hamas-Funktionärs, der in den vorangegangenen Tagen gewarnt hatte, dass im Falle eines neuen Konflikts zwischen der Hamas und Israel »eine Front auch vom Südlibanon aus eröffnet werden wird«.

Welche Organisation im Detail auch immer vom Libanon aus auf Israel geschossen haben mag, handelte sich höchstwahrscheinlich um eine palästinensische Terrorgruppe, sagte ein israelischer Militärsprecher nach dem Angriff vom Montag.

Major a. D. Tal Beeri, Leiter der Forschungsabteilung des Alma-Zentrums, eines Verteidigungsforschungszentrums im Norden Israels, der den Aufbau eines Hamas-Raketenarsenals im Libanon in den letzten Jahren genau beobachtet hat, erklärt:

»Die Hamas im Libanon ist der Hauptverdächtige. Es ist jedoch zu bedenken, dass auch andere palästinensische Gruppierungen wie die Fatah oder der Palästinensische Islamisch Jihad (PIJ) Raketen abschießen können.«

Von den palästinensischen Gruppierungen, die im Libanon aktiv sind, hat die Hamas nach Beeris Recherchen bei Weitem das ehrgeizigste Programm zum Aufbau eigener bewaffneter Kräfte. Im Jahr 2021 deckte das Alma-Zentrum einen geheimen Plan der Hamas auf, der den Bau von GPS-gesteuerten Raketen mit einer Reichweite von 20 Kilometern als Teil einer »ersten Stufe« vorsieht. Das Ziel der Hamas sei es, in zwei Kampfrunden 200 Raketen vom Libanon aus auf Israel abfeuern zu können, so die Forschungsergebnisse.

»Bisher hatte nur die Hisbollah solche Fähigkeiten. Dass eine andere Organisation im Libanon eine solche Feuerkraft einsetzt, ist unvorstellbar.«

Fatah und PIJ verfügen zwar nicht annähernd über eine solche terroristische Infrastruktur, haben aber eigene kleinere Waffenarsenale im Libanon, darunter Grad-Raketen, und verfügen über unabhängige Abschusskapazitäten, erklärte Beeri, der auch darauf hinwies, dass die Hamas nach dem freitäglichen Raketenangriff aus dem Gazastreifen mit der Verhaftung von Mitgliedern kleinerer Terrorgruppen reagierte, darunter dem PIJ, der nach der Hamas zweitgrößten bewaffneten Organisation im Gazastreifen.

»Es ist nicht sicher, ob die Hamas an dem vergangenen Woche erfolgten Beschuss Israels aus dem Gazastreifen beteiligt war oder ob sie für den Beschuss aus dem Libanon verantwortlich ist«, erklärte er. Wenn die Hamas die Rakete aus dem Libanon abgefeuert hat, könnte dies ein Versuch sein, weitere israelische Feuerkraft gegen Ziele im Gazastreifen zu vermeiden, indem sie von einem anderen Schauplatz aus operiert – eine Taktik, die die Hamas im Jahr 2021 wiederholt angewendet hat.

Hinter dem Rücken der Hisbollah

Sollte es sich tatsächlich um die Hamas gehandelt haben, so Beeri, könnte ein Motiv für den Angriff darin bestehen, ein Signal zu setzen, nachdem Israel am Samstag beschlossen hatte, den Grenzübergang Erez zum Gazastreifen als Reaktion auf den Raketenbeschuss aus dem Gazastreifen am Freitag abzuriegeln. Die Entscheidung setzt die Bewohner des Gazastreifens, die sich an die Arbeit in Israel gewöhnt hatten, unter wirtschaftlichen Druck, den auch die Hamas spürt.

Beeri warnte auch vor dem, was er als »weit verbreitetes« Bescheidwissen bezeichnete, nach dem »alles, was im Südlibanon geschieht, mit Wissen und Billigung der Hisbollah passiert. Dies ist nicht der Fall. Es passieren Dinge hinter dem Rücken der Hisbollah«, sagte er und verwies auf den aus dem Libanon erfolgende Raketenbeschuss Israels durch die Hamas im Mai und August vergangenen Jahres.

Am 15. Mai finden im Libanon Parlamentswahlen statt, ein Ereignis, das nach Beeris Einschätzung wahrscheinlich einen temporär mäßigenden Einfluss auf das Vorgehen der Hisbollah gegen Israel haben wird. Das werde die palästinensischen Gruppierungen jedoch nicht davon abhalten, bis zum Ende des Ramadan oder bis zu den Wahlen weitere Raketen auf Israel abzufeuern, warnte er und fügte hinzu:

»In jedem Fall sollte Israel die Präsenz der Hamas im Gazastreifen und im Libanon als eine einheitliche Front behandeln.«

Die Tatsache, dass palästinensische Gruppierungen auf eigene Faust mehrere Angriffsfronten im Westjordanland, dem Gazastreifen und dem Libanon schaffen, die sie nacheinander oder simultan aktivieren können, sollte den israelischen Verteidigungsapparat zum Nachdenken bringen.

Wie der Sprecher der israelischen Verteidigungskräfte (IDF), Brigadegeneral Ran Kochav, am Montag feststellte, sieht sich Israel derzeit »während des Ramadan mit einer Kampagne konfrontiert, die in vielen Arenen stattfindet: in Jenin, in den Städten von Judäa und Samaria [des Westjordanlandes], an der Grünen Linie, auf dem Tempelberg und im Gazastreifen«.

Während die Rakete dieses Mal auf ein offenes Gebiet gerichtet war, könnte der nächste Vorfall zu Opfern bei der Zivilbevölkerung führen und eine Kettenreaktion auslösen, die schließlich auch die Hisbollah in eine Eskalation hineinziehen würde, unabhängig davon, ob sie sich momentan daran beteiligen will oder nicht.

Der Text erschien ursprünglich auf Englisch beim Jewish News Syndicate. (Übersetzung von Alexander Gruber und Martina Paul)

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