In Deutschland will man Juden gerne als Opfer wahrnehmen, wenn sie ihre Selbstbehauptung in die eigene Hand nehmen begegnet man ihnen häufig mit Ressentiment.
Ahmad Mansour, NZZ
Man könnte mir durchaus Naivität vorwerfen, weil ich geglaubt hatte, ausgerechnet in Deutschland würde ich Frieden finden vor dem notorischen Hass auf Juden und alles Jüdische. Ich hatte gehört, dass gerade in Deutschland die Vergangenheit aufgearbeitet, das Bewusstsein für Antisemitismus stark und der soziale Friede sicher sei. Außerdem dachte ich: Sowieso wird es überall besser sein als im politisch zerklüfteten Israel.
Heute erlebe ich hier, im Jahr 2020, einen neuen Albtraum des Antisemitismus. Wir müssen uns alle der Realität stellen: Antisemitismus ist nicht „wieder da“ – er ist immer noch hier, er wird lauter und aggressiver, in nahezu allen Milieus. Hass auf „Zionisten“, Hass auf Juden, Hass auf Israel – der Hass macht keine Unterschiede, auch wenn er sich so oder so benennt. In meiner alltäglichen Arbeit zur Deradikalisierung, zur Aufklärung über Antisemitismus, Islamismus und Rechtsradikalismus begegne ich den vielen Gestalten des Phänomens. Auch und gerade an Hochschulen ist Antisemitismus, verkleidet als „Israelkritik“, intellektuelle Mode; fragwürdige postkolonialistische Theorien machen Israel zum Hauptakteur, der den Weltfrieden gefährde. (…)
Weil Israels Selbstbehauptung provoziert, weil das alltägliche, selbstbewusste jüdische Leben provoziert, so scheint mir, fühlen sich insbesondere Deutsche fast aller Jahrgänge zu Israels Feinden in der arabischen Welt hingezogen. Dieser antisemitische Magnetismus gipfelt in der gern wiederholten Phrase, Israeli seien „die neuen Nazis“. Fassungslos höre ich als Psychologe, als israelischer Araber und historisch aufgeklärter Muslim, wie Deutsche heute solche Sätze sagen. Woher diese deutsche Besessenheit von der „Israelkritik“? Warum ist man so fixiert auf die kleine Demokratie im Nahen Osten, die sich gegen sämtlich feindselige Nichtdemokratien in ihrer Nachbarschaft behaupten muss?