Warum iranische Männer Kopftuch tragen

Von Felix Balandat

Seine Mutter musste nach der Iranischen Revolution 1979 den Hijab tragen, obwohl sie es nie wollte. In den heißen Sommern der Region Chuzestan am nordöstlichen Ufer des Persischen Golfs ging sie in ihrem schweren schwarzen Kleid einkaufen. Als sie wieder zu Hause war, hatte sie aufgrund der Hitze oft nicht einmal die Kraft, zu sprechen. Daran erinnert sich ein Mann, der anonym ein Bild von sich im Internet veröffentlicht hat. Es soll ihn in der Kleidung seiner verstorbenen Mutter zeigen. Nur sein Gesicht ist zu sehen.

Unter dem Hashtag #MenInHijab tauchen im Internet Fotos von iranischen Männern auf – bedeckt mit dem Hijab, der staatlichen verordneten Verschleierung für Frauen. „Sieht das nicht lustig aus? Versuch das mal 38 Jahre lang zu tragen“, schreibt ein Mann zu dem Foto, das ihn mit einem schwarz-weiß gemusterten Tuch zeigt. „Wenn du denkst, Frauen macht der Hijab nichts aus, trage mal selbst einen“, meint ein älterer Herr. „Meine sogenannte Ehre hat nichts mit dem Haar meiner Frau zu tun“, schreibt ein verhüllter Ehemann, der mit seiner unverhüllten Frau in die Kamera lächelt.

Die Kopftuchpflicht wird im Iran streng überwacht. „Der Hijab einer Frau ist die Ehre ihres Mannes“, lautet eine Parole auf Propaganda-Demonstrationen des iranischen Regimes. Wer sich in der Öffentlichkeit ohne Verhüllung zeigt und so, nach staatlicher Lesart, die Ehre des iranischen Mannes beschmutzt, kann mit bis zu zwei Monaten Haft bestraft werden. Eine Sittenpolizei ist für die Einhaltung dieser und anderer Scharia-Vorschriften zuständig. Doch die Bewegung „My Stealthy Freedom“ setzt ein Zeichen für weibliche Selbstbestimmung und freiheitliche Werte. Die Aktivisten veröffentlichen auf Facebook Fotos von iranischen Frauen, die sich ohne Kopftuch zeigen. Über eine Millionen Fans hat die Seite mittlerweile. Gründerin der Seite ist die iranische Journalistin Masih Alinejad, die in den USA lebt. Über die Plattform wird #MenInHijab verbreitet.

zarif hijabDie Kampagne legt sich auch ganz offen mit dem Regime an. So hat „My Stealthy Freedom“ kürzlich ein bearbeitetes Foto des iranischen Außenministers Mohammad Javad Zarifs mit Hijab veröffentlicht. „Wie fühlen Sie sich? Ist das Bild komisch, lustig, oder empfinden sie es als persönliche Beleidigung?“, heißt es in dem zugehörigen Text. Während Zarif und viele andere Männer sich an die Zwangsverschleierung gewöhnt hätten, sei das verpflichtende Kopftuch für Millionen von Frauen eine Beleidigung ihrer Würde. „Wir sind nicht gegen den Hijab, aber wir sind für Wahlfreiheit“, schreibt „My Stealthy Freedom“.

Dass neben dem gesetzlichen Zwang auch Propaganda notwendig ist, um die iranischen Frauen auf Linie zu bringen, zeigen Kampagnen des iranischen Staates. Auf Werbetafeln sind zum Beispiel verpackte Süßigkeiten wie Bonbons und Lutscher zu sehen, die offensichtlich mit verschleierten Frauen assoziiert werden sollen. Denn daneben sieht man die unverpackten Süßigkeiten – umgeben von Schmeißfliegen. Gleichzeitig wendet das Regime klassische Repressionsmethoden an. Einige Frauen, die sich auf Instagram unverhüllt zeigten, wurden in der Vergangenheit deswegen verhaftet. Laut Amnesty International erhielten zwischen März 2013 und März 2014 fast drei Millionen iranische Frauen eine polizeiliche Verwarnung, da sie den islamischen Dresscode verletzt haben sollen. 18.000 Frauen wurden strafrechtlich verfolgt. Diesen Frühling traten in Teheran zudem 7.000 zusätzliche Undercover-Sittenwächter ihren Dienst an. Neben zu locker sitzenden Kopftüchern halten die Rekruten Ausschau nach zu enger Kleidung, kurzen Hosen bei Frauen, extravaganten Frisuren oder auch Halsketten bei Männern.

Der Iran ist aber auch ein moderner Staat. Findige Entwickler haben die App Gershad entwickelt. Nutzer können sich in Echtzeit darüber informieren, wo gerade Sittenwächter unterwegs sind und dann einen anderen Weg einschlagen. „Sie sagen, jeder muss das Gesetz achten. Aber schlechte Gesetze sollte man nicht achten. Erinnern Sie sich, Sklaverei war Gesetz und wenn mutige Männer und Frauen sich nicht dagegen aufgelehnt hätten, würden wir sie heute noch haben“, hält „My Stealthy Freedom“ dem iranischen Außenminister vor.

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