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Warum die Hamas den Philadelphi-Korridor unbedingt behalten möchte

Der israelische Verteidigungsminister Yoav Gallant bei einer Inspektion im Philadelphi-Korridor im August
Der israelische Verteidigungsminister Yoav Gallant bei einer Inspektion im Philadelphi-Korridor im August (© Imago Images / Xinhua)

Die Kontrolle der Grenze zu Ägypten war ein wesentlicher Bestandteil der Stärke der Hamas, weswegen die Terrorgruppe den Grenzstreifen auch zurückhaben will.

Ein Artikel der staatlichen iranischen Nachrichtenagentur IRNA zitierte unlängst das hochrangige Hamas-Mitglied Khalil al-Hayya mit den Worten, »dass ohne den Rückzug des israelischen Regimes aus den Korridoren Philadelphi, Netzarim und Rafah keine Vereinbarung über einen Waffenstillstand im Gazastreifen möglich ist«. Und wenn die Hamas so etwas sagt, ist das nicht nur Rhetorik, wie es Seth J. Frantzman in einer Analyse in der Jerusalem Post formuliert.

Während sich aktuell viele Berichte auf die interne israelische Debatte über den Philadelphi-Korridor und dessen mögliche Beibehaltung konzentrieren, stellt kaum jemand die Frage, warum die Hamas so unnachgiebig auf die Rückgabe des Landstreifens beharrt. Dabei ist die Antwort ganz einfach: Die Kontrolle der Grenze zu Ägypten ist der Schüssel dazu, dass die Hamas ihre Macht im Gazastreifen wieder aufbauen könnte.

Die Hamas kontrolliert diese Grenze seit ihrer Machtübernahme im Jahr 2007 und nutzte sie, um ein noch nie dagewesenes Waffen- und Raketenarsenal aufzubauen, das sie wiederum dazu verwendete, am 7. Oktober 2023 das größte Massaker an Juden seit dem Holocaust zu verüben. Es liegt also auf der Hand, dass die Kontrolle über den Philadelphi-Korridor genannten Grenzstreifen ein wesentlicher Bestandteil der Stärke der Terrorgruppe war, weshalb sie ihn auch zurückfordert.

Die Hamas ist sich darüber im Klaren, dass die Kontrolle des Übergangs durch die Israelischen Verteidigungsstreitkräfte (IDF) sie daran hindert, sich (wieder-)bewaffnen und den Gazastreifen weiterhin kontrollieren zu können.

Zentrales Gebiet

In diesem Zusammenhang ist daran zu erinnern, dass der israelische Wunsch einer Kontrolle über Philadelphi nicht erst in diesem Krieg entstanden ist, sondern schon früher: Als Israel den Gazastreifen von 1967 bis 2005 kontrollierte, war die Kontrolle über diese Gebiete der Schlüssel zur Sicherung des Gazastreifens. Vor allem während der zweiten Intifada mussten die IDF im Korridor operieren, um die terroristische Infrastruktur zu zerstören.

Der während der ersten Intifada in den späten 1980er Jahren gegründeten Hamas war immer bewusst, dass das Grenzgebiet von ihr kontrolliert werden müsse. Die Terrororganisation, deren wichtigste Führungsmitglieder fast alle aus dem Gazastreifen stammen, kennt die Küstenenklave. Daher weiß sie, dass die Kontrolle der Grenze zu Ägypten ein Schlüssel für ihre Rückkehr an die Macht ist, die nicht zuletzt vom Schmuggel von Waffen und anderen Gütern abhängt.

Wie schmuggelt die Hamas Güter in den Gazastreifen? Einiges mag durch Tunnel kommen, aber es ist wahrscheinlich, dass ein großer Teil der Terrorinfrastruktur aus der Kontrolle der Überlandroute über den Grenzübergang Rafah stammt, den sie ebenfalls von Israel zurückfordert. Die islamistische Organisation führt Güter mit doppeltem Verwendungszweck ein, die sie für Terrorzwecke umfunktioniert. Deswegen ist die Kontrolle der Überlandroute heute mindestens genauso wichtig wie der unterirdische Schmuggel durch nach Ägypten reichende Tunnel, wenn nicht sogar wichtiger.

In Israel wird darüber diskutiert, ob die Anwesenheit der IDF im Grenzgebiet zu Ägypten notwendig ist. Während einige meinen, die Überwachung der Grenze könnte auch aus der Ferne erfolgen, zeigt die Geschichte, dass dies im Allgemeinen nicht der Fall ist. Nach Israels Rückzug aus dem Gazastreifen im Jahr 2005 sollte es auch einen Mechanismus zur Grenzüberwachung geben, wobei etwa die EU eine Rolle spielen sollte. Der Hamas gelang es 2007 jedoch, die Kontrolle zu übernehmen und jegliche Überwachung zu unterbinden und es ist wahrscheinlich, dass die Dinge auch in Zukunft so ablaufen werden, sollte Israel den Übergang nicht selbst in die Hand nehmen.

Um jeden Preis

Die Hamas argumentiert nun, dass Israels Forderungen nach einer Kontrolle des Korridors neu seien. Tatsache ist jedoch, dass die Hamas von Beginn des aktuellen Kriegs hart daran gearbeitet hat, eine israelische Operation in Rafah zu verhindern, unter anderem mit dem Argument, die Zivilisten könnten nicht evakuiert werden. Die Hamas hat im Grunde bereits auf Zeit gespielt, um eine israelische Operation an der Grenze zu Ägypten zu verhindern, und sie hat in dieser Hinsicht etwa sechs Monate gewonnen.

Nachdem Israel Anfang Mai dann doch seine Operation in Rafah gestartet und Anfang Juni die Kontrolle über den Übergang erlangt hatte, forderte die Hamas bei allen Waffenstillstandsgesprächen in Doha oder Kairo den Korridor für sich. »Sie hat dies in den Gesprächen, die bis Juli stattfanden, durchgesetzt. Dann behauptete die Hamas, diesen Vorschlag akzeptiert zu haben, und meinte, Israel würde nun den Korridor ins Spiel bringen«, fasst Frantzman die Entwicklung in seiner Analyse zusammen.

Es ist jedoch die Hamas, die das Gebiet immer für ihre Strategie ausgenutzt hat, und es war von Anfang an klar, dass die Terrorgruppe den südlichen Gazastreifen an der Grenze zu Ägypten um jeden Preis behalten wollte.

Während die Rafah-Brigade militärisch besiegt wurde, will die Hamas nun, dass Israel dieses Gebiet kostenlos an sie zurückgibt, ohne dass Jerusalem im Gegenzug etwas dafür erhält. Damit »will sie, dass Israel zweimal für dieses Gebiet bezahlt, wenn es später zurückkehren muss, um den wiederaufgenommenen Schmuggel zu stoppen«, charakterisiert Frantzman die Taktik abschließend. »Dies zeigt die Arroganz und das Privileg der Hamas und ihrer in Doha ansässigen Gesprächspartner. Den Hamas-Vertretern in Doha wird gesagt, sie sollen auf der Kontrolle von Philadelphi bestehen.«

Der eingangs zitierte IRNA-Bericht macht dies deutlich: »Netanjahu sieht sich auch zunehmender Kritik von israelischen Beamten und der Öffentlichkeit ausgesetzt, weil er sich weigert, ein Waffenstillstandsabkommen zu akzeptieren. Er hat kürzlich eine neue Bedingung gestellt, indem er sagte, Israel solle die Kontrolle über den Philadelphi-Korridor behalten, ein vierzehn Kilometer langes Gebiet entlang der Grenze zwischen dem Gazastreifen und Ägypten.« In Wirklichkeit ist es aber die Politik der Hamas, auf dem Korridor zu beharren, weil sie weiß, dass eine israelische Kontrolle der Grenze ihrem Machterhalt im Weg steht.

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