Der Führer der libanesischen Hisbollah, Hassan Nasrallah, droht der Europäischen Union mit einer Flut von Flüchtlingsströmen, indem die libanesischen Behörden das Meer für Syrer öffnen.
Der Führer der libanesischen Hisbollah, Hassan Nasrallah, versucht, die Europäische Union mit Flüchtlingsströmen zu erpressen, indem er die libanesischen Behörden auffordert, eine politische Entscheidung zu treffen, um das Meer für Syrer zu öffnen, die nach Europa einwandern wollen. Nasrallahs Vorschlag kam zwei Tage vor einer Sitzung des libanesischen Parlaments, in der das europäische Hilfspaket für den Libanon in Höhe von einer Milliarde Dollar erörtert wurde, das über einen Zeitraum von vier Jahren ausgezahlt werden soll, »um die Stabilität des Landes zu stärken«.
Während der Sitzung brachten einige Fraktionen die Frage der Rückführung von über zwei Millionen vertriebenen Menschen nach Syrien zur Sprache. Kurz zuvor hatte auch Nasrallah in einer Rede Anfang letzter Woche gesagt, es gebe »einen Konsens darüber, dass die syrische Flüchtlingskrise ein Problem ist und angegangen werden muss. Dies ist ein Konsens, der nun zum ersten Mal erreicht wurde.«
Erpressung der EU
Nasrallah beschuldigte die USA, Europa und die internationale Gemeinschaft, an einer Rückkehr der Vertriebenen nicht interessiert zu sein und »Geld bereit[zu]stellen, um die syrischen Flüchtlinge an der Rückkehr nach Syrien zu hindern«. Laut dem Hisbollah-Chef sei das anhaltende Problem der Flüchtlinge auf die wirtschaftlichen Schwierigkeiten zurückzuführen, die sich aus dem Caesar Act ergeben, den die Vereinigten Staaten 2019 erlassen hatten, um Sanktionen gegen das syrische Regime zu verhängen.
Nasrallah sagte, Syrien müsse »geholfen werden, die Situation für die Rückkehr der Flüchtlinge vorzubereiten. Der erste Schritt in diese Richtung ist die Aufhebung der gegen das Land verhängten Sanktionen.« Wolle das libanesische Parlament die Flüchtlinge wirklich zurückschicken, »muss es von den Vereinigten Staaten von Amerika die Aufhebung des Caesar Acts und von Europa die Aufhebung der gegen Syrien verhängten Sanktionen verlangen.«
In einer klaren Erpressung der Europäischen Union sagte Nasrallah, es müsse »ein libanesischer Konsens über die Öffnung des Meeres für die Syrer« erreicht werden. »Dies erfordert eine nationale Deckung«, fuhr er fort und bezog sich damit auf die Notwendigkeit einer politische Entscheidung, die es Migrantenbooten erlaube, von der libanesischen Küste Richtung Europa zu fahren. Der Hisbollah-Chef erklärte:
»Wir haben nie vorgeschlagen, vertriebene Syrer zu zwingen, an Bord von Schiffen zu gehen. Wir sagen nur, wir geben ihnen diesen Spielraum. Das ist zur Zeit verboten, also sind sie auf Schmuggel angewiesen, fahren in Gummibooten und ertrinken im Meer, weil die libanesische Armee eine politische Entscheidung zur Verhinderung der Einwanderung umsetzt. Die Entscheidung, das Meer für die Flüchtlinge zu öffnen, erfordert Mut, und wenn wir sie treffen, werden die Amerikaner und Europäer an die Regierung herantreten, um eine tatsächliche Lösung für das Problem der syrischen Flüchtlinge zu finden.«
Assad entlasten
Der Militäranalyst Saeed Qazah bestätigte, dass der Aufruf des Hisbollah-Generalsekretärs, »das Meer für Flüchtlinge zu öffnen«, gegen internationales Recht verstößt, während »Nasrallah versucht, die Europäische Union zu erpressen, ähnlich, wie es der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan vor Jahren getan hat, als er Brüssel erpresste, indem er die Grenzen zu Griechenland für Flüchtlinge öffnete«.
Laut Qazah gibt es im Libanon Widerstand gegen den Wunsch der Hisbollah, die Flüchtlinge als Trumpfkarte einer Erpressung zu benutzen, zumal die Armee ihre Mission zur Bekämpfung der illegalen Einwanderung fortsetze. »Wenn die Hisbollah an einer Lösung des Flüchtlingsproblems interessiert ist, warum verhandelt sie dann nicht mit der syrischen Regierung, ihrem Verbündeten, über dieses Thema?«, fragte der Analyst und wies darauf hin, dass »die Hisbollah in den syrischen Regionen Qusayr, Zabadani und im Umland von Damaskus stationiert ist, also in Gebieten, aus denen die Flüchtlinge vertrieben wurden«. Anstatt die Europäer zu erpressen, sollten Nasrallahs Milizen diese Regionen verlassen, »damit die Flüchtlinge in ihre Heimat zurückkehren können«.
Die libanesische Autorin Raquel Ateeq ging in einem Artikel in der libanesischen Zeitung Nidaa Al-Watan der Frage nach, weshalb Nasrallah Europa mit Flüchtlingsströmen erpresst. Nasrallah habe »seine Fatwa zwar offiziell erlassen, um das Flüchtlingsdilemma zu lösen«, schrieb sie, »aber viele Beobachter lesen darin einen Versuch der Hisbollah, die internationale Isolation ihres Verbündeten, des Regimes des syrischen Präsidenten Baschar al-Assad, zu durchbrechen und Damaskus bei seinen Bemühungen um die Aufhebung der internationalen Sanktionen zu unterstützen«.
Dabei habe Nasrallah aber ignoriert, fuhr sie fort, »dass die Öffnung des Meeres nach Europa mit einer klaren, offiziellen nationalen Entscheidung der libanesischen Behörden eine Blockade und Sanktionen gegen den Libanon selbst bedeuten würde.«
Der Libanon, der sich seit 2019 in einer schweren Wirtschaftskrise befindet, beherbergt nach eigenen Angaben rund zwei Millionen Syrer, was im Verhältnis zur Bevölkerungszahl die höchste Flüchtlingszahl der Welt darstellt.