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Warum Erdogan seinen erfolgreichen Zentralbankchef entlassen hat

Droht der Türkei der Rückfall in die Zeit der Hyperinflation?
Droht der Türkei der Rückfall in die Zeit der Hyperinflation? (© Imago Images / Xinhua)

Weil Erdogan Zinsen für „die Mutter und den Vater alles Bösen“ hält, entließ er seinen Zentralbankchef, dem es zuvor gelungen war, die türkische Währung zu stabilisieren.

Mit dem am Wochenende verkündeten Rauschmiss des Notenbankpräsidenten Naci Agbal hat der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan die türkische Lira auf Talfahrt geschickt. Zu Handelsbeginn brach sie am Montag gegenüber dem US-Dollar und dem Euro um 15 Prozent ein.

Der türkische Aktienindex erlebte ebenfalls einen zumindest kurzzeitigen Crash: Am Montag und zu Handelsbeginn am Dienstag fiel er zeitweise um über 20 Prozent, machte aber im Lauf des Dienstag einen Teil der Verluste wieder wett.

Auch die türkische Währung stabilisierte sich – vorerst – auf einem niedrigeren Niveau. Sie stand am Dienstagnachmittag bei 7,88 US-Dollar. Das war zwar immer noch rund acht Prozent schwächer als in der Vorwoche, aber deutlich über dem Tiefstkurs vom letzten Oktober, der bei 8,50 US-Dollar gelegen hatte.

Eine Währungskrise, die womöglich sogar die Stabilität der türkischen Banken gefährden könnte, hat offenbar also noch nicht begonnen. Doch seine Fähigkeit, eine solche Krise mit Worten und Taten auszulösen, hat Erdogan einmal mehr in Erinnerung gerufen.

Verschleiß an Zentralbankchefs

Der nun geschasste ehemalige Finanzminister (2015-2018) Naci Agbal war erst im November 2020 von Erdogan zum Gouverneur der türkischen Notenbank ernannt worden, also nur vier Monate im Amt. Sein Vorgänger Murat Uysal, der von Erdogan ebenfalls an einem Wochenende gefeuert worden war, hatte es auf eine Amtszeit von 14 Monaten gebracht. Auch dessen Vorgänger Murat Cetinkaya musste gehen, weil er den Zorn Erdogans auf sich gezogen hatte – indem er die Zinsen nicht schnell genug gesenkt hatte.

Als AKP-Mitglied Agbal im November 2020 Gouverneur der Notenbank wurde, musste er den Wertverlust der türkischen Lira stoppen. Und er machte seinen Job, aber das passte Erdogan auch wieder nicht. Agbals Vergehen: Er hatte letzte Woche den Leitzins, zu dem sich die türkischen Banken bei der Notenbank Geld kurzfristig Geld leihen können, um zwei Prozentpunkte von 17 auf 19 Prozent erhöht.

Von der Londoner Financial Times befragte Analysten hatten nur mit einer Anhebung von einem Prozentpunkt gerechnet. Die Notenbank teilte mit, dass die strengere Geldpolitik beibehalten werde, bis die maßgeblichen Indikatoren einen dauerhaften Rückgang der Inflationsrate und Preisstabilität signalisieren.

Im Februar hatte sich der Anstieg der Verbraucherpreise zum fünften Mal in Folge beschleunigt; die von der Notenbank ermittelte jährliche Inflationsrate kletterte auf 15,6 Prozent. Es war also aus Sicht der Notenbank nicht auszuschließen, dass die Inflationsrate schon bald über dem Leitzins liegen wird.

Das würde bedeuten, dass jemand, der sich Geld leiht, effektiv weniger zurückzahlt, als er geborgt hat. Wenn ein solcher Fall eintritt, dann – das zeigt die Wirtschaftsgeschichte und lehrt die Vernunft – beschleunigen sich der Preisanstieg und der Außenwertverlust der Währung. Denn jeder strebt dann danach, Geld möglichst schnell in Sachwerte oder ausländische Währungen zu tauschen.

Es entsteht eine Inflationsspirale aus Preisanstieg und schwindendem Vertrauen in die Währung, was wiederum weitere Preisanstiege nach sich zieht: Zum einen, weil jeder Bürger das Geld loswerden will, ehe es an Wert verliert; zum anderen, weil die Währung eines Landes, in dem die Zinsen niedriger sind als die Inflationsrate, aus Sicht ausländischer Investoren gänzlich unattraktiv ist.

Internationale Geldgeber werden türkischen Kreditnehmern in einer solchen Situation nur noch Darlehen in harten Währungen wie Dollar, Euro und Yen anbieten, was die Flucht aus der Lira verstärkt. Ein Wertverlust der Lira gegenüber ausländischen Währungen wie Dollar und Euro verteuert wiederum die Importe und sorgt in der Türkei für weiter steigende Preise.

Im schlimmsten Fall droht dann eine Situation wie im Libanon, wo selbst die Versorgung mit Lebensmitteln und Strom in Gefahr ist.

Naci Agbal war erfolgreich

Das wollte Agbal durch rechtzeitiges Handeln vermeiden und hatte dabei teilweise Erfolg. Zwar ging die Inflationsrate noch nicht zurück, doch immerhin stabilisierte sich die türkische Lira, was, aus oben genannten Gründen, eine wichtige Voraussetzung dafür ist, dass relative Preisstabilität einkehrt. Agbal steuerte nach eigenem Bekunden eine Inflationsrate von 9,4 Prozent bis zum Jahresende an.

Zu diesem Zweck musste er die Zinsen erhöhen. Doch Erdogan ist bekannt als ein Feind von Zinsen. Das ist für ihn buchstäblich eine Glaubensfrage: Zinsen seien „die Mutter und der Vater von allem Bösen“, sagte er im Mai 2018. Bekannt ist auch Erdogans Privattheorie, wonach höhere Leitzinsen zu höherer Inflation führen würden – das Gegenteil des wirklichen Zusammenhangs.

Mit Sahap Kavcioglu hat Erdogan jemanden zum Hüter der Währung gemacht, der diese Sichtweise teilt. Für den Posten qualifizierte Kavcioglu sich in Erdogans Augen vielleicht mit einem Zeitungskommentar, in dem er letzten Monat die Notenbank scharf angriff: Die Zinsen anzuheben, „während sie in der Welt nahe null sind“, werde „die ökonomischen Probleme nicht lösen“, sondern „indirekt zu einem Anstieg der Inflation“ führen. Er hat seine ökonomische Theorie also von Erdogan.

Geschichte der Hyperinflation

Die Finanzmärkte werden beobachten, was der neue türkische Notenbankchef tut. Wird er sich ganz anders verhalten, als Erdogan es von ihm erwartet (und dann ebenfalls gefeuert)?

Oder wird er womöglich die Zinserhöhung von letzter Woche zurücknehmen, also inmitten einer galoppierenden Inflation das Geld billiger machen? Sollte er das tun, war der 15-Prozent-Sturz der Lira von Montagmorgen nur ein milder Vorgeschmack auf die kommende Währungskrise.

Viele Türken und auch türkische Banken haben sich in ausländischen Währungen verschuldet: Kurzfristige Kredite lauten nach Angaben der türkischen Notenbank zu 43,9 Prozent auf US-Dollar, zu 27,3 Prozent auf Euro, zu 14,9 Prozent auf andere Währungen wie etwa den japanischen Yen und nur zu 13,9 Prozent auf Lira.

Verschuldung in ausländischer Währung bedeutet, dass beispielsweise ein 10-Prozent-Verlust der türkischen Lira die Schuldenlast in Lira um just so viel erhöht. Ein starker Wertschwund der Lira würde dazu führen, dass viele Schuldner ihre Schulden nicht zurückzahlen können und Banken Pleite gehen lassen.

Ein solches Szenario kennt man von den Währungs- und Schuldenkrisen in Asien, Russland und Lateinamerika in den 1990er Jahren. Auch die Türkei hat das schon erlebt. Zur Jahrtausendwende lagen die jährlichen Inflationsraten bei über 70 Prozent. Es gab einen 20-Millionen-Lira-Schein, der umgerechnet elf Euro entsprach. 2005 wurden sechs Nullen gestrichen, die Türkische Lira wurde zur Neuen Türkischen Lira, 20 Millionen Türkische Lira entsprachen also fortan 20 Neuen Türkischen Lira.

In den ersten Amtsjahren Erdogans – als dieser, wie es heißt, noch auf Kollegen und Experten hörte – schien die Zeit der Hyperinflation der Vergangenheit anzugehören. Aber sie kann schnell zurückkommen.

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