Warum die türkische Rüstungsindustrie boomt

Die türkische Drohne Bayraktar TB 2 ist ein Exportschlager
Die türkische Drohne Bayraktar TB 2 ist ein Exportschlager (Quelle: Kingbjelica, CC BY-SA 4.0)

Weitgehend unbemerkt vom Westen strebt die Türkei seit über zehn Jahren erfolgreich nach militärischer Autarkie.

Wer sich in den vergangenen Wochen darüber wunderte, wieso türkische Kraftdemonstrationen im Mittelmeer um sich greifen und Kriegseinsätze in Libyen, Nordirak und Nordsyrien stattfinden, sollte die Frage klären, warum trotz immer wiederkehrender Sanktionsdrohungen und Ankündigungen von Waffenembargos die türkischen Aggressionen nicht ab-, sondern sogar zunehmen. Eine entscheidende Antwort lautet: Die türkische Rüstungsindustrie boomt. Und hat sich in den vergangenen Jahren immens auf die heimische Produktion von Kriegswaffen spezialisiert.

Wer Kriege führt oder mit ihnen droht, braucht schließlich den freien Zugang zu Waffen, ohne fürchten zu müssen, dass die Versorgungswege, etwa durch ein Embargo, verhindert werden. Militärisch strebt die Türkei seit etwa zehn Jahren fast unbemerkt nach Autarkie. Die zunehmende Importunabhängigkeit sorgt für ausreichende Beinfreiheit, um auf Kriegsschauplätzen weitestgehend autonom operieren zu können.

Heimische Waffen fürs Vaterland

Die türkische Führung hat in den vergangenen Jahren alle Vorkehrungen getroffen und entsprechend aufgerüstet. Stolz auf diese Entwicklungen erklärte der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan im Oktober 2019, unmittelbar nach dem Einmarsch in Nordsyrien (Operation Peace Spring):

„Nachdem wir unsere Operation gestartet haben, waren wir Bedrohungen wie Wirtschaftssanktionen und Embargos für Waffenverkäufe ausgesetzt. Diejenigen, die glauben, dass sie die Türkei mit diesen Bedrohungen aufhalten können, irren sich gewaltig.“

Hintergrund solcher Inbrunst sind Autarkiebestrebungen und die Verlegung auf die heimische Produktion in der Rüstungsindustrie. In den letzten Jahren sind mehrere türkische Rüstungsunternehmen wie Aselsan, Havelsan, Roketsan und Bayraktar entstanden, die damit werben, nahezu ausschließlich ohne internationale Lieferketten heimische Kriegsgüter zu produzieren.

Aktuell kommen an den Kriegsfronten in Libyen wie Syrien fast ausschließlich türkische Waffen zum Einsatz. Deswegen ist die türkische Führung auch so unbeeindruckt von Forderungen nach Waffenembargos.

Begleitet wird dieser Trend zur Turkifizierung der Rüstungsindustrie durch eine Politik, die für die Eigenproduktion im Jahre 2023 zum Ziel gesetzt hat, 100 Prozent zu erreichen. Nach dem Machtantritt der Regierungspartei AKP 2002 ist der Eigenproduktionsanteil von 18 Prozent auf heute knapp 75 Prozent gestiegen.

Die Türkei ist international zudem gegenwärtig mit einem Exportvolumen von etwa 6 Milliarden Dollar bereits unter den TOP 10 der Ausfuhrländer. Bis 2023 will die türkische Regierung die Exportkapazitäten massiv ausweiten und auf ein Exportziel von 25 Milliarden Dollar vervierfachen.

Drohnen sind Exportschlager

Es wird also nicht nur für den Eigenbedarf produziert, sondern für eine immer stetiger wachsende internationale Nachfrage. Begehrt sind neben gepanzerten Fahrzeugen, Kampfhubschraubern, Panzern, Satelliten und Kriegsschiffen insbesondere Drohnen.

Dabei fällt auf, dass unter den Abnehmern türkischer Kriegsgüter fast ausschließlich befreundete islamische Staaten vertreten sind, und so gut wie keine verbündeten NATO-Länder. Ganz oben auf der Liste der Exportländer stehen deshalb Pakistan und Katar; aber auch Tunesien, Turkmenistan, Bahrain und Bangladesch.

2018 unterzeichnete Pakistan mit der Türkei einen Waffendeal von über 1,5 Milliarden Dollar. Zum Verkauf standen T-129-Kampfhubschrauber aus türkischer Produktion. Die pakistanische Marine gab zudem den Auftrag an ein türkisches Verteidigungsunternehmen, in der südpakistanischen Hafenstadt Karachi einen Flottentanker zu bauen.

Erst neulich hat Griechenland, obwohl eine militärische Konfrontation mit der Türkei droht, 50 türkische Drohnen gekauft, die für Rettungs- und Minensuchoperationen eingesetzt werden. Dabei handelt es sich zwar nicht um Kampfdrohnen, dennoch ziehen türkische Drohnen internationale Aufmerksamkeit auf sich. Die Drohne Bayraktar Tactical Block 2 ist laut einem Bericht der israelischen Militärzeitschrift Israel Defense sogar eines der „fortschrittlichsten Systeme seiner Klasse“.

Lobende Worte fand jüngst auch der britische Verteidigungsminister Ben Wallace. Die türkischen Bayraktar-Drohnen würden in der modernen Kriegsführung im Nahen Osten und in Nordafrika eine „bahnbrechende“ Rolle spielen, so Wallace.

Zentrale Rolle beim Aufbau des türkischen Drohnenprogramms spielt das Unternehmen Bayraktar. Der Unternehmensgründer Selcuk Bayraktar ist seit 2016 mit Erdoğans jüngster Tochter Sümeyye verheiratet. Das dürfte entscheidend dazu beigetragen haben, dass er zur Schlüsselfigur der aufstrebenden Drohnenmacht Türkei geworden ist.

Der türkische Militärexperte Can Kasapoğlu weist darauf hin, dass Ankara den Kampfdrohnen zunehmend taktisches Gewicht beimisst. Er rechnet in den kommenden Jahren mit einem militärischen Durchbruch der Türkei und erinnert an den Paradigmenwechsel in der Kriegsführung. Zunehmend komme Kampfdrohnen eine kriegsentscheidende Rolle zu. Seine Drohnen betrachte Ankara nicht als „einfaches militärisches Modernisierungsportfolio“, sondern als eine „Pionierarbeit für den nächsten geopolitischen Durchbruch“.

Brain Drain und die Folgen

Trotz steigender Produktionskapazitäten gibt es jedoch einen kaum übersehbaren Trend, der die türkischen Ambitionen nach militärischer Autarkie bremsen dürfte. So bereitet der Verteidigungsindustrie der sogenannte Brain Drain ernsthafte Sorgen. Junge Fachkräfte wandern aufgrund der schlechten ökonomischen Gesamtlage, aber auch wegen politischer Unsicherheit ins Ausland aus. Sie – insbesondere leitende Ingenieure – hoffen in Europa aber auch in den USA auf bessere Gehälter.

Dementsprechend stehen die türkischen Ambitionen vor großen Herausforderungen, wie die Analystin Yvonni-Stefania Efstathiou in ihrer Analyse für das International Institute for Strategic Studies konstatiert. Sie zweifelt daran, dass die Türkei bis 2023 ihr Exportziel von 25 Milliarden Dollar erreichen werde. Dagegen sprächen neben dem Abwandern von Fachkräften die schlechte ökonomische Lage, und die Tatsache, dass für anspruchsvollere Systeme bereits jetzt Fachkräfte fehlten. Ihr Fazit: „Das Ziel von 25 Milliarden US-Dollar für Rüstungsexporte mag unrealistisch sein, aber die Richtung ist klar.“

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