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Warum Israels Siedlungen nicht das Problem sind

In Europa wird die Ansicht, dass die israelische Siedlungspolitik illegal ist und ein gewaltiges Friedenshindernis darstellt, von einer großen Mehrheit geteilt. Dabei gibt es gute Gründe, diese vermeintliche Selbstverständlichkeit zu hinterfragen. Einige Anmerkungen zu einem beständigen Vorwurf gegen den jüdischen Staat.

Das Europäische Parlament hat vor wenigen Tagen wieder einmal Israel verurteilt, nämlich für dessen Siedlungspolitik im Westjordanland. Es ist längst ein Ritual, das in unregelmäßigen Abständen vollzogen wird, und auch die Begründung für den Schuldspruch liest sich jedes Mal gleich: illegal gemäß dem Völkerrecht, verschlechtert die Aussichten auf eine Zweistaatenlösung, entscheidendes Hindernis für den Frieden. Der Anlass ist meist, dass die israelische Regierung den Bau neuer Wohneinheiten in einer Siedlung genehmigt hat oder ein Gesetz verabschiedet worden ist, das nicht genehmigte Baumaßnahmen nachträglich legalisiert. Die Ansicht, dass so etwas den „Nahostkonflikt“ anheizt, die „Gewaltspirale“ befördert, die Gefahr eines „Flächenbrandes“ heraufbeschwört und überhaupt so ziemlich das Schlimmste ist, was in der Region passiert, ist nicht nur im EU-Parlament derart selbstverständlich, dass jeder, der sie nicht teilt, als weltfremder Spinner, wenn nicht gar als „Kriegstreiber“ und „Zionistenfreund“ bezeichnet wird.

Dabei lohnt sich ein genauerer Blick auf das Thema Siedlungspolitik, denn so eindeutig, so verwerflich und so unnötig, wie viele meinen, ist die Sache keineswegs. Da wären zunächst einmal die (völker-)rechtlichen Aspekte, die nahezu immer ins Feld geführt werden, wenn es darum geht, die Siedlungen als entscheidenden Störfaktor darzustellen. Schlicht illegal seien sie, sagen ihre Gegner und verweisen auf die Genfer Konvention. Dort heißt es in Artikel 49, die „Besatzungsmacht“ dürfe nicht „Teile ihrer eigenen Zivilbevölkerung in das von ihr besetzte Gebiet deportieren oder umsiedeln“. Das hat die israelische Regierung freilich noch nie getan – die Bevölkerung der Siedlungen lebt dort vielmehr aus eigenem Antrieb. Doch auch „freiwillige Umsiedlungen“ seien nicht statthaft, argumentiert beispielsweise das deutsche Auswärtige Amt. Das wirft Fragen auf: Selbst dann nicht, wenn ein (arabischer) Besitzer sein Land aus eigenem Antrieb an einen (jüdisch-israelischen) Käufer abtritt?

Oder wenn ohnehin vollkommen klar ist, dass eine Ortschaft im Zuge von Friedensverhandlungen nur in das Staatsgebiet der „Besatzungsmacht“ integriert werden kann? Noch jeder international akzeptierte Friedensplan für Israel und die palästinensischen Gebiete hat bislang vorgesehen, dass die Gebiete nahe der „grünen Linie“, in denen etwa 80 Prozent der Siedler leben, an das israelische Kernland angeschlossen werden und die Palästinenser im Gegenzug israelische Ländereien erhalten. Anders könnte ein funktionsfähiger Kompromiss auch gar nicht aussehen. Denn es wäre absurd, ernsthaft zu verlangen, eine Stadt wie etwa Ma’ale Adumim mit ihren fast 40.000 Einwohnern zu räumen und anschließend abzureißen. Dass sie wächst und im Zuge dessen neue Wohnungen gebaut werden, müsste deshalb nicht weiter der Rede wert sein.

Besetzt oder umstritten?

Warum Israels Siedlungen nicht das Problem sindMan könnte auch argumentieren, dass es sich beim Westjordanland und Ostjerusalem gar nicht um besetzte palästinensische, sondern um umstrittene Gebiete handelt. Denn als Israel diese Territorien 1967 unter seine Kontrolle brachte, waren sie zuvor von Jordanien – völkerrechtswidrig – annektiert worden. Davor gehörten sie zum britischen Mandatsgebiet, wiederum davor zum Osmanischen Reich. Teil eines palästinensischen Staates waren sie nie, ohnehin existieren Palästinenser im heutigen Wortsinn erst, seit die PLO in ihrer zweiten Charta die im vormaligen Mandatsgebiet lebenden Araber so bezeichnet hat. Der UN-Teilungsplan vom November 1947 sah die Errichtung eines jüdischen und eines arabischen Staates in Palästina vor, die Araber reagierten darauf bekanntlich mit Krieg. So entstanden „einerseits Israel und andererseits besetzte Gebiete der Ägypter (Gaza) und der Jordanier. 1967 haben jüdische Palästinenser Gebiete erobert, die von arabischen Palästinensern bewohnt waren“, fasst Ulrich Sahm die Geschehnisse pointiert zusammen.

Hat Israel damit fremdes staatliches Territorium erobert? Seit 1948 hat jedenfalls weder das Westjordanland noch der Gazastreifen rechtmäßig einem Souverän gehört. Somit kann man in Zweifel ziehen, dass die Genfer Konvention hier hinsichtlich der Fragen nach Besatzung und Umsiedlung überhaupt greift. Das ist der Hauptgrund, warum etwa die israelische Regierung von „umstrittenen Gebieten“ spricht. Das Völkerrecht ist kein objektives Naturgesetz, sondern etwas, das der Auslegung bedarf und damit auch zu unterschiedlichen Standpunkten führt. Für die Siedlungspolitik gilt das folgerichtig genauso.

Die rechtliche Argumentation ist aber nur eine Facette in der Diskussion und führt zudem in eine Sackgasse. Denn auf dieser Ebene lassen sich keine Kompromisse erzielen, weil sich die verschiedenen Positionen gegenseitig ausschließen. Zu sprechen wäre deshalb eher über die politische Seite der Siedlungspolitik. Und hier ist ein Aspekt wichtig, der in der öffentlichen Debatte kaum eine Rolle spielt: Jenes Palästina, wie es beispielsweise von den Vereinten Nationen im Jahr 2012 als Mitglied aufgenommen wurde, ist ein bandenförmig aufgestellter Unstaat, dessen Ausrufung und Anerkennung zudem gar nicht mehr an Verhandlungen mit Israel geknüpft, sondern einseitig und explizit gegen den jüdischen Staat vollzogen wurde. Das aber zwang Israel zu einer Reaktion, die der Publizist Arthur Buckow so umreißt: „Nach der Entscheidung der Uno, den Unstaat ‚Palästina‘ anzuerkennen und Israel als notwendigem Verhandlungspartner und also als souveränem Staat die Anerkennung implizit zu entziehen, greift die Regierung Netanjahus nun zum einzigen ihr verbliebenen Mittel: ebenso einseitig den Preis für ein Handeln ohne und damit gegen Israel hochzutreiben, um sich überhaupt noch als relevanter politischer Akteur sichtbar zu machen.“

Eine Maßnahme gegen die „Einstaatenendlösung“

Warum Israels Siedlungen nicht das Problem sind
Nach Israels Abzug schänden Palästinenser die Netzarim-Synagoge in Gaza

Denn „ein ausdrücklich gegen Israels Willen und Interessen installiertes Palästina, nicht entmilitarisiert, nicht in verhandelten und sicheren Grenzen, wäre eine existenzielle Bedrohung und könnte vom jüdischen Staat nicht hingenommen werden“, so Buckow weiter. „Die nichtmilitärische Option, diesen Unstaat zu verhindern, wäre tatsächlich – auch wenn dies nicht explizit gemacht wird –, ihn durch zunehmende Fragmentierung zu verunmöglichen. Wer als Israeli nicht mehr an einen Verhandlungspartner auf Seiten der Palästinenser glaubt, wird diese Option einem neuen arabischen Bandenstaat und einem folgenden existenziellen Krieg vorziehen, und in Israel gibt es aus guten schlechten Gründen immer weniger Optimisten. Es wäre Israels letztes Mittel zum eigenen Schutz – und es wäre grässlich, aber legitim.“

Mit anderen Worten: Ja, die israelische Regierung baut auch (wenngleich nicht nur) deshalb Siedlungen, um die Gefahr einzudämmen, dass der palästinensische Traum von einer Kein-Staat-Israel-Lösung – also einer „Einstaatenendlösung“ (Buckow) – Wirklichkeit wird. Denn was geschähe, wenn die Siedlungen einfach aufgelöst würden, liegt auf der Hand, weil dieses Szenario nach dem Abzug Israels aus dem Gazastreifen im Jahr 2005 bereits zu beobachten war: Die palästinensische Seite würde sich ihrerseits keineswegs zu Konzessionen bereit finden – und sei es nur in Form von Sicherheitsgarantien –, sondern diese Maßnahme als Schwäche betrachten und als entscheidenden Schritt auf dem Weg zur „Befreiung ganz Palästinas“ – von den Juden nämlich. Ein Raketenhagel, Attentate und andere Formen des militärischen Angriffs auf den verhassten jüdischen Staat wären unweigerlich die Folge.

Der Abbau der Siedlungen würde also – ganz anders, als die „Israelkritiker“ behaupten – mitnichten den Weg zu einem Frieden zwischen Israelis und Palästinensern freimachen, sondern im Gegenteil die Kriegsgefahr unmittelbar erhöhen und die Existenz Israels gefährden. Und dies auch deshalb, weil die palästinensischen Führungen – sowie nicht geringe Teile der Bevölkerung – ganz Israel als „illegale Siedlung“ betrachten. Selbst wenn der jüdische Staat sich auf das Stadtgebiet von Tel Aviv zurückzöge, wäre er ihnen noch zu groß.

Todesstrafe für Landverkauf an Juden

Warum Israels Siedlungen nicht das Problem sindAus dieser grundsätzlichen Unversöhnlichkeit und Feindseligkeit heraus wird auch der Verkauf von Land und Immobilien an Juden in den palästinensischen Gebieten als Verbrechen behandelt und rechtlich wie sozial schärfstens sanktioniert. Ein palästinensischer Muslim, der eine solche „Tat“ begeht, darf beispielsweise „nicht erwarten, auf einem islamischen Friedhof bestattet zu werden“, wie der arabisch-israelische Journalist Khaled Abu Toameh schreibt. „Eine Ehe mit ortsansässigen Palästinensern ist für Mitglieder der Familie dieses Kriminellen nicht mehr möglich, und wenn Hochzeiten der Familie stattfinden, kommen keine Gäste.“ Die Gesetze und Fatwas (also islamische Anordnungen) der Palästinensischen Autonomiebehörde (PA) verbieten es Palästinensern, Land an „Personen oder Rechtseinheiten, die jüdischer Nationalität oder in Israel ansässig sind oder in deren Namen handeln“, zu verkaufen.

Abu Toameh schildert an einem konkreten Beispiel, was geschieht, wenn sich jemand dieser Anordnung widersetzt: Ende April 2009 verurteilte ein von der Autonomiebehörde eingesetztes „Militärgericht“ in Hebron den damals 59-jährigen Palästinenser Anwar Breghit zum Tode. Außerdem beschloss es, das Vermögen und den Besitz des Angeklagten – dem keinerlei Möglichkeit zur Verteidigung gegeben wurde – zu beschlagnahmen. Breghit habe Land an Juden verkauft und damit gegen ein Gesetz aus dem Jahr 1979 verstoßen, das genau dies verbiete, urteilte das Tribunal. Darüber hinaus habe er zwei weitere Anordnungen nicht befolgt: eine aus dem Jahr 1958, nach der Israel grundsätzlich zu boykottieren sei, und eine von 1953, die jeglichen Handel mit Israelis untersage. Damals war das Westjordanland zwar noch von Jordanien annektiert, die PA hält die seinerzeitigen Verfügungen jedoch offenkundig weiterhin für verbindlich und orientiert sich auch sonst am Nachbarstaat, wenn sie es für opportun befindet.

1997 beispielsweise kündigte sie an, ein jordanisches Gesetz aus dem Jahr 1973 zu übernehmen, nach dem der Verkauf von Land an den „Feind“ – wozu ausnahmslos alle Israelis gezählt wurden – als „Hochverrat“ zu betrachten und mit der Todesstrafe zu ahnden sei. Ob dieses Gesetzesvorhaben offiziell umgesetzt wurde, ist unklar; fest steht aber: Es gab in den vergangenen Jahrzehnten eine ganze Reihe von Todesurteilen gegen Palästinenser, die Ländereien an Juden veräußert haben sollen. Wie viele davon tatsächlich vollstreckt wurden, lässt sich nicht zuverlässig sagen. In mehreren Fällen wurden jedenfalls Palästinenser tot aufgefunden, die man verdächtigte, Immobilien an Juden zu verkaufen oder als Mittelsmänner bei solchen Transaktionen zu fungieren. Andere wurden einem Bericht von Amnesty International zufolge für derartige „Vergehen“ gefoltert. Das Todesurteil gegen Anwar Breghit wurde nicht in die Tat umgesetzt, doch es „erreichte seinen Zweck“, wie Abu Toameh berichtet: „andere davon abzuschrecken, ähnliche Transaktionen mit Juden einzugehen“.

Diese Verkauft-nicht-an-Juden-Politik beschäftigt das Europäische Parlament jedoch nicht, die Mehrzahl der Abgeordneten kapriziert sich lieber auf die israelische Siedlungspolitik und kommt gar nicht erst auf die Idee, dass es für diese auch Gründe gibt, die nicht von der Hand zu weisen sind. Von Israel wird selbstverständlich verlangt, ein multinationaler und -religiöser Staat zu sein, in dem alle Bürger die gleichen Rechte haben. Umgekehrt aber scheint es kaum jemandem auch nur Unbehagen zu bereiten, dass Palästina „judenrein“ sein soll. Eine Perspektive, die übrigens auch der palästinensische Präsident Mahmud Abbas ausdrücklich teilt.

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