Warum die „Israelkritik“ ein Angriff auf das Judentum ist

Demonstration der antisemtischen BDS-Bewegung
Demonstration der antisemtischen BDS-Bewegung (© Imago Images / IPON)

Den Unterstützern der „Jerusalemer Erklärung zum Antisemitismus“, die der „Israelkritik“ einen Freibrief ausstellt, schlägt Kritik entgegen: Drei renommierte deutsche Antisemitismusforscherinnen und -forscher stellen einen erheblichen Mangel an Empathie bei den Unterzeichnern dieser Deklaration fest. Zudem positionieren sich über 400 Akademiker, Fachleute und Intellektuelle in einer Stellungnahme klar auf der Seite der International Holocaust Remembrance Alliance (IHRA), deren Antisemitismusdefinition der Anlass für die „Jerusalemer Erklärung“ war.

Es war nur eine Frage der Zeit, wann die passionierten „Israelkritiker“ aus dem linken und linksliberalen akademischen Milieu, die sich seit Jahren über das große Gewicht des israelbezogenen Antisemitismus in der Arbeitsdefinition der International Holocaust Remembrance Alliance (IHRA) ärgern, mit einer eigenen Definition aufwarten würden.

Ende März war es schließlich so weit: Die „Jerusalemer Erklärung zum Antisemitismus“ ging online, eine von 200 Personen aus eben jenem Milieu unterschriebene Deklaration, die rein wissenschaftlich motiviert sein will und beteuert, keinerlei politische Absichten zu hegen, obwohl das Gegenteil offensichtlich ist.

In apodiktischem Tonfall, mit unangenehmem Selbstlob und einer aufdringlichen Hervorhebung der eigenen Autorität behaupten die Unterzeichner, ihre Antisemitismusdefinition sei „klarer, kohärenter und nuancierter“ sowie „stichhaltiger“ als die der IHRA, außerdem spiegle sie „klar die fachliche Autorität wissenschaftlicher Expert:innen aus den relevanten Feldern wider“.

Diese Basta-Attitüde vernebelt, worum es den Unterstützern der Erklärung tatsächlich zu tun ist: den Hass gegen Israel vom Makel des Antisemitismus zu befreien und den israelbezogenen Antisemitismus kleinzureden – zumindest jenen, der in ihrem eigenen Milieu gepflegt wird.

In einem instruktiven Beitrag für die Jüdische Allgemeine nehmen Julia Bernstein, Lars Rensmann und Monika Schwarz-Friesel, die seit Jahren Richtungweisendes auf dem Gebiet der Antisemitismusforschung leisten und publizieren, die „Jerusalemer Erklärung“ auseinander.

Diese biete „in Bezug auf die Erklärung von Judenhass nichts Neues, Erhellendes oder Präzisierendes“ und basiere „auf faktisch falschen Prämissen“, schreiben sie: Die Definition in der Deklaration sei zu eng und erfasse nur den rechtsextremistischen Antisemitismus, aber nicht den linken, muslimischen und bürgerlichen. Zudem blende sie „die lange kulturhistorische Tradition der Judenfeindschaft aus“.

Kritik an „Jerusalemer Erklärung“: „Eklatanter Mangel an Empathie“

Darüber hinaus ignoriere die Erklärung, wie sehr sich der Antisemitismus seit 1945 implizit, chiffriert und camoufliert äußere. „Um sich vor dem Vorwurf des Antisemitismus zu schützen und weiterhin ungestört judenfeindliche Botschaften verbreiten zu können, benutzen Antisemiten im öffentlichen Raum indirekte Sprechakte mit Substitutionen wie ‚Israel-Lobby‘ oder ‚Zionisten‘“, so Bernstein, Rensmann und Schwarz-Friesel.

Das Wort „Jude“ müsse nicht artikuliert werden, „um Antisemitismen zu produzieren“. Die vorherrschende Variante des Antisemitismus sei heute die israelbezogene – doch genau diese werde in der Erklärung relativiert.

Der Hass auf den jüdischen Staat, so die drei Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, „verbindet heute alle Antisemiten gleich welcher politischen Richtung; er ist das Bindeglied zwischen allen sonst divergierenden Gruppen und dadurch besonders gefährlich“, zumal der Hass allzu oft als „legitime Kritik“ artikuliert werde.

Diese Variante gelte es „weltweit besonders energisch zu bekämpfen, denn sie macht judenfeindliche Stereotype salonfähig, sie gibt den radikalen Kräften genau den Resonanzraum in der Mitte, den sie brauchen“. Die IHRA-Arbeitsdefinition sei gut und praktikabel, und sie ohne Grund zu attackieren, stifte nur Verwirrung.

Deutlich kritisieren Bernstein, Rensmann und Schwarz-Friesel, dass in der „Jerusalemer Erklärung“ beispielsweise die Behauptung, Israel sei ein Apartheidstaat, und delegitimierende Boykottaufrufe gegen den jüdischen Staat als „nicht per se antisemitisch“ bewertet werden – genauso übrigens wie die BDS-Bewegung. Folgerichtig werden auch Vernichtungsdrohungen wie jene der Hamas, der Hisbollah und des Iran ausgeblendet.

Die „sorgenvolle Perspektive der Opfer von Antisemitismus“ komme ebenfalls nicht vor, so das Trio, das an dieser Stelle besonders deutlich wird:

„Die überwältigende Mehrheit der Juden verurteilt israelbezogenen Antisemitismus und leidet unter den permanenten Diffamierungen. Dass diese Perspektive ignoriert wird, zeigt einen eklatanten Mangel an Empathie gegenüber der weltweiten Furcht jüdischer Menschen angesichts immer selbstbewusster auftretender Judenfeinde.“

Unterstützung für die IHRA-Definition

Das Fazit der Antisemitismusforscherinnen und -forscher lautet: „Dies ist keine wissenschaftliche Definition, sondern eine politische Manifestation, die gegen Israel gerichtet ist. Sie behindert die Aufklärung und den Kampf gegen Judenhass.“

Die „Jerusalemer Erklärung“ ist nicht der erste Angriff auf die IHRA-Definition, aber fraglos ein besonders konzertierter und öffentlichkeitswirksamer. Doch nun bekommt die International Holocaust Remembrance Alliance Unterstützung von über 400 Akademikern, Fachleuten und Intellektuellen vor allem aus Israel, den USA, Kanada und Europa. Unter dem Titel „Gegen Antisemitismus, für die IHRA“ erklären sie, die Arbeitsdefinition zu unterstützen.

Zu den Unterzeichnern gehören viele bekannte Experten, die seit Jahren beispielsweise im Bereich der Holocaustforschung, der Jüdischen Studien oder der Nahoststudien tätig sind, und darüber hinaus auch Diplomaten, Institutsleiter und Autoren: Ron Prosor, Gerald Steinberg, Richard Landes, Aren Ostrovsky, David Hirsh, Efraim Karsh, Lars Rensmann, Günther Jikeli, Yossi Klein Halevi, Charles Asher Small – um nur einige zu nennen.

In ihrer sieben Absätze umfassenden Erklärung in englischer Sprache machen sie deutlich, wie wichtig die IHRA-Definition für die Identifikation und Bekämpfung des Antisemitismus ist. „Wir haben unterschiedliche Ansichten über die Politik der gegenwärtigen israelischen Regierung, ihre Politik gegenüber den Palästinensern und den richtigen Weg, um Frieden und Koexistenz mit Israels Nachbarn zu erreichen“, schreiben die Unterstützer.

„Wir sind uns jedoch alle einig, dass es dringend notwendig ist, auf den weltweit zunehmenden Antisemitismus zu reagieren. Die IHRA-Definition von Antisemitismus ist ein unschätzbares Instrument, das die verschiedenen Erscheinungsformen und Gewänder des heutigen Antisemitismus erkennt.“

Sie erkenne an, „dass sich zeitgenössischer Antisemitismus häufig gegen den Staat Israel richtet: durch Aufrufe zur Zerstörung Israels, Vergleiche mit Nazideutschland, Doppelmoral und Dämonisierung.“

Die Allianz der „Israelkritiker“: Rechtsextreme, Antizionisten, Islamisten

Seit dem Beginn dieses Jahrtausends sei ein „neuer Antisemitismus“ im Aufstieg begriffen, der sich auf das Erbe früherer antijüdischer Bilder und Tropen stütze und seine Wurzeln „in einer schädlichen Mischung aus klassischem, modernem rassistischen, islamischem und sowjetischem antizionistischen Antisemitismus“ habe.

Er kennzeichne den jüdischen Staat als einzigartigen Dämon und fordere „in einer Welt voller Staaten und nationaler Bewegungen“ ausgerechnet „die Demontage und schließlich die gewaltsame Zerstörung des Staates Israel“. Er wende „klassische antisemitische Bilder oder Vergleiche mit Nazi-Deutschland […] auf den Staat Israel an, der Heimat der Hälfte des Judentums“.

Diesen zeitgenössischen Antisemitismus trügen und propagierten unterschiedliche Kräften, heißt es in der Erklärung weiter: „rechtsextreme Reaktionäre, linke Antizionisten, islamische Dschihadisten und Radikale“. Sie konzentrieren sich obsessiv auf die angeblichen Missetaten des Zionismus, wobei „der ‚Zionismus‘, den diese Antisemiten zu verleumden und zu bekämpfen suchen, wenig mit dem tatsächlichen Zionismus gemein“ habe.

In Wahrheit habe der Zionismus „von Anfang an die Vision eines Staates gehabt, der auf Gleichberechtigung und Toleranz für alle seine Bürger basiert und in dem das jüdische Volk sein Recht auf Selbstbestimmung ausüben kann“.

Viele Juden, sowohl in Israel als auch in der Diaspora, sähen im Zionismus und im Staat Israel eine Garantie für ihre Sicherheit. „Für viele von uns, jüdische und israelische Akademiker unterschiedlicher Herkunft, tragen unsere Familiengeschichten die Narben einer Welt ohne einen Staat Israel. Viele unserer Eltern und Großeltern flohen aufgrund ihrer jüdischen Identität vor Verfolgung in Europa und der arabischen und muslimischen Welt.“

Der Staat Israel habe Juden auf der ganzen Welt „eine Heimat gegeben, einen Ort, an dem wir unsere einzigartige Kultur entwickeln konnten, und die Möglichkeit, uns vor äußeren Bedrohungen zu schützen“.

Die Unterstützung der IHRA ist notwendig

Aufrufe zur Auflösung des jüdischen Staates könnten daher „nur als ein Angriff auf die jüdische Geschichte, Identität und Sicherheit verstanden werden“, so die Unterzeichner der Erklärung.

Gleichzeitig betonen sie: „Wir würden niemals behaupten, dass Kritik an Israel antisemitisch ist.“ Wenn jedoch Israels Existenz delegitimiert und bedroht werde, „wenn Israelis und Juden aufgrund ihrer Verbindung mit dem jüdischen Staat ausgegrenzt werden und wenn antisemitische Verschwörungsideologien unter dem Deckmantel des Antiisraelismus und Antizionismus gedeihen, dann erkennen wir, dass dies Antisemitismus ist“.

Der gegen Israel gerichtete Hass sickere, wenn er unkontrolliert bleibe, nach außen und ziele „auf die jüdischen Gemeinden in der Diaspora, die sich größtenteils mit dem Staat Israel identifizieren und ihn im Wesentlichen unterstützen“. Die antiisraelischen Verschwörungsideologien und falschen Anschuldigungen hätten „Belästigungen, Übergriffe und sogar Morde an Juden in Nordamerika und Europa angeheizt“.

Frieden und Versöhnung könnten nicht mit der Leugnung und Delegitimierung des Rechts des jüdischen Volkes auf Sicherheit und Schutz in seinem Staat einhergehen. Klar sei auch: „Aufrufe zur Zerstörung Israels sowie die Diskriminierung von Israelis und Juden weltweit stehen im Widerspruch zu den Menschenrechten.“

Ob diese Stellungnahme eine unmittelbare Reaktion auf die „Jerusalemer Erklärung“ darstellt, ist unklar. Bezug genommen wird auf sie zumindest nicht, und unter dem Beschuss von „Israelkritikern“ und anderen Antisemiten stand die IHRA auch schon vorher.

Ungeachtet dessen ist die Stellungnahme eine so empathische wie notwendige Unterstützung der International Holocaust Remembrance Alliance und ihrer Antisemitismusdefinition. Es ist gut, dass sie so rasch nach der „Jerusalemer Erklärung“ veröffentlicht wurde und noch einmal deutlich macht, dass auch der israelbezogene Antisemitismus – genau wie alle anderen Varianten des Hasses gegen Juden – ein Angriff auf das Judentum insgesamt ist.

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