„Der iranische Präsident Hassan Rouhani mag weder das vorrangige Ziel noch die unmittelbare Ursache der Proteste sein, doch hat die Bilanz seit seiner Wiederwahl im Mai die fast 24 Millionen Iraner, die ihn wählten, bitter enttäuscht. Statt eigenständig zu agieren, folgte Rohani wiederholt den Vorgaben des nicht gewählten religiösen Staatsoberhaupts Ayatollah Ali Khamenei. (…)
Den Darstellungen mancher westlichen Medien zum Trotz hat Rohani sich selbst nie als einen politischen Reformer bezeichnet und in der iranischen Öffentlichkeit hat er auch nie als solcher gegolten. Sein Wahlsieg hat weniger mit seiner Beliebtheit und mehr mit der Unbeliebtheit von Ebrahim Raisi, dem Hardliner, der ihn herausforderte, zu tun. Im Laufe des Wahlkampfs gab Rohani allerdings ein Versprechen ab, das sich Wählern einprägte: sollte er wiedergewählt werden, würden den Bürger größere politische Freiheiten eingeräumt. (…)
Schon die erste Pressekonferenz nach seiner Wiederwahl war enttäuschend. (…) Dann ernannte Rohani ein Kabinett ohne Reformer. Damit noch nicht genug ließ er sämtliche Minister zuvor von Khamenei genehmigen. Während des Wahlkampfs brachte er seine Sympathie für umtriebige Aktivistinnen und Wählerinnen zum Ausdruck. Obwohl er aus verschiedenen Richtungen dazu gedrängt wurde, nahm er jedoch keine einzige Frau in sein Kabinett auf. (…)
Seit seiner Wiederwahl hat Rohani die entscheidenden Bevölkerungsgruppen, die für ihn stimmten, hängen lassen und sich stattdessen um den Bau einer Plattform für die dauerhafte Koexistenz mit den Hardlinern bemüht. Angesichts seiner Ambition, Khamenei als religiöses Staatsoberhaupt nachzufolgen, misst er dieser Fraktion entscheidende Bedeutung für seinen weiteren Aufstieg bei. Die Versprechen, die er während des Wahlkampfs abgab, sind offenbar nur noch eine ferne Erinnerung. (…)
Bei den im Mai live ausgestrahlten Fernsehdebatten zwischen den Präsidentschaftskandidaten waren manche der Zuseher von den Angriffen Rohanis auf die Hardliner – einschließlich der Revolutionsgarden – wegen ihrer mafiösen Verhaltensweisen, die den Ruf des Iran in der Welt untergrüben, begeistert. Seitdem hat er herzlich wenig unternommen, um sich eben jenen Elementen entgegenzustellen. Dadurch hat er nicht nur versäumt, eine angemessenere Balance im der Machtverteilung zwischen den gewählten und nicht gewählten Verfassungsorganen der Islamischen Republik herbeizuführen. Zudem hat er die Frage aufgeworfen, ob das System überhaupt durch Wahlen reformiert werden kann.
Die Unnachgiebigkeit des politischen Modells hat die jüngeren Iraner offenbar davon überzeugt, dass das System nicht reformiert werden kann.“
(Alex Vatanka: „Why Iran’s Protesters Are So Angry With Rouhani“)