Von Thomas Eppinger
Es hätte so schön sein können. Wir machen blendende Geschäfte mit Iran, das Land blüht auf und entwickelt sich zu einem verlässlichen Partner im globalen Sicherheits- und Wirtschaftssystem. Alles was war ist vergessen, war nie so gemeint oder falsch übersetzt, und Hassan Rouhani ist im Grunde seines Herzens ohnehin ein waschechter Liberaler. Niemand will eine Atombombe bauen. Nur ein paar Jahre noch. Dann wird alles gut.
„Wie wunderbar die Strategie auch sein mag, man sollte gelegentlich einen Blick aufs Resultat werfen“, empfahl Winston Churchill. Also tun wir das.
„Weder die erbärmliche Holocaust-Leugner-Konferenz in Teheran noch die unvermindert fortgesetzte nukleare Aufrüstung des Iran haben zu angemessenen Reaktionen Österreichs und der Europäischen Union geführt, und der so genannte Dialog mit dem iranischen Regime ist nichts anderes als der Schutzmantel, hinter dem der Atombombenbau betrieben wird. Iranische Atombomben sind zwar primär eine Existenzgefährdung Israels, es wäre aber naiv, die darüber hinaus gehenden Bedrohungen nicht zu sehen: Im Visier der islamistischen Fundamentalisten steht die gesamte westliche Kultur und Zivilisation, stehen Demokratie und Menschenrechte, stehen alle, die keinen islamischen Gottesstaat wollen. (…) Als Historiker weiß ich, dass das Zurückweichen vor totalitären Diktaturen katastrophale Folgen haben kann.“
Seit Wolfgang Neugebauer, der langjährige wissenschaftliche Leiter des Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstands, diese Zeilen im November 2007 im Standard schrieb, ist gut ein Jahrzehnt vergangen. Niemand kann ernsthaft behaupten, dass die Bedrohung durch Iran seither geringer geworden wäre.
In diesen zehn Jahren, die seither vergangen sind, ist Iran zur Hegemonialmacht im Nahen Osten aufgestiegen. Nach wie vor droht Iran Israel mit der Vernichtung. In Syrien sind inzwischen 80.000 iranische Milizionäre stationiert, der Libanon ist de facto unter iranischer Kontrolle. Längst verfügt Teheran über Kurz- und Mittelstreckenraketen und droht, sein umfangreiches Raketenprogramm um Langstreckenraketen zu ergänzen – die militärisch nur sinnvoll sind, wenn sie mit Atomwaffen bestückt werden. Iran will die Islamische Revolution nach Lateinamerika und nach Afrika tragen. Das Land ist in zig Nahost- bzw. Golfstaaten mit Militärs und Beratern präsent und führt einen Stellvertreterkrieg im Jemen, wo sich der Bürgerkrieg jederzeit zu einem regionalen Krieg ausweiten kann. Iran unterstützt die Taliban, die Hisbollah und die Hamas und ist der größte Terrorfinanzierer der Welt:
„Seit vielen Jahren stellt Teheran Geld und Ausrüstung zur Verfügung und trainiert militante Gruppen. Hilfe erhalten Berichten zufolge die Hamas, andere israelfeindliche palästinensische Extremisten sowie zahlreiche schiitische Milizen in Syrien, dem Irak, Afghanistan und im Jemen. Eine besondere Rolle spielt die libanesische Hisbollah. Sie wird vom Iran finanziert und bewaffnet – und weltweit für Anschläge verantwortlich gemacht. Die ‚Partei Gottes‘ ist über den Libanon hinaus ein Machtfaktor in der Region. Im Auftrag Teherans kämpft die Hisbollah seit Jahren aufseiten von Baschar al Assad.
Sie ist die wichtigste militärische Stütze des Herrschers in Damaskus. Mithilfe der verschiedenen Milizen versucht der Iran, seinen Einfluss auszudehnen. Ziel ist ein ‚schiitischer Halbmond‘, der sich vom Mittelmeer bis zum Golf von Aden erstreckt und Teherans Vormachtstellung sichern soll. Genau das wertet Saudi-Arabien als Bedrohung. Die Folge: Stellvertreterkriege. Einer der schlimmsten tobt derzeit im Jemen, das Armenhaus der Arabischen Halbinsel. Dort kämpfen aufständische Huthi-Rebellen mit tatkräftiger Unterstützung des Iran gegen die offizielle Regierung, die umfangreichen militärischen Beistand aus Saudi-Arabien erhält.“
Nach wie vor werden Menschen öffentlich hingerichtet, für Vergehen wie „Ehebruch, gewaltfreie Drogenvergehen, gleichgeschlechtlichen Analverkehr (ob einvernehmlich oder nicht), Apostasie (den Übertritt vom Islam zu einer anderen Religion), Beleidigung des Propheten Mohammed und ein Spektrum nicht näher definierter Vergehen gegen die nationale Sicherheit wie ‚das Aussäen von Korruption in der Welt.‘“
Ein Staat im Niedergang
Erst der Atomvertrag ermöglichte es dem Iran, seine militärische Expansion zu finanzieren. Seit der schrittweisen Aufhebung der Sanktionen sind zwischen 35 und 60 Milliarden Dollar aus eingefrorenen Konten in den Iran zurückgeflossen. Das Handelsvolumen der europäischen Unternehmen blieb mit rd. 14 Milliarden Dollar im Jahr 2016 zwar weit unter den Erwartungen Europas, spülte aber dennoch zusätzliches Geld in die Kriegskassen des Regimes.
Iran investierte diese Summen nicht in den Wohlstand seiner Bürger, nicht in Infrastruktur oder Bildung, sondern in seine Expansion. Doch die außenpolitische Stärke wird zur innenpolitischen Schwäche. Die Inflation steigt, der Rial, die iranische Währung, befindet sich im freien Fall. „Der Immobilienmarkt stagniert, und der Bankensektor wackelt. Iraner greifen nach ausländischen Währungen, weil diese zu den wenigen vernünftigen Investments zählen, die verfügbar sind.“, kommentierte der Economist, der Iran folgt dem Kurs Venezuelas in die Armut. Allein in den letzten Wochen wurde Vermögen im Wert von 10 bis 30 Milliarden Dollar außer Landes geschafft.
Rohani hat die Hoffnungen der Bevölkerung in Reformen und Liberalisierung enttäuscht. Immer deutlicher wird, dass der Präsidenten gegenüber den Mullahs vergleichsweise machtlos ist. Die Verfassung sichert die unumstößliche Herrschaft der Mullahs ab. Es gibt keine Gewaltenteilung. Legislative, Exekutive und Judikative sind zur Gänze der religiösen Führung unterstellt. In Iran herrscht eine theokratisch-faschistische Diktatur.
Der Rückhalt des Regimes in der Bevölkerung sinkt, die Proteste werden immer lauter, immer deutlicher, immer intensiver. Die zunehmend verarmende Bevölkerung zeigt immer weniger Verständnis für die Milliarden, die vom Regime in außenpolitische Engagements investiert werden, während die Wirtschaft im Inland weiter schrumpft. Der Westen lässt die liberalen Kräfte im Iran seit Jahren im Stich, doch ohne Unterstützung von außen ist ein Regime Change unter den derzeitigen Verhältnissen kaum machbar.
Europa als Zuschauer
Donald Trump bezeichnet das Atomabkommen, das Iran und USA, China, Russland, Frankreich, Großbritannien, Deutschland und die Europäische Union 2015 abgeschlossen haben, zurecht als beschämend und peinlich. Denn selbst wenn Teheran alle Bedingungen auf Punkt und Beistrich erfüllt, was spätestens nach dem jüngsten Coup der Israelis mehr als fraglich ist, ebnet das Abkommen dem Iran den Weg zur Bombe: 2025 werden die Kontrollen der IAEA weitgehend eingestellt. Spätestens dann hat Iran das Know-how und das Geld, um endgültig zur Atommacht aufzusteigen. Dass das Abkommen die atomare Aufrüstung Irans verhindern würde, ist eine blanke Lüge. Fake News, wenn man so will. Es verschiebt sie nur um ein paar Jahre, und bis dahin hilft es Iran sein Rüstungsprogramm zu finanzieren.
Europa gibt ein jämmerliches Schauspiel ab. Die Mischung aus Beharrlichkeit, Verzweiflung und Realitätsverweigerung, mit der die Europäer den Atomvertrag verteidigen, grenzt ans Lächerliche. Denn eines ist sicher: kein Unternehmen, das in den USA geschäftliche Interessen hat, wird diese durch Geschäfte mit Iran aufs Spiel setzen. Keine international tätige Bank wird Geschäfte mit Iran finanzieren. Wie wollen die Europäer also den Vertrag überhaupt halten, wie die wirtschaftlichen Beziehungen mit Leben füllen? Will Frau Merkel Steuergelder in den Iran investieren statt in die eigene Infrastruktur? Wohl kaum.
Der Vertrag ist tot. Die wirtschaftlichen Folgen daraus sind noch nicht absehbar. Abgesehen vom künftig entgehenden Geschäftsvolumen für die Wirtschaft werden der Öl- und Gaspreis steigen, sodass Inflation und Zinsen hochgetrieben werden könnten. Höhere Zinsen bringen die heillos überschuldeten europäischen Staaten in budgetäre Nöte, was wiederum den aktuellen Wirtschaftsaufschwung zum Erliegen bringen könnte. Amerika profitiert doppelt. Zum einen ist es dank des in Europa verpönten Frackings längst nicht mehr auf Öl- oder Gasimporte angewiesen. Steigende Preise machen die zuletzt ins Stocken gekommene Förderung wieder profitabel, was Jobs im Inland schafft und die Handelsbilanz verbessert. Zum anderen hat es Europa nicht geschafft, mit dem Euro die Dominanz des Dollars zu brechen: „Das gesamte Finanzsystem funktioniert auf Basis der amerikanischen Devise. Das Gros der Zahlungsströme läuft auf Dollar-Basis. An jedem Punkt der Transaktionskette kann Washington sein Veto einlegen und einen Spieler ausschließen. Allein diese Drohkulisse ist so mächtig, dass sich niemand mit den Amerikanern anlegen will. Auch wer heute Öl kaufen muss, braucht dafür Dollar und ist damit in gewisser Weise auf die Gnade Amerikas angewiesen.“ Harsch formuliert, aber im Kern zutreffend.
Es rächt sich, dass die Europäer Trump so sträflich unterschätzt haben. Er handelt entschlossen und im Fall Iran auch richtig. Sowohl unter dem Aspekt, dass ein atomar bewaffneter Iran ein unabsehbares Sicherheitsrisiko für die gesamte freie Welt wäre, als auch in Hinblick auf die wirtschaftlichen Interessen der USA.
Anstatt weiter Potemkinsche Dörfer zu bauen, wäre Europa also gut beraten, über den eigenen Schatten zu springen und seine Iran-Politik neu auszurichten. Akkordiert mit den USA und mit dem klaren Ziel eines mittelfristigen Machtwechsels in Teheran. Das Ende dieses unseligen Vertrags bietet die Chance dazu. Nützen wir sie.