In der kurdischen Autonomieregion wurde ein neues Parlament gewählt. Große Überraschungen brachte das Ergebnis nicht, Verlierer sind die islamistischen Parteien.
Mit über einem Jahr Verspätung – die vorangegangenen Wahlen fanden 2018 statt – hatte die Bevölkerung der kurdischen Autonomieregion die Möglichkeit, ein neues Parlament zu wählen. Zuvor gab es größere Konflikte, etwa um eine Wahlreform, welche die Anzahl an Sitzen von 111 auf 100 reduzierte und so die festen Quoten für Vertreter der Minderheiten in der Region abschaffte. Außerdem war diesmal die irakische Wahlkommission aus Bagdad und nicht die kurdische für die Abhaltung und Überwachung der Wahlen zuständig, da es mehrfach den Vorwurf an Letztere gab, Wahlfälschungen und Manipulationen zugunsten einer der großen Parteien zuzulassen.
Mit 72 Prozent lag die Wahlbeteiligung recht hoch angesichts der Tatsache, dass viele, vor allem jüngere Menschen, sich wenig von den großen Parteien Demokratische Partei Kurdistans (KDP) und Patriotische Union Kurdistan (PUK), welche die Region seit 1991 regieren, versprechen. Zudem ist Irakisch-Kurdistan weiter de facto zweigeteilt: Die KDP kontrolliert die beiden nördlichen Provinzen Dohuk und Arbil, die PUK die südliche von Sulaimaniyya.
Entsprechend wenig überraschend fiel dann auch das Ergebnis für beide Parteien aus: Die KDP vereinigte 45 Prozent der Stimmen auf sich, die PUK folgt mit 23 Prozent. Überraschenderweise schaffte es eine relativ junge Partei, die Neue Generation, die vom Geschäftsmann Shaswar Abdulwahid geführt wird, mit 16 Prozent auf Platz drei und konnte damit ihren Stimmenanteil im Vergleich zu 2018 verdoppeln. Offenbar gelang es ihr, viele der Stimmen, die früher an die Bewegung für Wandel (Gorran) gingen und vor allem in Sulaimaniyya von mit der PUK unzufriedenen Wählern abgegeben wurden, für sich zu gewinnen. Gorran, einst Hoffnungsträger gerade der jungen Generation, konnte die in sie gesetzten Erwartungen nicht erfüllen und wurde dafür abgestraft: Gerade einmal einen Sitz im neuen Parlament konnte sie erringen.
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Islamisten als Wahlverlierer
So bleibt als bedeutendstes Ergebnis der Wahl das schlechte Abschneiden der beiden islamistischen Parteien. Die Kurdische Islamische Union, die traditionell den Muslimbrüdern und der türkischen AKP von Präsident Erdogan nahesteht, gewann gerade einmal knapp 6,5 Prozent, die Gerechtigkeitspartei gar nur 3,5 Prozent. Zusammen erhielten sie damit zwei Prozent weniger an Stimmen als bei der letzten Wahl – ein Ergebnis, das besonders von jenen begrüßt wurde, die gefürchtet hatten, der allgemeine Unmut mit den herrschenden Parteien, endemischer Korruption und Misswirtschaft könnte den islamischen Parteien neue Wähler in die Arme treiben.
Ansonsten dürfte sich nach den Wahlen wenig an der politischen Landschaft Kurdistans ändern. Vermutlich werden, obwohl zerstritten, KDP und PUK erneut eine große Koalition bilden und dann die Ministerposten untereinander aufteilen, wie sie dies seit Beendigung des Parteien-Kriegs im Jahr 2002 tun. Sollte die KDP versuchen, mit anderen Parteien eine Regierung zu bilden und die PUK in die Opposition drängen, hätte dies weitreichende Konsequenzen für die Zukunft Irakisch-Kurdistans, dessen fragiles politisches System bislang auf der Teilung von Posten und Macht beider Parteien fußte.
Dass diese Konstruktion zugleich viele der Probleme, die zu weitreichender Unzufriedenheit großer Teile der Bevölkerung führen, mit verursachten, spielt dabei keine Rolle. Die PUK, deren langjähriger Vorsitzender Jalal Talabani nach langer Krankheit 2017 verstarb, wird nun von einem seiner Söhne, Bafil Talabani, geführt. (Ein anderer Sohn, Lahur, hatte sich mit seinen Brüdern heillos zerstritten und deshalb eine eigene Partei gegründet, die bei den Wahlen allerdings nicht besonders erfolgreich abschnitt.) Noch familiärer geht es bei der KDP zu, wo der Onkel des langjährigen Parteivorsitzenden und Präsidenten Kurdistans, Massud Barzani, Nechirvan Barzani heute das Präsidialamt innehat, während mit Masrour Barzani ein Sohn Massuds den Posten des Premierministers übernommen hat.
Außerdem unterhalten beide Parteien bis heute ihre eigenen Peschmerga-Milizen und Sicherheitsdienste und regieren in ihren jeweiligen Hochburgen faktisch wie Staaten im Staat, denen zusätzlich auch die meisten großen Firmen in der Region direkt oder indirekt gehören.
Und auch die Nachbarstaaten Türkei und Iran üben bei jeder Regierungsbildung ihren Einfluss aus: Traditionell steht die KDP der Türkei, vor allem aber der dort regierenden AKP nahe und hilft ihr bei der Bekämpfung der PKK im Irak, während die PUK exzellente Kontakte nach Teheran pflegt. Auch daran werden die aktuellen Wahlen vermutlich nichts ändern.