Nächste Woche ist es wieder einmal soweit. Israel wählt eine neue Regierung und der Ausgang ist erneut ungewiss.
Vordergründig handelt es sich bei diesem Wahlkampf, wie ehedem, um ein Gefecht zwischen Bibi-Fans und Bibi-Feinden. Und wie ehedem, scheint sich auch diesmal weder für das eine noch für das andere Lager eine klare Mehrheit abzuzeichnen. Eine Wiederholungsvorstellung ist die bevorstehende Wahl zur 24. Knesset dennoch nicht.
Konkurrenzkampf in der Rechten
In früheren Parlamentswahlen traten zwei Hauptkonkurrenten gegeneinander an. Bei den letzten drei Durchgängen etwa stand Benjamin Netanjahu seinem ehemaligen Stabschef, Benny Gantz gegenüber. Die Ausgansposition war also klar definiert. Diesmal ist es anders.
Netanjahu hat gleich drei zentrale Gegner: Yair Lapid, Naftali Bennett, und Gideon Saar. Während der erste ideologisch zur Mitte zählt, suchen die beiden anderen den amtierenden Premier erstmals von rechts zu überholen. Das ist für ihn gefährlich, weil die derzeit mehrheitlich rechts-orientierte israelische Bevölkerung damit gleich zwei gangbare Premier-Alternativen präsentiert bekommt.
Sowohl Bennet als auch Saar sind im Likud, der Partei von Netanjahu, groß geworden, und beide haben sich enttäuscht von ihrem ehemaligen Chef abgewandt. Jetzt wollen ihn beide seines Amtes entheben. Allerdings haben sie, zumindest laut Prognosen, sogar gemeinsam weniger Mandate haben als der Likud. Laut der jüngsten Megaumfrage des Fernsehsenders Channel 11, gehen 31 Mandate auf den Likud, 13 auf die Yamina-Partei von Bennett und 11 auf die ‚Neue Hoffnung’-Fraktion von Gideon Saar.
Obschon Bennet und Saar einander ideologisch nahestehen, unterscheiden sie sich in Sachen Strategie und Taktik. Bennet beteuert, er selbst wolle Netanjahu ersetzen. Trotzdem lässt sich der wendige High-Tech-Millionär und ehemalige Minister diverser Portfolios alle Türen offen und lehnt Bibi nicht kategorisch ab. Der langjährige Politiker Saar, hingegen, schafft klare Fronten und weigert sich vehement gegen einen Koalition mit Netanjahu.
Stabilität in der Mitte
Ähnlich denkt auch Yair Lapid. Der ehemalige Partner von Benny Gantz, der seine Fraktion aus der Blau-Weiß-Partei herauslöste, als diese eine Koalition mit dem Likud einging, kann jetzt, laut Umfragen, 20 Mandate verbuchen. Damit hat Lapid seine ‚Yesh Atid’ zur zweitgrößten Partei im Land gemacht. Ob es reichen wird, um Netanjahu aus dem Sattel zu heben, bleibt dahingestellt.
Lapid hat jedenfalls deklariert, er sei bereit, auf den Premierposten zu verzichten, um eine stabile Koalition ohne Netanjahu zu bilden. In seinen Wahlreden stellt er sich als ehrlich und aufrecht vor, als jemand der seine persönlichen Interessen klar hinter jene des Landes stellt, als jemand auf den man sich verlassen kann. Mit diesen Botschaften will er sich gegen Netanjahu abgrenzen.
Ansonsten hielt sich Lapid bis dato bedeckt und weitgehend aus dem allgemeinen Wahltrubel heraus. Erst jetzt, im Endspurt richtet er sich lautstark gegen kleinere Parteien, wie die Arbeiterpartei und Blau-Weiss, und warnt Wähler davor, ihre Stimmen nicht an diese zu „verschwenden“.
Die Linke im Sturzflug
Seit einiger Zeit schon schrumpft die Linke in Israel und damit auch der linke Flügel im israelischen Parlament. Zwar konnte die neue Vorsitzende der Arbeiterpartei, Merav Michaeli, ihre Fraktion vor dem Abgrund retten, mit prognostizierten sieben Mandaten ist die „Avoda“ aber weit weg von ihren ehemaligen Triumphtagen.
Besonders brenzlig steht es dieser Tage um Meretz, der langjährigen Links-außen-Partei unter der Führung von Nitzan Horowitz. Der streitbare Fraktionschef kam neulich unter Beschuss als er die Entscheidung des internationalen Strafgerichtshofs rechtfertigte, gegen Israel zu ermitteln. Damit machte er sich nicht nur bei potentiellen Wählern, sondern auch bei möglichen Koalitionspartnern unbeliebt.
Yamina etwa ließ verlauten, man würde nach diesen Worten nicht mehr mit Meretz kooperieren wollen. Mittlerweile zeigen diverse Prognosen, dass Meretz die Mindestschwelle für einen Einzug in die Knesset knapp verfehlen dürfte.
Bewährte Strategie
Netanjahu beteuert seinerseits, er würde diesmal haushoch gewinnen. Beobachtern ist zwar angesichts der Prognosen nicht ganz klar, wie er das anstellen will, aber Bibi setzt auf eine bewährte Strategie: Er produziert ein klares, populäres Feindbild. Auf die beiden rechten Kandidaten geht er kaum ein. Auf Saar schon gar nicht, und auf Bennet nur „en passant“.
Schließlich will er ihn nicht aufwerten, kann es sich aber auch nicht leisten, seinen Erfolg zu torpedieren, weil er ihn künftig für seine Koalition braucht. Er fokussiert sich vielmehr auf Lapid, den er nicht nur als seinen wirklichen Gegner, sondern auch, eher unbegründet, als Vertreter der Linken darstellt. Mit Lapid, so warnt er, würde Israel eine linke Regierung bekommen. Dass diese Aussicht der mehrheitlich-rechten Wählerschaft nicht gerade schmeckt, ist klar.
Zudem weist Netanjahu auch immer wieder auf seine einzigarte Leistung bei der Sicherung der Corona-Impfungen hin. Zwar versuchen viele, unter anderem auch viele führende Medien, diese Leistung zu relativieren. Die Tatsachen und die stetig besseren Corona-Zahlen sprechen aber für sich.
Kontroverse Taktik
Schließlich setzt Netanjahu auf seine legendäre Kommunikationskraft, die jetzt auch auf den diversen sozialen Kanälen, von Facebook bis hin zu TikTok, zum Tragen kommt. Mit diesem Talent ist Bibi seinen Kontrahenten weit voraus. Gleichzeitig erntet sein Stil aber auch viel Kritik.
Beispiel: Bei seiner aktuellen Interview-Turboaktion in den diversen Fernsehkanälen hat der Premier so manche unangenehme Frage mit abwertenden Lautmalereien beantwortet. Das ging eine Weile gut. Als er aber neulich gefragt wurde, wie es zu den vielen Corona-Opfern in Israel kommen konnte, erwiderte er: „Fragen Sie doch Paka Paka Shasha Shasha“.
Das war eine kaum-verschleierte Anspielung auf Yifat Shasha Biton, der Vorsitzenden des Corona-Kabinetts und Nummer zwei der ‚Neue Hoffnung’-Fraktion, die sich häufig den Corona-Restriktionsanweisungen vom Likud widersetzt hatte. „Paka Paka“ stand wohl für leeres Geplapper, „Shasha Shasha“ herabsetzend für Menschen aus dem Orient. Der unwürdige Ausdruck wurde zwar allseits verurteilt, prägte sich aber, einem Ohrwurm gleich, ins Wählergedächtnis ein.
Status Quo versus Veränderung
Laut den vorliegenden Zahlen scheinen sich zwei ungefähr gleichwertige Blöcke gegenüberzustehen. Dabei geht es aber nicht, wie bislang, um einen rechten und einen linken Block. Vielmehr repräsentiert das eine Lager mit dem Likud, den ultra-orthodoxen Fraktionen, den religiösen Zionisten und möglicherweise Yamina, den Status Quo Ante.
Das andere Lager mit Yesh Atid, ‚Neue Hoffnung’, Avoda, der Israel Beiteinu-Fraktion von Avigdor Lieberman, und der Vereinten Arabischen Liste die Veränderung.
Identität versus Inhalte
Bei einer solchen ideologischen Vermischung ist es vielleicht nicht weiter verwunderlich, dass in diesem Wahlkampf wenig über konkrete Inhalte und künftige Pläne gesprochen wird. Vielmehr werfen die Kandidaten einander vergangene Fehltritte vor und brüsten sich mit den eigenen, vergangenen Leistungen.
Die Wähler scheinen von all dem mehrheitlich eher enttäuscht. Nur etwa 60% der Wähler sind sicher, dass sie abstimmen werden. Und viele Menschen, viel mehr als in den früheren Durchgängen, sind selbst jetzt, eine Woche vor dem Stichtag, immer noch nicht sicher, wem sie ihre Stimme schenken werden. Ausgerechnet auf dieses Phänomen der vielen unschlüssigen Israelis zählen Netanjahu und Bennet. Beide sind überzeugt, dass ihnen ihre Wähler treu die Stange halten werden und sie viele der Unentschlossenen aus den anderen Lagern zu sich holen können.
Eine Woche vor dem Stichtag: Kein klares Bild
Erforderlich für einen Sieg bei den israelischen Parlamentswahlen ist eine einfache Mehrheit der 120 verfügbaren Mandate. Die magische Zahl, 61, ist für beide Lager in Reichweite; gesichert ist sie für keines.