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Wären in Israel Neuwahlen …

Meinungsumfragen zeigen hohe Unzufriedenheit der Israelis mit neuer Regierungskoalition
Meinungsumfragen zeigen hohe Unzufriedenheit der Israelis mit neuer Regierungskoalition (© Imago Images /Sipa USA)

Die rechtsnationale Koalition unter Benjamin Netanjahu ist seit zwei Monaten im Amt. Neueste Umfragen belegen eine hohe Unzufriedenheit der Bürgern mit der bisherigen Regierungsführung der Koalitionspartner.

Während Israels Premier Benjamin Netanjahu ihn als ersten Abgeordneten an Bord seiner Wunschkoalition holte, dauerte es nur zwei Monate, bis Avi Maoz, einziger Abgeordneter der am Rand des rechtsnational-jüdischen Spektrums stehenden Partei Noam, die ihm zugesprochenen Ämter niederlegte.

Wenige Stunden später zog ein weiterer Abgeordneter Konsequenzen, da auch er der Ansicht war, die Koalitionsabkommen würden nicht eingehalten. Meir Porush von der Partei Thora-Judentum trat im Gegensatz zu Maoz nur von einem seiner Verantwortungsbereiche zurück. Obwohl beide stimmentechnisch der Koalition erhalten bleiben, die Unzufriedenheit in den Reihen der Koalition wächst.

Israels Wähler sind ebenfalls unzufrieden, sogar so sehr, dass die Koalition eine rosarote Brille bräuchte, um sich die Lage auch nur halbwegs schönreden zu können. Die Regierung nahm zwar einen wichtigen Meilenstein, indem alle Partner sich über den Staatshaushalt einigen konnten; da aber nicht alle restlos zufrieden sind, kann auf dem Abstimmungsweg in der Knesset noch einiges geschehen.

Tatsächlich ist in den zwei Monaten der rechtsnationalen Netanjahu-Regierung schon viel passiert. Die Brandherde, um die sich die Regierung zu kümmern hat, nehmen geradezu im Handumdrehen zu. Zu Buche schlägt dabei, dass einige Minister damit beschäftigt sind, Feuer zu löschen, die sie eigenhändig gelegt haben. Dazu zählt der Minister für nationale Sicherheit Itamar Ben-Gvir (Otzmah Yehudit, Jüdische Stärke), der bei einer aktuellen Umfrage denkbar schlecht wegkommt.

Negative Umfragewerte

Anlässlich von sechzig Tagen Regierungszeit fragte der israelische Nachrichtensender N-12, wie zufrieden die Wähler mit den Leistungen der Koalition im Hinblick auf Sicherheit und Wirtschaft sind. Im Bereich Sicherheit vergaben 71 Prozent der Befragten die Bewertung »schlecht«, 24 Prozent die Note »gut«. Auch zum Wirtschaftsmanagement stellten sie der Koalition ein Armutszeugnis aus: Satte 65 Prozent erachten die Leistungen als schlecht, gerade einmal 33 Prozent halten sie für gut.

Das mit Abstand beste Ergebnis der personenbezogenen Umfrage fuhr Verteidigungsminister Yoav Galant ein, bei dem sich »schlecht« und »gut« beinahe die Waage halten. Premier Netanjahus Regierungsführung befürworten 35 Prozent der Befragten, aber beachtliche 59 Prozent bewerten sie mit negativ.

Diesen hohen Prozentsatz stellen zwei weitere Koalitionsangehörige noch in den Schatten. Die Amtsführung sowohl von Ben-Gvir als auch von Finanzminister Bezalel Smotrich (Religiöse Zionisten) wird von 62 Prozent mit »schlecht« bewertet. Zum Prädikat »gut« konnten sich bei Ben-Gvir 32 Prozent, bei Smotrich gar nur 30 Prozent durchringen. Man darf davon ausgehen, dass nicht wenige sich wünschen, Ben-Gvir würde noch strikter gegen den Terror durchgreifen, während andere glauben, er gehe schon jetzt zu weit – es ist von beidem etwas dabei.

So schlechte Bewertungen legen nahe, dass eine Neuwahl eventuell eine Mandatsverschiebung bringen könnte. Eine von Panels Politics durchgeführte Umfrage führte zu der Schlagzeile: »Bei Neuwahlen siegt Lapids Zukunftspartei.« Dieser Umschwung wurde in einigen Medienberichten mit der zunehmenden Kritik der Wähler an der Justizreform erklärt. Laut der Umfrage würde die regierende Koalition neun Mandate verlieren und auf 55 Sitze schrumpfen, sodass die »jetzigen Oppositionsparteien zusammen auf 65 Sitze kommen«. Lapids Zukunftspartei würde mit 27 Mandaten am Likud vorbeiziehen, der nicht mehr auf 32, sondern nur noch auf 26 Mandate blicken könnte.

Wahrlich schlagzeilenwürdige Ergebnisse also, wobei jedoch einige Details gar nicht erst erwähnt wurden – weil sie die Aussagekraft geschmälert hatten? Fünf der 65 Sitze, die laut der Medienmeldung den Oppositionsparteien zur vermeintlichen Mandatsmehrheit verhelfen, entfallen nämlich auf die arabische Partei Vereinigte Liste, doch gerade diese Partei konnte sich nie zur Annäherung an die »zionistischen Parteien« durchringen, sodass hier eine Mandatsmehrheit der Opposition suggeriert wird, die es nicht geben würde.

Schwachstellen israelischer Umfragen

Eine nachfolgend publizierte Meinungsumfrage bestätigt hingegen, die in Israel seit Jahren bekannte Pattsituation bliebe bestehen: Neuwahlen brächten zwar nicht zwangsläufig eine rechtsnationale Regierung, aber auch keine eindeutige Entscheidung gegen eine solche. Die gegenwärtige Koalition würde von 64 auf 59 Mandate zurückfallen, dennoch hätte die Opposition mit 50 Mandaten zugleich ebenfalls keine Chance, die Regierung zu stellen, da die verbleibenden elf Mandate laut Umfrage auf zwei arabische Parteien entfallen.

Dass laut Panels Politics die arabische Partei Ra‘am bei Neuwahlen an der Sperrklausel scheitern würde, ist eine enorme Schwachstelle der Erhebung. Das Prognostizierte könnte natürlich durchaus eintreten, was aber nicht realistisch scheint. Insofern dürfte die veröffentlichte Prognose also eine grobe Fehlprognose sein, die den Israelis ein Lehrstück von 2021 ins Gedächtnis ruft.

Damals hatten Umfrageinstitute, die auf die jüdische Mehrheitsgesellschaft ausgerichtet sind, Entwicklungen im arabisch-israelischen Sektor gar nicht bzw. nicht adäquat im Blick. Ausnahmslos alle räumten Ra‘am damals keine Chance auf einen Einzug in die Knesset ein. Ein auf die arabisch-israelische Gesellschaft spezialisiertes Institut hingegen publizierte Woche für Woche die Prognose, bei den Wahlen sei sehr wohl mit Ra‘am zu rechnen, und ihr wegen der Pattsituation sogar eine Schlüsselrolle zukommen könnte.

Insofern trifft aktuell wohl eher die Prognose der bereits zitierten N-12-Umfrage zu: Die mit der Islamischen Bewegung affiliierte Ra’am-Partei würde bei Neuwahlen ein zusätzliches Mandat erringen und mit sechs Sitzen in die Knesset einziehen. Schon bei der letzten Wahl erzielte Ra‘am trotz ihres umstrittenen Wegs an der Seite der Veränderungskoalition ein gutes Wahlergebnis und wurde sogar zu jener arabischen Partei, welche die meisten Wählerstimmen auf sich vereinen konnte. 

Die mangelhaften Prognosen zeigen, dass auch nach den Erfahrungen von 2021 nicht alle Institute ihre Umfragemethoden entsprechend revidiert haben, wobei in diesem spezifischen Fall besonders klar wird: Nur die inadäquate Erhebung unter israelischen Arabern trug dazu bei, dass man die Prognose zur Schlagzeile machen konnte.

Auffällig ist auch die unterschiedliche Einstufung der Arbeitspartei (Awoda), die laut einer Umfrage auf fünf Mandate, laut einer anderen auf kein einziges käme. Schon bei der letzten Wahl setzte sich der stetige Abstieg dieser Traditionspartei fort, wurde zur kleinsten Partei in der Knesset und hat sich seither unter der Parteivorsitzenden Merav Michaeli noch weiter ins Aus geschossen, sodass die Prognose von fünf Mandaten – erneut durch Panel Politics – wohl ebenfalls nicht die Bezeichnung »repräsentativ« verdient.

Ins Auge springt zudem, dass die Bürgerrechtspartei Meretz, die im November 2022 nur haarscharf an der Sperrklausel scheiterte, mit vier Mandaten wieder in die Knesset kommen würde. Auf den ersten Blick legt das nahe, dass das bürgerrechtsbewegte Israel aufgewacht ist und nicht nur die ohnehin Überzeugten dieser Partei ihre Stimme geben würden, sondern wachgerüttelte Neuwähler hinzukommen könnten. Das mag zwar sein, würde aber nichts an einem völlig anderen Aspekt ändern.

Justizreform nur eine Baustelle

Die einst links-sozialistisch geprägte jüdische Gesellschaft Israels ist längst eine deutlich religiösere und konservativere geworden, und die aktuelle Regierung reflektiert diese Entwicklung. Zwar sah das Land auch schon in der Vergangenheit bereits Likud-Regierungen mit Hardlinern an der Spitze. Einst saß sogar der Ex-Untergrundkämpfer Premier Yitzhak Schamir zugleich mit einem Hassreden schwingenden Rabbi Meir Kahane im Parlament, doch war das damals in Israel zumindest etwas anders als heute.

Während Premier Schamir demonstrativ das Weite suchte, wenn Kahane zu einer seiner Reden ansetzte, vergleichen heute Koalitionsangehörige ihre arabischen Parlamentskollegen mit Schafen, ohne dass der sitzungsleitende Knesset-Sprecher Amit Ohana (Likud) besonders darauf reagiert. Mehr noch: Im Radio betonte der den Vergleich ziehende Abgeordnete Almog Cohen (Otzmah Yehudit), sich »selbstverständlich nicht zu entschuldigen«, nur um im Fernsehen noch etwas draufzusetzen: »Das sind Verräter. (…) Sie sind noch nicht einmal würdig, mit Schafen verglichen zu werden, sie sind keine Menschen.«

Gab es einen Aufschrei gegen Cohens Aussagen? Ja, natürlich, allerdings mehrheitlich bloß von den üblichen Verdächtigen. Drohen Sanktionen des Ethikausschusses der Knesset? Auf der Knesset-Homepage findet sich diesbezüglich nichts, stattdessen nur das Grußwort von Sprecher Ohana anlässlich der Neubesetzung des Ausschusses nach zweijähriger Vakanz: »Ich hoffe, Ihr werdet erfolgreich bei der bedeutsamen Mission sein, die glorreichen Tage der Knesset wiederherzustellen.« Welche glorreichen Tage meint er wohl? Etwas die des Jahres 1994, als die Knesset die von Kahane gegründete Kach-Partei verbot?

Das wird wohl nicht geschehen, wenngleich die Staatsanwaltschaft Ermittlungen gegen mindestens einen Abgeordneten von Otzmah Yehudit wegen dessen Äußerungen zur den Siedlerübergriffen in Huwara eingeleitet hat. Israel muss sich eingestehen, dass sich das Gedankengut dieser Splittergruppe des religiösen Zionismus etabliert hat: Mit ihren vierzehn Mandaten stellt sie unter Beweis, salonfähig zu sein.

Da es hier aber um die Frage geht, was das Ergebnis von Neuwahlen wäre, sollten diese aktuell stattfinden, sei hinzugefügt: Bei der letzten Wahl entschieden sich für die religiös-nationalen Extremisten etwas mehr als zehn Prozent der israelischen Wähler, was rund 516.000 Stimmen entsprach. Wären jetzt Wahlen, würde die Rechtsaußenflanke um zwei Mandate schrumpfen.

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