Wie Mena-Watch im September berichtete, hatte Deutschland im März praktisch aufgehört, Waffen nach Israel zu liefern. Schon in den 1960er und 1970er Jahren tat sich die deutsche Bundesregierung schwer damit, Israel militärisch zu unterstützen, wenn es angegriffen wurde.
Stefan Frank sprach darüber mit Remko Leemhuis, dem Direktor des American Jewish Committee (AJC) in Berlin. Er hat eine Dissertation über die Israelpolitik des Auswärtigen Amts zwischen 1967 und 1979 verfasst.
Stefan Frank (SF): Ein zentrales Thema in Ihrer Dissertation sind deutsche Waffenlieferungen an Israel, wobei zu den Waffen auch etwa Gasmasken gezählt werden. Ab wann beschäftigte dieses Thema das Auswärtige Amt?
Remko Leemhuis (RL): Die Debatte begann 1967 mit eben jenen Gasmasken. Ich bin der Meinung, dass das ein nichtmilitärisches Gut ist, aber das hat man damals anders gesehen. Es gab einen Verteidigungsminister namens Gerhard Schröder von der CDU. Der war vehement dagegen, Israel Dinge zu liefern, gerade vor dem Hintergrund, dass ein paar Jahre vorher die geheimen Waffenlieferungen bekannt geworden waren und man immer noch unter dem Schock stand, dass einige arabische Staaten die diplomatischen Beziehungen zur Bundesrepublik eingestellt hatten.
Zwischen 1958 und 1964 hatte Westdeutschland auf Initiative von Verteidigungsminister Franz Josef Strauß in einem vertraulichen Gespräch mit Shimon Peres und unter großer Geheimhaltung beschlossen, Israel mit Rüstungsgütern zu beliefern. Bis zum Jahr 1964, als diese Lieferungen öffentlich wurden, hatte Westdeutschland den jüdischen Staat mit Rüstungsgütern im Wert von zweihundert Millionen D-Mark versorgt, darunter Hubschrauber, Militärflugzeuge, Panzerabwehrraketen und Munition. Ferner wurden dem jüdischen Staat vierzig Panzer und zwei Flak-Bataillone überlassen.
SF: Das Bekanntwerden dieser Lieferungen im Oktober 1964 führte zu einer Krise in den diplomatischen Beziehungen zwischen der BRD und der arabischen Welt – vor allem, als der ägyptische Präsident Nasser daraufhin den DDR-Staatsratsvorsitzenden Walter Ulbricht nach Kairo einlud, was für Bonn, das einen Alleinvertretungsanspruch für Deutschland forderte, ein Affront war.
RL: Ja. Und 1967 wollte die Bundesregierung einen neuen Konflikt mit den arabischen Ländern auf jeden Fall vermeiden. Der damalige Außenminister Willy Brandt und Bundeskanzler Kurt Georg Kiesinger befürworteten die Lieferung der Gasmasken hingegen.
Deutsche »Ausgewogenheit«
SF: Was taten die beiden?
RL: Man war peinlich darum bemüht, die Gasmasken direkt von den Herstellern nach Israel zu liefern und dass möglichst keine Abzeichen von der Bundeswehr auf diesen zu erkennen waren. Man muss wissen, dass Ägypten Giftgas besaß und es auch im Krieg im Jemen eingesetzt hatte. Die Gasmasken waren also eine wichtige Unterstützung und vor dem Hintergrund der Geschichte doppelt sensibel. Israel erhielt die Gasmasken, retournierte sie dann später aber, weil man nur ein Modell wollte und die Amerikaner das israelische Militär beliefert hatten. Israel hat sich im Folgenden lieber bei den Amerikanern eingedeckt, da man sich auf die Deutschen nicht verlassen konnte.
Wenn wir also die geheime Waffenlieferung außer Acht lassen, dann markieren die Gasmasken das erste Mal, dass Sendungen an Israel im diplomatischen Verkehr aufgetaucht sind.
SF: Und danach ging es im Mai 1967 noch um Mörserzünder. Ägyptens Diktator Gamal Abdel Nasser hatte die Straße von Tiran gesperrt, durch die ein großer Teil des israelischen Seeverkehrs ging, darunter die Ölimporte aus Persien, und damit de jure einen Krieg mit Israel begonnen. Zudem hatte er UN-Generalsekretär U Thant erfolgreich dazu gedrängt, die UNO-Blauhelme aus dem Sinai abzuziehen. Der Angriff auf Israel war angekündigt und stand unmittelbar bevor. Das von Nasser erklärte Ziel war die Zerstörung Israels. Vor diesem Hintergrund also wollten Teile der Bundesregierung Israel keine Mörserzünder liefern.
Ich zitiere aus Ihrem Buch: »Das Bundesministerium für Wirtschaft, das die Entscheidung über die Lieferung nach dem Kriegswaffenkontrollgesetz zu treffen hat, war zunächst der Auffassung, dass in Anbetracht der Lage im Nahen Osten die bereits erteilte Ausfuhrgenehmigung zu widerrufen sei, da ›die Gefahr besteht, dass die gelieferte Ware bei einer friedensstörenden Handlung, insbesondere bei einem Angriffskrieg, verwendet werden könnte‹.« War diese juristische Argumentation vorgeschoben? Schließlich war es doch Ägypten, das Israel den Krieg erklärt hatte.
RL: Man muss zugestehen, dass das Auswärtige Amt bis etwa Mitte der 1970er Jahre relativ konsistent in seiner Politik war. Man wollte sich mit Rüstungslieferungen zurückhalten, egal, in welche Weltregion. Das wurde später komplizierter, weil es dann die Rüstungskooperationen mit Frankreich gab, das weniger derartige Bedenken hatte. Aber natürlich war Israel bedrängt.
Rückblickend mit dem Wissen über den Verlauf erscheint der Sechs-Tage-Krieg wie ein einfacher Sieg Israels, aber damals war es überhaupt nicht klar, wie dieser Krieg ausgehen würde. Was wäre, hätte er sich länger hingezogen? Dann wäre jede Hilfe notwendig gewesen, dann hätten die deutschen Lieferungen einen Unterschied ausmachen können. Also auch, wenn die Entscheidung Teil der Politik war, nur Waffen an Staaten zu liefern, die in der NATO sind oder eng an die NATO gebunden, hatte es schon die Note »Wir wollen uns da nicht einmischen«.
Dazu kam das vage Schlagwort der »Ausgewogenheit«. Man wollte sich raushalten. Und man darf auch nicht vergessen, dass Frankreichs Präsident Charles de Gaulles damals ein Waffenembargo gegen Israel verhängte. Das hat Israel viel stärker getroffen, weil es unter anderem um Ersatzteile für Kampfjets ging, die in dieser Situation wirklich wichtig waren.
SF: Was können wir daraus für die heutige Situation lernen?
RL: Die deutschen Lieferungen allein sind nicht so relevant, abgesehen von den Motoren für israelische Panzer. Aber auch die Briten haben aufgehört zu liefern. Bei den Franzosen ist es nicht sicher; kürzlich verweigerten sie israelischen Rüstungsfirmen die Teilnahme an einer Messe. Es häuft sich also. Je mehr Länder keine Rüstungsgüter mehr an Israel liefern, desto problematischer wird es.
Israel am Pranger
SF: Es geht bei allen Boykottaktionen auch um die Delegitimierung des jüdischen Staates, nicht wahr? Sie schreiben in Ihrem Buch: »Während das Auswärtige Amt und seine Diplomaten stets darauf achteten, die arabischen Staaten in der Öffentlichkeit nicht zu kritisieren« – hier geht es vor allem um die Zeit nach dem Olympiamassaker 1972 und dem arabischen Angriff auf Israel im Oktober 1973 –, »ließ das Auswärtige Amt keine Gelegenheit verstreichen, die Politik des jüdischen Staates öffentlich anzuprangern.« Das geht Hand in Hand – keine Waffen an Israel liefern und Israel an den Pranger stellen.
RL: Ja, genau, das ist das, was wir sehen. Je länger der Krieg dauert, desto kritischer wird es für Israel. Ich bin dann immer überrascht, wie viele Leute Experten für Urban Warfare sind und wissen, wie die Israelis es besser machen sollten. Bei meiner Arbeit höre ich oft, dass die Israelis dieses oder jenes anders machen müssten. Meine Frage ist dann immer: Was genau sollen sie tun, welche Alternative schlagen Sie vor? Darauf habe ich nie hilfreiche Antworten bekommen.
Den Israelis wäre es auch lieber, sie könnten den Krieg heute beenden. Dass es zivile Opfer gibt, liegt fast ausschließlich daran, wie die Gegenseite diesen Krieg im Gazastreifen führt. Wie sollte der Krieg gegen die Hamas geführt werden? Man darf in diesem Zusammenhang daran erinnern, dass Deutschland nominell Teil der Anti-IS-Koalition war. Bis heute ist nicht klar, wie viele Zivilisten bei der Rückeroberung von Mossul gestorben sind. Die Stadt wurde tatsächlich dem Erdboden gleich gemacht. Es wurde nicht einmal versucht, Zivilisten zu schonen. Mossul war nach der Befreiung eine Wüstenlandschaft. Darum ist die Kritik an Israel wohlfeil; niemand kann erklären, wie der Krieg anders geführt werden soll.
SF: Bundesaußenministerin Baerbock warnte Israel davor, die Hamas auch in Rafah zu bekämpfen …
RL: Spätestens mit der Liquidierung von Yahiya Sinwar hat sich gezeigt, dass es richtig war, da reinzugehen und die letzten Hamas-Bataillone zu zerschlagen.
SF: Wurde in den von Ihnen gesichteten Akten auch realpolitisch argumentiert, also etwa ausgesprochen, dass arabische und muslimische Staaten zahlreicher, mächtiger und aus deutscher Sicht wichtiger sind als Israel?
RL: Ja, natürlich. Das war ganz klar, auch wegen der immensen Abhängigkeit vom arabischen Öl. Das wurde während des Jom-Kippur-Kriegs noch stärker, als die arabischen Staaten ein Ölembargo verhängt hatten. Israel war ein Staat mit drei bis vier Millionen Einwohnern, der zu jener Zeit vorwiegend agrarische Produkte exportierte. Drumherum waren ca. 25 Staaten der Arabischen Liga mit viel mehr Einwohnern und wichtigen Rohstoffen. Da gab es realpolitische Argumente, die aber nur selten deutlich formuliert wurden.
Man hat sich hinter dem Begriff der »Ausgewogenheit« versteckt. Neben der Verantwortung für Israel gebe es ja auch eine lange Geschichte der Freundschaft mit den arabischen Staaten, deshalb sei man neutral bzw. ausgewogen. Der Begriff geht aber in der Realpolitik gar nicht auf. Das war eine Schimäre. Wie hätte die Ausgewogenheit angesichts der Bevölkerungszahlen und ökonomischen Interessen aussehen sollen? Deshalb ist meine These, dass die »Ausgewogenheit« im Zweifel immer zulasten Israels ging. Interessanterweise wurde das Konzept der »Ausgewogenheit« immer nur dann aufgerufen, um gegen Israel bzw. für die arabischen Staaten einzutreten – und nicht im umgekehrten Fall.
SF: Wie hat sich die deutsche Bundesregierung 1973 während des Jom-Kippur-Kriegs verhalten? Damals ging es ja auch darum, ob die USA in Deutschland gelagerte Waffen und Munition abziehen und über Bremerhaven verschiffen dürfen.
RL: Das ist eine lehrreiche und erschütternde Episode. Wie Sie sagen, ging es um Rüstungsmaterial, das den USA gehörte und in Deutschland für den Fall eines Kriegs mit dem Ostblock bereitgehalten wurde. Deutschland wurde von den USA stets über Bewegungen informiert. Als die Lieferungen an Israel bekannt wurden, protestierte man öffentlich und nahm einen Eklat mit dem größten Bündnispartner in Kauf. Während US-Präsident Richard Nixon eine Luftbrücke zur Unterstützung des angegriffenen Israels unterhielt, arbeitete die Bundesregierung dagegen. Und das zu einer Zeit, in der die Sowjetunion in die arabischen Staaten, vor allem nach Syrien, stetig Material nachgeliefert hatte und der Krieg für Israel ja ein wirklich existenzieller war.
Als es im Juni/Juli 1967 um die Lieferung von Mörserzündern ging, wies die Regierung den Hersteller an, die Produktion zu verlangsamen: »Das Bundeswirtschaftsministerium hat die Unternehmen gebeten, nicht zu schnell zu arbeiten«, heißt es in einer Aufzeichnung von Hans Carl Graf von Hardenberg, dem Ministerialdirigenten aus der Abteilung für Handels- und Entwicklungspolitik im Auswärtigen Amt. Deutschland wollte nicht als Teil des Konflikts wahrgenommen werden. Es hat nichts Relevantes getan, um Israel zu unterstützen, worüber es erhebliche Auseinandersetzungen mit den amerikanischen Verbündeten gab. Es ging damals um Panzer, die in Israel vor dem Hintergrund hoher Verluste dringend benötigt wurden. Deutschland und die Europäer entschieden sich dagegen, Israel in der Not zu helfen.
Antisemitische Genozid-Lüge
SF: Derzeit wird das Eintreten gegen deutsche Waffenexporte nach Israel mit der angeblichen Gefahr eines »Genozids« begründet. Letztlich gab es in der Geschichte aber immer Widerstand dagegen, dass Israel militärische Güter erhält, mögen es auch nur Gasmasken sein.
Beim Golfkrieg 1991, als Israel mit Raketen angegriffen wurde und von Deutschland Luftabwehrraketen des Typs Patriot erhalten sollte, weil diese über Saudi-Arabien erfolgreich irakische Scud-Raketen abgeschossen hatten, waren manche Grünen-Politiker auch dagegen und stellten die absurde Frage, ob die Patriot-Raketen nicht auch gegen Palästinenser eingesetzt werden könnten. Auch gegen die Lieferung von deutschen U-Booten gab es immer Widerstand. Eigentlich sind manche Leute also dagegen, dass Israel überhaupt irgendwelche Waffen erhält.
RL: Ja. Wenn man sich die Art der gelieferten Waffen ansieht, ist das kein Kriegsgerät, das im Gazastreifen eingesetzt wird. Darum ist es eine irreführende Diskussion. Auch interessant: Nach dem Sechs-Tage-Krieg hatten die Israelis das neueste sowjetische Material erbeutet. Das deutsche Verteidigungsministerium war natürlich sehr daran interessiert. Es wollte einen Beschusstest machen, um herauszufinden, über welche Panzerung der potenzielle Feind verfügt. Aber in einer ersten Stellungnahme stellte das Auswärtige Amt sich dagegen. Was ziemlich irrational, da gegen die eigenen Interessen gerichtet war.
SF: Wer aller spricht eigentlich ein Wort mit, wenn es um deutsche Waffenexporte geht?
RL: Grundsätzlich wird darüber im Bundessicherheitsrat entschieden. Dieser tagt geheim, weshalb es also keine anschließende Presseerklärung gibt, aus der hervorgeht, was beschlossen wurde. Im Bundessicherheitsrat sitzen der Bundeskanzler, die Außenministerin, der Kanzleramts-, Verteidigungs-, Finanz-, Innen-, Justiz-, Wirtschafts- und der Minister für wirtschaftliche Zusammenarbeit.
Das Gremium wurde 1955 eingerichtet und hieß bis 1969 Bundesverteidigungsrat. Seit den 1970er Jahren beschäftigt es sich vor allem mit der Frage von Rüstungsexporten, da durch die deutsch-französische Kooperation viele Anfragen aus Paris vorlagen. Dabei wurde vereinbart, dass alle Beteiligten ihr Einverständnis geben müssen, wenn einer von ihnen Rüstungsgüter exportieren will, die in Kooperation hergestellt werden. Das hat die Deutschen vor Probleme gestellt, weil die Franzosen keinerlei Scheu hatten, auch nach Syrien oder in andere Staaten der Region, die Israel vernichten wollten, zu liefern.
SF: Zurück zur aktuellen Debatte um Waffenlieferungen nach Israel. Wie wird hier argumentiert?
RL: Es wird mit einer Klage vor dem Internationalen Gerichtshof (IGH) und vor dem Verwaltungsgericht Berlin argumentiert. Es geht um angebliche »Beihilfe« Deutschlands zum »Genozid«. Wobei ich es erstaunlich finde, dass eine solche Klage vor dem Verwaltungsgericht Waffenexporte stoppen kann. Da könnte man ja auch gegen Waffenexporte in die Türkei klagen. Es wurde auch darauf hingewiesen, dass Deutschland keine Bedenken dagegen hat, Waffen an das Emirat Katar zu verkaufen. Ich halte die Argumente für vorgeschoben.
Ich halte den Vorwurf des Genozids für eine antisemitische Lüge. Zudem hat Deutschland ja vor dem IGH dargelegt, warum der Vorwurf falsch ist. Ein solcher Vorwurf allein reicht nicht aus, um Israel dringend benötigte Ersatzteile vorzuenthalten. Seit Anfang des Jahres steht auch eine Lieferung von 10.000 Schuss Panzermunition aus, die nicht geliefert wurde.
SF: Was wünschen Sie sich im Hinblick auf die aktuelle Situation?
RL: Dass nach der Debatte im Bundestag und den Worten von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) dieser von seiner Richtlinienkompetenz Gebrauch macht und die von Israel bestellten Rüstungsgüter – es geht vor allem um Ersatzteile – auch wieder geliefert werden.
Literatur:
Leemhuis, Remko: Ich muss deshalb von jeder zusätzlichen Aktion für Israel abraten. Das Auswärtige Amt und Israel zwischen 1967 und 1979, LIT Verlag, Berlin 2020.