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Vorwürfe gegen SOS-Kinderdorf in Syrien erhärten sich

Bericht erhärtet Vorwürfe der Zusammenarbeit mit Assad-Regime durch SOS-Kinderdorf in Syrien
Bericht erhärtet Vorwürfe der Zusammenarbeit mit Assad-Regime durch SOS-Kinderdorf in Syrien (© Imago Images / Funke Foto Services)

Ein neuer Bericht eines internationalen Rechercheteams bestätigt die Zusammenarbeit von SOS-Kinderdorf mit dem ehemaligen Assad-Regime in Syrien, über die Mena-Watch bereits im Februar berichtete.

Endlich hat sich ein hochkarätiges und international zusammengesetztes Rechercheteam des Skandals um die SOS-Kinderdörfer in Syrien angenommen:

»Eine Recherche des SPIEGEL zusammen mit der Investigativorganisation Lighthouse Reports, BBC Eye, den Zeitungen The Observer und Trouw, der Medienplattform Women Who Won the War und dem syrischen Recherchekollektiv Siraj unter dem Titel Syriens gestohlene Kinder legt ein brutales wie bürokratisches System offen, in dem sogar Säuglinge von ihren Müttern getrennt und ohne deren Einwilligung in Waisenhäuser gesteckt wurden. In vielen Fällen wurde ihre Herkunft verschleiert und Namen geändert, um die Kinder nicht auffindbar zu machen. Angehörige, die nach ihnen suchten, wurden abgewiesen.«

Zusammenarbeit mit Assad

Noch unter der Herrschaft des gestürzten syrischen Präsidenten Baschar al-Assad gab es erste Hinweise, dass Kinder, die ihren Müttern in Gefängnissen zwangsweise weggenommen wurden, unter falscher Identität in Waisenhäusern untergebracht wurden. Und es fiel immer wieder der Name SOS-Kinderdorf, einer Organisation, die nicht nur auf eine lange Geschichte von Skandalen zurückblickt, sondern sich sogar öffentlich der engen Beziehungen zur Präsidentengattin Asma al-Assad rühmte.

Nach dem Ende der Diktatur im vergangenen Dezember begannen Angehörige, nach ihren Kindern zu suchen – und Stück für Stück kam ans Licht, in welchem Ausmaß SOS-Kinderdorf offenbar mit dem Regime und seinen Geheimdiensten kooperiert hat. Mena-Watch berichtete darüber bereits im Februar. Derweil übte sich die Leitung der in Österreich und Deutschland ansässigen Organisation in Abwieglung und gab nur zu, was sich partout nicht mehr verleugnen ließ.

Umso unangenehmer dürfte nun der Hintergrundbericht für sie sein – besonders in einer Zeit, da erneut auch andere Missbrauchsfälle in Österreich selbst aufgedeckt wurden. Denn die Recherche bestätigt, was syrische Journalisten schon im Januar herausgefunden hatten: Die Kollaboration zwischen der lokalen Leitung von SOS-Kinderdorf und dem berüchtigten syrischen Luftwaffengeheimdienst ging über Jahre hinweg, wobei immer wieder die Geschäftsstellen in Österreich diesbezügliche Hinweise erreichten. Nur geschah lange nichts und wenn, dann zu wenig:

»Beim Dachverband in Österreich hätten Einzelne ab 2016 gewusst, was in Damaskus passiere, sagt ein früherer Mitarbeiter, also zwei Jahre vor dem Stopp der Praxis. Der Dachverband bestreitet das. Im Frühjahr 2017 habe es dann ›aktive Gespräche‹ darüber gegeben, so der frühere Mitarbeiter. Der Stopp folgte erst anderthalb Jahre später. Eine Erklärung für das zögerliche Handeln liefert er auch: Man habe die ›Sicherheitsfälle‹ zunächst nicht als Problem empfunden oder sich eingehender damit beschäftigen wollen. (…) Nervös wurde man in Österreich offenbar erst, als es Medienberichte gab. Man befürchtete wohl einen Reputationsschaden. Im Statut der Organisation heißt es schließlich: ›Unsere Marke ist unser wichtigstes Kapital.‹

Allein in den Jahren von 2016 bis 2018 wurden laut Recherchen des deutschen SOS-Fördervereins mindestens 94 Kinder von ihren Eltern getrennt und ins Kinderdorf gebracht. Womöglich waren es noch mehr. Dabei hätte es Möglichkeiten gegeben, das zu verhindern. Österreich hätte frühzeitig die Mitgliedschaft des syrischen Ländervereins suspendieren können. Dieser hätte dann nicht mehr unter dem Label der Kinderdörfer operieren dürfen – und auch keine Spenden der Fördervereine mehr bekommen.«

In Damaskus selbst herrschte unter dort untergebrachten Kindern und Mitarbeitern ohnehin der Eindruck, die Einrichtung gehöre direkt zum weit verzweigten Netz syrischer Organisationen unter der Schirmherrschaft der Gattin des Präsidenten – und das mit gutem Grund:

»Eine junge Frau, die als Kind von Gefangenen im SOS-Kinderdorf in Damaskus war, sagt: ›Mir kam es so vor, als würde dieser Ort Asma al-Assad gehören.‹ Die anderen Kinder und die Betreuerinnen hätten diesen Eindruck erweckt. Einmal sei sie bei einer Veranstaltung des Kinderdorfs einer Frau begegnet, die als Vertreterin von Asma al-Assad vorgestellt worden sei. Sie sei zu ihr gegangen und habe gesagt: ›Man hat uns versprochen, dass wir unsere Mutter alle zwei Wochen sehen dürfen, aber das ist nie geschehen.‹ Die Frau habe geantwortet: ›Du wirst deine Mutter erst sehen, wenn sie freigelassen wird.‹«

Immerhin hat die neue syrische Interimsregierung jetzt eine Untersuchungskommission eingesetzt und die ehemalige Leiterin des Dorfs verhaftet. Den Opfern hilft das jedoch genauso wenig wie der Versuch der Kinderdorf-Zentrale, auch diesen Skandal auszusitzen, wie sie es schon in so vielen Fällen zuvor getan hat. Schließlich fließen die Spenden an die Einrichtung weiter, deren Überweiser Geschichten systematischen Kindesmissbrauchs offenbar nicht stören.

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