Wie US-Präsident Trump den türkischen Präsidenten mit leeren Händen nach Hause schickte.
Zu Prügelszenen wie im Mai 2017 kam es in Washington D.C. dieses Mal nicht. Damals gingen Erdoğans Leibwächter auf wehrlose Demonstranten und auch US-Sicherheitskräfte los, verletzten einige schwer, während Erdoğan selbst das Geschehen aus nächster Nähe verfolgte. Dieses Mal war Erdoğans Prügelgarde erstaunlich zurückhaltend. Zu ähnlichen Zwischenfällen wie im Mai 2017 kam es deshalb nicht.
Stattdessen sah man einen eher verängstigten Erdoğan am Fenster seines Hotelzimmers. Vollständig abgeriegelt von der Außenwelt, bot seine Unterkunft allerdings genügend Wandfläche, um dem Gast wenigstens eine schlaflose Nacht zu wünschen: „Erdoğan schläft hier. 864 Babys schlafen in seinen Gefängnissen“, wurde von Protestierenden an das Hotel projiziert, in dem der türkische Präsident nächtigte.
„Gute Freunde“, keine Einigung
Tatsächlich befinden sich seit dem gescheiterten Putschversuch vom 15. Juli 2016 und den darauffolgenden Säuberungswellen im türkischen Staatsapparat über 864 Kinder mit ihren Müttern in Haft. Solche und ähnliche Themen standen allerdings weder auf der Tagesordnung, noch waren sie Anlass für die ausgesuchten Journalisten, auf der Pressekonferenz diesbezügliche Fragen zu stellen. Weltpolitik geht vor und nimmt auf persönliche Schicksale nur ganz selten Rücksicht.
So wurde man stattdessen Zeuge, wie Donald Trump und Recep Tayyip Erdoğan sich gegenseitig darin bekräftigten, „gute Freunde“ zu sein. Trump gab sogar zu, ein Erdoğan-Fan zu sein. Was immer dies auch heißen sollte: Zu einem Durchbruch kam es bei den mehrstündigen Gesprächen trotz der beschworenen Freundschaft dennoch nicht. Weder Trump noch Erdoğan hatten einen bedeutenden Erfolg zu vermelden. Vielmehr offenbarte sich, wie sehr die amerikanisch-türkischen Beziehungen von vielen Streitthemen dermaßen belastet sind, dass an eine schnelle Einigung nicht zu denken ist.
Streitthemen
Dabei steht ganz oben auf der Streitliste der inzwischen fast schon unumkehrbare Kauf der russischen Raketenabwehrsysteme vom Typ S400. Wichtige Bestandteile sind bereits im vergangenen Sommer an die Türkei geliefert worden, und das System wartet auf seine Inbetriebnahme. Der Wunsch der Amerikaner, die S400 durch das amerikanische Patriot-System zu ersetzen, sei angesprochen worden, so Trump. Erdoğan dürfte aber kaum ein Interesse daran haben, seine für ihn bedeutsame Beziehung zu Putin dadurch zu gefährden. Dafür nimmt er in Kauf, weiterhin vom F35-Kampfjet-Programm ausgeschlossen zu werden und möglicherweise vom US-Kongress mit einschneidenden Sanktionen belegt zu werden.
Ein sehr persönliches Anliegen von Erdoğan sind die Ermittlungen gegen die türkische Staatsbank Halkbank. Nach jahrelangen Ermittlungen hat die Staatsanwaltschaft vor einem Bundesgericht in Manhattan im Oktober wegen möglichen Verstößen gegen Iran-Sanktionen Anklage erhoben. Dabei geht es unter anderem um die Goldgeschäfte des iranisch-türkischen Geschäftsmanns Reza Zarrab mit dem Iran in Milliardenhöhe, in die auch Erdoğans Familie verwickelt sein soll.
Dieses Thema wurde allerdings auf der Pressekonferenz umgangen. Stattdessen bedankte sich Trump für die Freilassung des NASA-Mitarbeiters und US-Staatsbürgers Serkan Gölge, lobte die Türkei für ihren Verteidigungsetat von 2% des BIP, bekräftigte wie üblich zu solchen Anlässen die weitere Gesprächsbereitschaft und beließ es bei bereits bekannten Absichtsbekundungen. So soll das Handelsvolumen zwischen beiden Nationen von derzeit ca. 20 Milliarden Dollar, geleitet von den Schwiegersöhnen, auf 100 Milliarden Dollar wachsen.
Erstaunlich zurückhaltend
Erdoğan hingegen, der keine Gelegenheit auslässt, seinen Gegnern ein forsches „Ey!“ zuzurufen, kann sich dies weder gegen Trump noch Putin leisten. Während ihm ein „Ey Europa!“ sehr leicht über die Lippen geht und Drohungen gegen Europa einfach fallen, ist er gegenüber Trump erstaunlich zurückhaltend.
So behielt Erdoğan überraschend Contenance, als das an ihn adressierte demütigende Schreiben von Trump öffentlich wurde, worin der Adressierte davor gewarnt wird, sich nicht wie ein Narr zu verhalten. Erdoğan bewahrte auch dann unübliche Zurückhaltung, als kürzlich das Repräsentantenhaus den Völkermord an den Armeniern endlich anerkannte. Ihm blieb, obwohl er einige Gelegenheiten serviert bekam, seinen Staatsbesuch abzusagen, nichts anderes übrig als gefügig die Reise anzutreten, obwohl er bis letzte Woche noch mit sich am Hadern war.
Zwischen Russland und den USA
Dabei inszeniert sich die türkische Seite seit geraumer Zeit im Ringen um außenpolitisches Sendungsbewusstsein durchaus selbstbewusst und bewältigt bislang erfolgreich den Balanceakt zwischen den USA und Russland, die um die türkische Gunst buhlen und auf die Türkei nicht verzichten können. Schon in der Vergangenheit hat allein die geografische Lag der Türkei mehrmals geholfen, die eigenen Interessen durchzusetzen. Zwar befindet man sich gegenwärtig in Putins Hand. Doch heißt das nicht, dass dies so bleiben muss. Schließlich kann Putin langfristig weder ökonomisch noch politisch eine wirkliche Alternative zum Westen anbieten.
Dies entgeht auch Trump nicht. Anders als seine europäischen Kritiker, die gegenüber der Türkei bislang tatenlos bleiben, weiß er allerdings, dass er anders als die Europäer nicht erpressbar geworden ist. Denn langfristig hat er gegenüber der Türkei mehr in der Hand als Russland. Zwar kann Trump trotz der fragwürdigen Freundschaft mit Erdoğan keine Garantien liefern, um ihn aus dem Verfahren gegen die Halkbank herauszuhalten. Auch kann er, wie die türkische Seite hofft, kein letztes Wort sprechen, um angekündigte Sanktionen zu vermeiden. Trump hat allerdings die nötigen Mittel, um die Türkei, wie er bereits mehrmals angedroht hat, wirtschaftlich zu vernichten.
Prahlereien …
Das weiß Erdoğan und benimmt sich entsprechend vorsichtig. Zwar prahlen seine ihm nahestehenden Zeitungen ungehalten mit der u.a. durch Russland gestärkten türkischen Hand, befeuern einen virulenten Antiamerikanismus und verschweigen die desolate Lage der türkischen Wirtschaft. Zwar inszeniert man sich als Regionalmacht und gefällt sich neuerdings darin, mit dem jüngsten Einmarsch in Rojava ein „zweites Israel“ im Nahen Osten verhindert zu haben.
Solch manischen Übersprungshandlungen sind allerdings auf dem internationalen Parkett, wo die Türkei weitestgehend isoliert ist, für das eigene Ansehen eher schädlich und ein Grund mehr, sich zu fragen, ob die Türkei noch bei Sinnen ist, wenn sie zu alledem auch noch mit Dschihadisten kooperiert. Für das heimische Publikum sind die leeren Salven gegen die USA hingegen bekömmlich, um den populären Antiamerikanismus zu stimulieren.
… und Antiamerikanismus für die Heimatfront
Denn das Gerücht, hinter dem Projekt „zweites Israel“ stünden die USA, wird von vielen Türken geglaubt. Um derlei Mutmaßungen lebendig zu erhalten, setzt das Erdoğan-Regime insbesondere angeheuerte Journalisten ein, womit auch Trump auf der Pressekonferenz Erfahrung machen durfte. Gleich in der ersten Fragerunde meldete sich eine als Journalistin auftretende Fragestellerin zu Wort, die in Wahrheit niemand anderes als Hilal Kaplan war, die unter anderem als Redenschreiberin für Erdoğan bekannt und Chefin der sogenannten Pelikan-Gruppe ist.
Bei ihrem Auftritt im Weißen Haus brillierte sie – durchaus in denunziatorischer Absicht mit dem Versuch Trump eine Nähe zu Terroristen zu unterstellen – mit der Frage, wieso er denn gedenke, den Oberkommandanten der Syrian Democratic Forces (SDF) Mazlum Kobanê, den sie für Terroranschläge in der Türkei verantwortlich macht, ins Weiße Haus einzuladen. Trump reagierte gelassen, gab eine nüchterne Antwort und witzelte spontan: „Sind Sie sicher, dass sie eine Journalistin sind und nicht für die Türkei arbeiten?
Mit dieser selbstbewussten Antwort hat sich Trump nicht nur vor Mazlum Kobanê gestellt, sondern auch gezeigt, wie auf derlei Propagandistinnen reagiert werden sollte: Gewieft und keineswegs eingeschüchtert, wie dies in Europa allzu oft geschieht. Und so kam es, dass Erdoğan seine kürzeste USA-Reise bisher angetreten hat, und im Handgepäck nicht wirklich etwas mitnehmen konnte. Vielleicht nur so viel: Kein Deal für Erdogan. Und vorerst noch keine Sanktionen.