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Von Seuchenkolumnen und jüdischen Organisationen

Der Herausgeber der Wochenzeitung „Falter“ Armin Thurher
Der Herausgeber der Wochenzeitung „Falter“ Armin Thurher (Quelle: Franz Johann Morgenbesser, CC BY-SA 2.0)

Niemand irrt sprachgewandter als Armin Thurnher. Aber manchmal geht er einem auch einfach nur auf die Nerven.

Im Juli empfahl der Herausgeber des Falter, wieder einmal Noam Chomsky zu lesen. Zwar habe er nicht alle von Chomskys politischen Statements danach überprüft, ob er sie unterschreibe, aber sein jüngstes leuchte ihm völlig ein:

„Donald Trump ist der gefährlichste Mensch der Welt, sagt Chomsky. Und die ihm untertanen Republikaner, die längst aufgegeben haben, eine Partei zu sein und sich ihm völlig untertan gemacht haben, sind die gefährlichste Organisation der Weltgeschichte.“

Mir leuchtet das ganz und gar nicht ein. Nicht so sehr wegen Donald Trump. Den hielten die Deutschen schon in den letzten Jahren für die größte Gefahr für den Weltfrieden, sodass es Kim Jong Un und Wladimir Putin bei Umfragen nur auf die unteren Plätze des Umfragepodests schafften.

Aber die Republikaner die gefährlichste Organisation der Weltgeschichte? Das degradiert die SS, Al-Qaida oder den Islamischen Staat zu vergleichsweise harmlosen lokalen Spaßtruppen, die den Lauf der Welt nicht wirklich zu beeinflussen vermochten. Während die Republikaner mit ihrer Politik „versuchen, die Existenzgrundlage der organisierten menschlichen Welt zu zerstören“, wie Thurnher schrieb.

In welchem Welt-Kolosseum braucht eine amerikanische Partei nur den Daumen zu senken, um die ganze menschliche Existenz zu vernichten? So etwas würde wahrscheinlich nicht einmal Donald Trump twittern, ohne dabei zu lachen. Gegen diese globale Allmachtsphantasie wirkt ‚Make America Great Again‘ geradezu zurückhaltend. Chomskys Satz mäandert an der Grenze zwischen Unsinn und Geschichtsrevisionismus.

Verteidiger von Holocaustleugnern als Kronzeugen

Je steiler die These, desto heftiger die Debatte. Und so kam es, dass sich in der überschaubar großen österreichischen Twitterblase eine Diskussion entspann über Chomsky und dessen Eintreten für die Holocaustleugner Irving und Faurisson. Die Süddeutsche Zeitung schrieb dazu im Jahr 2010:

„Der renommierte Sprachforscher Noam Chomsky ist dem Charme eines ‘Alles-ist-erlaubt’-Geredes erlegen und ließ sich zu einem Vorwort für ein Buch Robert Faurissons (‚Es gab keine Gaskammern‘) hinreißen, worin er diesen als ‚apolitischen Liberalen‘ in Schutz nimmt. Volksverhetzer werden so zu sympathischen ‚intellektuellen Außenseitern‘ und ‚Freigeistern‘ verklärt.“

Mir selbst wäre das Zitat nicht eingefallen. Aber weil unser Chefredakteur ein besseres Gedächtnis hat als ich, was ihm als promoviertem Politikwissenschaftler auch gut ansteht, warf er es in die Diskussion. Zurecht, wie ich meine.

Natürlich kann man jemanden als Kronzeugen für die eigenen Ansichten aufrufen, der das Vorwort für das Buch eines Holocaustleugners verfasst hat, man muss es aber nicht. Entsprechend verwundert zeigte sich auch unser Dr. Gruber. Daraufhin erklärte uns das Büro Thurnher, das den Twitter-Account von Armin Thurnher betreibt, zu „Champions der Meinungs- und Redefreiheit“ und warf uns vor, „nie zur Sache, immer ad hominem“ zu argumentieren, „um Frequenz und Zahl der Follower des Büro-Accounts zu erhöhen“.

Mit welcher Absicht twittert das Büro Thurnher eigentlich? Egal. Man fühlte sich offenbar auf den Schlips getreten und drohte mit Klagen. Und weil unser Chefredakteur nicht nur ein besseres Gedächtnis hat als ich, sondern auch viel entgegenkommender ist, hat er den beanstandeten Tweet gleich wieder gelöscht, wofür sich das Büro Thurnher auch artig bedankte.

Tags darauf flatterte ein Schreiben vom Anwalt des Falter-Herausgebers in unser Mail-Postfach, in dem das Löschen des Tweets verlangt wurde ­– wohlgemerkt einen Tag, nachdem der Tweet bereits gelöscht war, was das Büro Thurnher wie gesagt zeitnah mit Dank zur Kenntnis genommen hatte. Doch damit nicht genug, trat Thurnher vier Tage später in seiner „Seuchenkolumne“ nach, blies die harmlose Twitter-Diskussion zu einem „kleinen Shitstorm“ auf und schrieb über uns:

„Die wollten die Person Chomsky, den linken Kritiker, als ganze aus dem Diskurs eliminieren und auch jene Person, die es wagt, ihn zu zitieren, nämlich mich. Als es eskalierte, und ich bereits die Vorstufe zum Holocaustleugner und Neonazi erreicht hatte (sie nannten mich ‚Verteidiger von Holocaustleugner-Verstehern‘), schritt mein Anwalt ein.“

Eine maßlos übertriebene Darstellung und obendrein falsch zitiert. Außerdem war die Angelegenheit, anders als Thurnher andeutet, zum Zeitpunkt des anwaltlichen Einschreitens längst erledigt. Wir haben darauf nicht reagiert. Zum einen ist der FALTER nicht unser Gegner und zum anderen nicht wichtig genug. Armin Thurnher ist zwar weltberühmt in Wien, aber unsere Leser stammen zu 80 Prozent aus Deutschland, und unter diesen dürfte er den Wenigsten ein Begriff sein.

Mena-Watch, die angeblich jüdische Organisation

Damit sollte die Geschichte auch schon zu Ende sein. Ein Sturm im Wasserglas der Wiener Twitteria, dachte ich. Schwamm drüber.

Falsch gedacht. Offenbar hatten wir mit unserem zarten Widerspruch Thurnhers Eitelkeit so tief verletzt, dass er noch immer glaubt, sich an uns abarbeiten zu müssen. Und so wurden wir vor zwei Tagen erneut Gegenstand einer seiner „Seuchenkolumnen“, in der er uns kaum verklausuliert als Hetzer verunglimpfte. Ob als rechte oder linke Hetzer, erschließt sich mir selbst nach mehrmaligem Lesen nicht, spielt aber auch keine Rolle.

Jedenfalls erklärte er uns darin flugs zur „jüdischen Organisation“, was naturgemäß nicht unwidersprochen blieb, worauf eine Entschuldigung folgte, die eine Frechheit für sich darstellt:

„Herr T. zieht das von MENA als unpassend empfunden Adjektiv ‚jüdisch‘ mit dem Ausdruck des Bedauerns zurück. Er wollte niemandes Gefühle kränken, vor allem nicht in einem Land, dessen Antisemitismus als geschichtsnotorisch bezeichnet werden kann.“

Das Adjektiv war nicht unpassend, sondern schlicht und einfach falsch. Niemand von uns wäre gekränkt, hielte man ihn für jüdisch. Niemand von uns empfände es als Makel, für eine jüdische Organisation zu arbeiten. Herr T. hat also in keiner Weise unsere Gefühle gekränkt. Aber indem er eine Zugehörigkeit unterstellt, die nicht existiert, verfällt Thurnher in einen Reflex, den ich schon hundertfach erlebt habe: Sobald man sich nicht dem allgemein üblichen Israel-Bashing anschließt, wird man gefragt, ob man selber Jude sei.

Wenn ich von Frankreich oder Italien schwärme – auch das tue ich oft und aus guten Gründen – hat mich noch nie jemand gefragt, ob meine Großmutter aus Nizza oder Mailand stammt. Beide Länder kann man lieben, und alle anderen wahrscheinlich auch, ohne dass andere sich das nur durch Abstammung erklären können. Die Verbundenheit versteht sogar, wer die Zuneigung nicht teilt. Auch die Politik spielt keine Rolle. Mitterand oder Macron, Berlusconi, Renzi oder Conte, niemand fragt danach.

Nur bei Israel ist das anders. Obwohl man die wissenschaftliche und wirtschaftliche Entwicklung dieses Landes gar nicht hoch genug wertschätzen kann. Obwohl dieses Land in der Terrorbekämpfung eine wesentliche Rolle für unsere eigene Sicherheit spielt. Obwohl dieses Land trotz der ständigen Bedrohung von außen, trotz der Kriege und trotz oder wegen einer notorisch uneinigen, multikulturellen Bevölkerung bis heute ein demokratischer Rechtsstaat ist, bei allen Schwierigkeiten und Problemen, die es hat. Was allein schon an ein Wunder grenzt. Ich möchte nicht wissen, wie Österreich aussähe, würde es seit Jahren Raketen von Slowenien auf Kärnten regnen.

Und dennoch: Sobald man über Israel spricht, spielt es plötzlich eine Rolle, wer dort die Regierung führt, oder wer die eigene Großmutter war. Schon wenn man das legitime Sicherheitsbedürfnis des jüdischen Staates anerkennt, wird man schneller zum Bibi-Fanboy gemacht oder zum Juden ehrenhalber ernannt, als man „Granatapfel“ sagen kann.

Von Menschen am anderen Rand des politischen Spektrums bin ich solche Zwangsverortungen gewöhnt, da ist dann auch schnell von der „Ostküste“ die Rede oder vom „internationalen Finanzkapital“. Von Thurnher, dem niemand Antisemitismus oder Israelhass unterstellt, kam das dann doch irgendwie überraschend.

Eine Einladung

Doch Thurnher duldet keine Widerrede und legte einen Tag später in der nächsten Kolumne noch einmal nach. Er suhlt sich in einer eingebildeten Opferrolle, schüttet kübelweise Spott über uns aus und ist sich selbst für pubertäre Wortwitze mit dem Namen unseres Vereins nicht zu schade. Hier die Passagen, die ich am aufschlussreichsten finde:

“[M]ein Fehler bestand darin, statt ‚pro-jüdisch‘ oder vielleicht korrekt ‚Israel-solidarisch‘ einfach ‚jüdisch‘ gesagt zu haben. Da fanden die Damen und Herren von der und um die Thurnherbeobachtungsorganisation wieder eine Gelegenheit, loszulegen. Noch immer verfolgt sie mein Chomsky-Zitat von damals, und so müssen sie mich verfolgen für jetzt und alle Zeit. … Es ist halt ziemlich sicher lächerlich, wenn ein paar Leute die Gelegenheit nützen möchten, alte Rechnungen mit mir zu begleichen oder neue aufzumachen, für Bestellungen, die ich nicht getätigt habe. Mit vermeintlicher Religion oder ‚Religion‘ hat das nichts zu tun.” 

Bei dem Wortungetüm „pro-jüdisch“ muss ich immer schlucken. Erstens weiß ich nicht, was das sein soll, zweitens geht es nur darum, nicht das Gegenteil zu sein.

Dennoch muss ich Sie enttäuschen, Herr Thurnher. Ich schätze Sie, aber ich halte Sie nicht für relevant genug, um Sie zu beobachten. Niemand von uns hat irgendwelche Rechnungen mit Ihnen zu begleichen. Niemand von uns hält Sie für einen Antisemiten oder Israelhasser. Sogar, dass Sie das Klischee vom – ich verkneife mir das Adjektiv, Sie wissen ohnehin selbst, worauf Sie hier anspielen – ewig Rächenden bemühen, lässt mich ungerührt. Seien Sie beruhigt: niemand wird Sie bis ins siebte Glied verfolgen. Was das Ganze mit Religion zu tun haben soll, ob mit oder ohne Anführungszeichen, weiß ich freilich auch nicht.

Aber ich würde gern einmal mit Ihnen über israelbezogenen Antisemitismus und dessen Folgen reden. Darüber, was man damit anrichtet, wenn man antisemitische Klischees bedient, weil man sich selbst immun gegenüber Antisemitismus-Vorwürfen wähnt. Und wenn dann noch Zeit bleibt, gerne noch über Eitelkeit und Selbstgerechtigkeit, über den Unterschied zwischen Widerspruch und Verfolgung und den über Debatte und Verhöhnung.

Unser Büro verfügt über ausreichend Platz, ist gut gelüftet und klimatisiert. Wenn Sie mit dem Holzhacken fertig sind, sind Sie herzlich eingeladen.

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