Ich habe sechs Wochen in Nablus, Ramallah, Hebron sowie dem Gazastreifen verbracht. Weitere sechs Wochen verbrachte ich in Amman, das zu 60 Prozent palästinensisch ist. Ich habe an diesen Orten wunderbare Menschen kennengelernt und eine Großzügigkeit und Gastfreundschaft erlebt, wie an keinem anderen Ort, den ich besucht habe. Mit manchen werde ich für den Rest meines Lebens befreundet sein. Doch fast ausnahmslos haben ihre Ansichten über den Konflikt, über Israel und das jüdische Volk im Allgemeinen mich zutiefst enttäuscht.
Vor allem lehnen selbst die freundlichsten und gebildetsten, wohlhabenden Palästinenser Israel zu 100 Prozent ab – nicht nur die Besetzung von Ostjerusalem und des Westjordanlands. Sie werden sich mit einer Zweistaatenlosung schlicht nicht zufrieden geben – ihnen geht es um eine Rückkehr an die Heimatsorte ihrer Vorfahren in Ramla, Jaffa, Haifa oder anderswo innerhalb der israelischen Grenzen von 1948 bzw. innerhalb der Grünen Linie. Und sie wollen, dass die Israelis, die dort jetzt leben, diese Orte wieder verlassen. Von Koexistenz sprechen sie fast nie; sie sprechen von Vertreibung, von der Rücknahme ‚ihres’ Landes. (…)
Das andere Problem besteht darin, dass ein Großteil der Palästinenser, selbst in der gebildeten Oberschicht, glaubt, dass der muslimische Terrorismus in Wirklichkeit von westlichen Regierungen eingefädelt wird, um Muslime in einem schlechten Licht erscheinen zu lassen. Ich weiß, dass das absurd klingt. Es handelt sich um eine Verschwörungstheorie, die komisch wirkt, bis einem deren ständige Wiederholung bewusst wird. Unzählige Palästinenser erzählten mir, die Messerattacken 2015 und 2016 in Israel würden vorgetäuscht oder der ISIS sei von der CIA geschaffen worden. Nach dem ISIS-Anschlag im November 2015 in Paris beispielsweise, bei dem 150 Menschen getötet wurden, bemerkte ein Kollege – ein gebildeter 27jähriger libanesisch-palästinensischer Journalist – nebenbei, das Massaker sei ‚wahrscheinlich’ vom Mossad ausgeführt worden. (…)
Inzwischen bin ich wieder in den USA und lebe im Norden Chicagos in einer liberalen Enklave. Die meisten Menschen hier – einschließlich der Juden – unterstützen das palästinensische Bestreben nach einem Staat, das inzwischen Jahr für Jahr in internationalen Organisationen wie der UNO an Schwung gewinnt. Ich bin mir nicht mehr sicher, ob das eine gute Idee ist. Wie sicher kann man sein, dass die Palästinenser, sollten sie ihren eigenen Staat im Westjordanland erhalten, nicht die Hamas wählen würden, eine islamistische Organisation, die sich der Zerstörung Israels verschrieben hat? Genau das ist 2006 bei freien Wahlen im Gazastreifen passiert. Zum Glück ist der Gazastreifen relativ isoliert und seine geographische Lage sowie die von Israel und Ägypten verhängte Blockade begrenzen den Schaden, den die Gruppe anrichten kann. Dass die Hamas auch das Westjordanland und halb Jerusalem kontrolliert, kann Israel aber offensichtlich nicht wollen. Das käme einem Selbstmord gleich. Und man kann von keinem Land erwarten, dass es in seine eigene Zerstörung einwilligt.“ (Hunter Stuart: „A View From The Frontlines“)