Zwei im europäischen Exil lebende Aktivisten aus dem Gazastreifen sprachen mit Mena-Watch über die Unterdrückung durch die Hamas und das Einsetzen der Hilfsgüter als Waffe für die Terrorgruppe.
Mohammed Altlooli
Mohammed Hadaids Widerstand gegen die Hamas entstand nicht aus politischen Überzeugungen, sondern wurde ihm durch eine persönliche Tragödie tief und gewaltsam eingeprägt. Der Wendepunkt kam 2007, als sein Vater nach dem Putsch der Hamas gegen die Palästinische Autonomiebehörde in Gaza von den Sicherheitskräften der Terrorgruppe verhaftet wurde. Es gab keine formelle Anklage, kein ordentliches Verfahren – nur einen Befehl zur »Abschreckung«. »Sie nahmen meinen Vater ohne Erklärung mit. Tage später kam er als gebrochener Mann zu uns zurück – verbrannt, verletzt, kaum in der Lage zu sprechen.«
Was sein Vater erlitten hatte, war nicht nur Folter, sondern eine systematische Verletzung von Körper und Seele. »Er erzählte uns, dass sie ihn auf eine glühende Metallplatte gelegt haben – sie nennen das ›Zingo Jahannam‹. Sie gossen Chili-Extrakt in seine Augen. Sie rammten ihm Zahnstocher in die Nasenlöcher. Aber das Schlimmste war, dass sie ihm giftiges Gas in den Enddarm injizierten, was schließlich zu Nierenversagen und Krebsgeschwüren führte.«
Nach zwei Jahren qualvoller Leiden starb sein Vater im Exil in Ägypten, ohne jemals wieder sein Zuhause gesehen zu haben.
Der mittlerweile in Belgien lebende Hadaid wuchs in einem Viertel auf, das unter der Herrschaft der Hamas stand. So wurden über zwanzig junge Männer aus seiner Gegend ohne Gerichtsverfahren hingerichtet. »Ich erinnere mich an einen Mann, dem die Hamas fälschlicherweise Sicherheit versprach. Als er aus dem Haus trat, erschossen sie ihn vor den Augen seiner Familie. Ein anderer wurde am Vorabend des Eid [islamisches Zuckerfest, Anm. Mena-Watch] getötet. Einem dritten wurden mit einem Elektrowerkzeug die Füße durchbohrt.«
Aber die Hamas begnügte sich nicht nur mit Angst als Druckmittel, sie machte auch den Hunger zu einem Kontrollinstrument: »Die Hilfe wurde zur Währung. Nicht zum Überleben, sondern zur Unterwerfung. Die Hamas versorgt ihre Verbündeten und lässt den Rest leiden. Was sie Widerstand nennen, ist ein Schwarzmarktregime, das von bewaffneten Männern geführt wird.«
In Gaza und darüber hinaus
Digitale Plattformen wurden für Hadaid der einzige Ausweg, seine Kritik zu äußern: »Ich nutze Facebook trotz der Einschränkungen. Jeden Tag schicken mir Menschen aus Gaza Nachrichten, in denen sie mir ihre Unterstützung bekunden – und ihre Angst. Sie kennen die Wahrheit, aber sie haben keinen Schutz.«
Doch sein Mut hat einen Preis: »Die schlimmsten Angriffe kommen nicht aus Gaza, sondern von sogenannten Aktivisten im Ausland, die ein komfortables Leben führen und uns belehren. Sie wollen Slogans. Wir wollen Brot.«
In einer Botschaft an die protestierenden Bewohner des Gazastreifens schrieb Hadaid: »Eure Worte sind stärker als ihre Kugeln. Sprecht. Habt keine Angst. Diejenigen, die euch heute zum Schweigen bringen, werden morgen allein dastehen. Das Großartige an dieser Revolution ist, dass sie nicht bewaffnet ist, sondern aus Worten, Gedichten, Nadeln und Fäden, aus Ärzten, Lehrern und Kreide besteht.«
Dem Westen und der dortigen »Palästina-Solidarität« richtet er aus: »Wenn ihr Palästina mit der Hamas verwechselt, verratet ihr uns doppelt – einmal, indem ihr schweigend zuseht, und einmal, indem ihr unsere Unterdrücker für uns sprechen lässt.«
Ein Wendepunkt
Auf die Frage nach den Anschlägen vom 7. Oktober 2023 antwortete Omar al-Rayyes ohne zu zögern: »Was passiert ist, war nicht im Mindesten so etwas wie Widerstand. Es war dokumentierter Terrorismus, begangen von einer Gruppe, die fälschlicherweise behauptet, uns zu vertreten. Sie hat die Hoffnung ermordet, bevor sie Menschen ermordet hat.«
Der in Amsterdam im Exil Lebende betrachtet das Massaker nicht als politischen Vorfall, sondern als moralischen Zusammenbruch, als einen Moment, der die palästinensische Sache um Jahrzehnte zurückgeworfen hat: »Die Hamas von heute hat nichts mit Befreiung zu tun. Sie ist ein Regime, das auf Angst, Unterdrückung und einer Wirtschaft des Todes aufgebaut ist«, sagt Omar, der die Hamas mit historischen Bewegungen vergleicht, die sich nach ihrer Machtübernahme in Unterdrückungsregime verwandelten, wobei er auf autoritäre Transformationen in Osteuropa als warnende Beispiele verweist.
Verrat durch Medien
Laut Omar hat der Verrat durch die angeblich aufseiten der Palästinenser stehenden Medien maßgeblich zur Verzerrung der Darstellung beigetragen: »Al Jazeera fungiert als Sprachrohr der Hamas und die westlichen Medien plappern deren Narrativ ungeprüft nach. Ich habe Hunger und Angst im Gazastreifen gesehen, aber wenn ich den Fernseher einschaltete, hörte ich nur von Würde und Widerstand.« Der Aktivist vergleicht dies mit der langsamen Reaktion der Medien auf die Gräueltaten in Bosnien, wo politische Interessen das menschliche Leid überschatteten.
Es reiche jedoch nicht, zu fliehen, man müsse »auch seinen Geist dekolonisieren«, ist Omar überzeugt, der betont, wie viele Palästinenser in Europa aus Angst oder aufgrund romantisierter Erinnerungen immer noch an alten Narrativen festhalten. Dabei zieht er Parallelen zu spanischen und ostdeutschen Exilanten, die Jahre brauchten, um sich öffentlich gegen die Regime zu stellen, vor denen sie geflohen waren.
An die Menschen im Gazastreifen hat er die Botschaft, dass sie ein Recht auf Hilfe haben, »die die Hamas umgeht. Ihr habt ein Recht darauf, euch nicht instrumentalisieren zu lassen. Wir haben zu lange geschwiegen. Fürchtet euch nicht vor der Wahrheit, denn diese Angst hat diesen Albtraum erst möglich gemacht.«
Sich selbst sieht Omar al-Rayyes nicht nur als Flüchtling oder politischen Dissidenten, sondern als Teil einer neuen palästinensischen Generation, die sich nicht durch Gewalt definieren lassen will: als Stimme, die Freiheit fordert von der inneren Tyrannei der Hamas. »Ich spreche, weil ich leben und nicht im Namen einer missbrauchten Sache sterben will.«