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Der rätselhafte Sinneswandel eines deutschen Iran-Experten

Fathollah-Nejad auf einer Veranstaltung der IPPNW gegen Iransanktionen im Jahr 2013
Fathollah-Nejad auf einer Veranstaltung der IPPNW gegen Iransanktionen im Jahr 2013 (Quelle: Johannes Schildknecht/IPPNW, CC BY-NC 2.0)

So begrüßenswert der Sinneswandel des Iranexperten Ali Fathollah-Nejad ist, so interessant wäre es zu erfahren, wo er eigentlich herrührt.

Es ist jedes Mal erfreulich, wenn politische Analysten Fehleinschätzungen, denen sie früher anhingen, korrigieren, ja sogar so etwas wie die Seiten wechseln. Weniger erfreulich allerdings ist, wenn sie zwar ihre Einstellungen ändern, dies aber nirgends kundtun, sondern so, als sei nichts geschehen, weiter ihre Texte publizieren.

Man erwartet von ihnen ja keineswegs reumütige Eingeständnisse oder ähnliches, nur irgendwo den Hinweis, sie hätten sich in der Vergangenheit eben getäuscht. Umso mehr gilt dies, wenn sie sich damals wie heute extrem kämpferisch geben und mit Vorwürfen und Unterstellungen nie gegeizt haben.

Ein solcher Fall ist der iranischstämmige Ali Fathollah-Nejad, der angesichts der brutalen Massaker, die im Iran an Demonstranten begangen wurden, gerade wieder als Gastkommentator in deutschen Medien auftritt. Jeden Satz, den er jüngst im Tagesspiegel schrieb, möchte man unterstreichen:

Entscheidend ist (…) das, dass die Iraner weiterhin zuerst ihre eigenen Herrscher für ihr wirtschaftliches Elend verantwortlich machen – und nicht Kräfte von außen. Die US-Sanktionen haben zwar den iranischen Haushalt hart getroffen, die wirtschaftliche Situation der Durchschnittsiraner hat sich verschlechtert. Die Ursache für die schlechte wirtschaftliche Lage vieler Iraner oder für landesweite Proteste sind die Sanktionen allerdings nicht – anders als die Funktionäre in Teheran, Washington, aber auch Europa behaupten.

Es besteht kein Zweifel daran, dass der Aufstand der Iraner einen Wendepunkt für die Islamische Republik darstellt. Denn das Regime bleibt weiterhin reformunfähig und ist nicht in der Lage (oder besser: willens), die wirtschaftliche und politische Misere des Landes zu lindern. Der nächste Ausbruch des Volkszorns bleibt somit nur eine Frage der Zeit.

Nicht zuletzt war das Schweigen Europas ob des Blutbads in Iran ohrenbetäubend. Man versteckte sich hinter diplomatischen Floskeln und sandte somit ein verheerendes Signal.

Wusste man nicht, dass im Iran noch während der Proteste ein nationaler Blutversorgungsnotstand ausgerufen wurde? Hatte man die alarmierenden Berichte von Amnesty nicht wahrgenommen? Man hätte zu seinen Werten stehen müssen – und die Brutalität des iranischen Staates verurteilen und mit Konsequenzen drohen müssen. Dafür ist es aber noch nicht zu spät.

Späte Erkenntnis

„Danke für diese treffenden Zeilen“, möchte man dem Autor zurufen, in denen die Verantwortlichen beim Namen genannt werden und auch gerade für europäische Leser klargestellt wird, dass dieses Regime in Teheran reformunfähig ist.

Nur, wann ist Herrn Fathollah-Nejad diese Erkenntnis eigentlich gekommen? Vor zehn Jahren, als im Iran Massen gegen das auch damals schon reformunfähige Regime demonstrierten, sprach er noch ganz anders.

Damals saß er im wissenschaftlichen Beirat von CASMII, der Campaign Against Sanctions and Military Intervention in Iran, einer Organisation, der extreme Nähe zum Regime in Teheran nachgesagt wurde, und von der kritische Töne gegen genau dieses Regime nie zu hören waren. Im Gegenteil zielte die Arbeit von CASMII darauf ab, gegen vermeintliche Kriegstreiber zu mobilisieren und sich für die Aufhebung der Sanktionen gegen den Iran stark zu machen. All dies geschah nicht nur vor dem Hintergrund der Proteste im Iran, sondern unter Präsidentschaft von Barack Obama, dem Kriegstreiberei beim besten Willen kaum vorzuwerfen war.

Deutsche Friedensbewegung

Fathollah-Nejad suchte damals den Anschluss an Personen wie Udo Steinbach, Joachim Guilliard, Norman Paech und anderen Prominenten aus der deutschen Friedensbewegung, für die – egal was im Nahen Osten geschieht – die Schuldigen immer in Washington und Tel Aviv sitzen, und die im Gegenzug die Nähe zu Diktatoren wie früher Saddam Hussein und heute Bashar al-Assad förmlich suchen.

In Publikationen wie der Jungen Welt, dem Neuen Deutschland und auf unzähligen einschlägigen Seiten der deutschen Friedensbewegung wurde Fathollah-Nejad damals nicht müde, das nur allzu bekannte Credo dieser Szene zu wiederholen: Die USA wollen Krieg, die Souveränität des Iran sei um jeden Preis zu schützen, und alle, die Regime Change befürworteten, seien Kriegstreiber. Das klang dann unter anderem so:

Es gilt nun das Thema Iran auf ihre Fahnen (der Friedensbewegung Anm. d. Verf.) zu schreiben, auf die humanitär katastrophalen und politisch kontraproduktiven Konsequenzen hinzuweisen und stärker als bislang das unmissverständliche Nein Berlins gegenüber einen amerikanischen – und israelischen – Angriff einzufordern.

Um dies erreichen zu können, muss die Friedensbewegung auch in Erwägung ziehen, breitere Bündnisse einzugehen. Die deutsche Wirtschaft ist bekanntermaßen gegen den Bush-hörigen Iran-Kurs des Kanzleramtes und könnte zumindest als Gesprächspartner hinsichtlich des gemeinsamen Zieles einer Verhinderung eines Krieges und der Kehrtwende in der Iran-Politik in Frage kommen.

Das Thema Sanktionen muss indes im Gleichschritt mit der Kriegsgefahr thematisiert werden, denn diese bleiben nicht folgenlos für die normale Bevölkerung des Iran und taugen kaum als Mittel, um „iranisches Einlenken“ zu erwirken, sondern dienen eher dazu, die Kriegsoption als letztes Mittel heraufzubeschwören.

Nur vorbedingungslose Verhandlungen können einen Erfolg der friedlichen Beilegung des Konflikts zeitigen. Dies wird ebenfalls von führenden Politikberatern des Landes, wie Christoph Bertram und Volker Perthes, eingefordert. Diese ebenfalls in ein gemeinsames Boot zu holen kann sicherlich nicht schaden, sondern kann potentiell viele Menschenleben retten.

Steile Karriere

CASMII und ihrem Gründer, Abbas Edalat, hat diese Position langfristig wenig geholfen. Letzterer wurde, sehr zum Erstaunen vieler Iraner, 2018 in Teheran verhaftet. Schließlich, so stellte selbst Trita Parsi vom National Iranian American Council (NIAC), einer Organisation, die alles andere als oppositionell ist, fest, dass, „NIAC sich sowohl gegen den Krieg aussprach als auch die iranische Regierung kritisierte, während Edalat und CASMII nie ein kritisches Wort über die Regierung verloren.“

Damit bestätigt Patsi rückblickend nur, was CASMII von Kritikern immer vorgeworfen wurde, aber auch dies scheint inzwischen für das Regime in Teheran kein Argument mehr zu sein, jemanden wie Edalat nicht zu verhaften. Insgesamt wurde es um diese Szene nach 2015 still, schließlich hatten sich die USA und die Europäer auf den Atomdeal mit dem Iran geeinigt. Wer angesichts der Entwicklungen unter Obama noch von Kriegstreiberei gegen den Iran schwadronierte, hatte offenbar jeden Bezug zur Realität verloren.

Fathollah-Nejad legte derweil eine recht steile und beeindruckende akademische Karriere hin und publiziert heute nicht mehr im friedensbewegten Samisdat, sondern in weit seriöseren Medien. Schon nach den Protesten im Iran 2018 trat er dabei erstmalig als scharfer Kritiker des Regimes auf, dem er vorwarf, nicht reformfähig zu sein. Das war, liest man ältere Beiträge von ihm, eine ziemliche radikale Abkehr von früheren Positionen. Leider findet sich nur nirgends ein Text, in dem er erklärt, wann und wie es zu dem Wandel kam.

Woher der Sinneswandel?

So wie er vor einer Dekade als Kronzeuge der Friedensbewegung gegen die USA, Israel und iranische Oppositionelle, die nicht an den Dialog mit dem Regime glaubten, gehandelt wurde, geriert er sich heute als iranischstämmiger Experte gegen dasselbe Regime, das seine Organisation CASMII früher so vehement in Schutz nahm.

Inzwischen gibt er sogar selbst zu, dass das ganze Gerede von Regime Change, den die USA angeblich planten, nur Propaganda des Regimes in Teheran gewesen sei, und dass selbst Donald Trump keineswegs einen Sturz des Regimes im Sinne habe:

Gerade unter Trump besitzt „Regime Change“, also die vielbeschworene Abwicklung des iranischen Regimes, keine Priorität in der amerikanischen Außenpolitik. Dass Khamenei und seine Gefolgsleute dennoch nicht müde werden, die US-Feindschaft gegen ihr Regime zu bemühen, liegt weniger an der faktischen Korrektheit der These als am erstrebten Machterhalt der iranischen Elite.

Genauso war es aber auch 2009, als iranische Oppositionelle die amerikanische und die europäischen Regierungen anflehten, sich ihrer Sache doch anzunehmen und Druck auf das Regime auszuüben. Damals verhielt Obama sich so, wie es Europa heute weiterhin tut: Das Schweigen war ohrenbetäubend und signalisierte den Machthabern in Teheran, dass, sollten sie die Proteste gewaltsam niederschlagen, sie mit Sanktionen nicht zu rechnen hätten.

Wer damals die USA und die EU für diese Haltung kritisierte und außerdem auf die existentielle Bedrohung hinwies, die von der iranischen Atombombe für den Staat Israel ausging, galt Fathollah-Nejad und seinen Mitkämpfern als neokonservativer Kriegstreiber und ähnliches. Ob er schon damals wusste, dass in Wirklichkeit Regime Change keine Priorität hatte?

Man wüsste gerne, wann und wieso der Sinneswandel stattfand, wird es allerdings wohl kaum erfahren. Zu begrüßen ist er auf jeden Fall, vor allem wenn man sieht, wie verbissen die ehemaligen Weggefährten Fathollah-Nejads an ihrem damaligen Kurs auch heute noch festhalten.

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