IDF-Stabschef Halevi und IDF-Sprecher Daniel Hagari präsentierten eine Dokumentation jenes Tunnels, in dem die hingerichteten Geiseln unter unmenschlichen Bedingungen gefangen gehalten wurden.
Den israelischen Kabinettsministern wurden am Sonntagabend Videoaufnahmen des Tunnels in Rafah gezeigt, in dem die sechs ermordeten Geiseln festgehalten worden waren, die sie als »magenumdrehend» und »entsetzlich« bezeichneten. Der Stabschef der Israelischen Verteidigungsstreitkräfte (IDF), Herzi Halevi, präsentierte die visuelle Dokumentation auf Wunsch von Verteidigungsminister Yoav Gallant, wobei den Minister nicht die Leichen der Geiseln, sondern die unmenschlichen Bedingungen gezeigt wurden, unter denen ihre Hamas-Entführer sie zu leben gezwungen hatten.
Die Leichen von Hersh Goldberg-Polin (23), Eden Yerushalmi (24), Almog Sarusi (25), Alexander Lobanov (32), Carmel Gat (40) und Ori Danino (25) wurden am 31. August in einem ca. zwanzig Meter tiefen Tunnel gefunden. Die Körper wiesen Schusswunden im Kopf und an anderen Stellen auf, was darauf hinweist, dass sie von ihren Geiselnehmern exekutiert worden waren.
Die Minister waren schockiert, als sie das Video des Tunnels mit einer Breite von achtzig Zentimetern sahen. Zu sehen sind zerrissene Kleidung und Blutflecken, an den Orten, wo die Geiseln erschossen wurden. »Es war vollkommen ruhig in dem Raum. Es war eines der schwierigsten Videos, das ich je gesehen habe. Es dreht einem den Magen um. Der Tunnel ist eng und niedrig, man kann sich entweder hinlegen oder hinsetzen oder auf den Knien verharren. Man kann nicht mehr als eineinhalb Matratzen quer hineinlegen. Man kann davon ausgehen, dass sie entweder abwechselnd oder entlang der gesamten Länge des Tunnels geschlafen haben«, so eines der Kabinettsmitglieder.
»In der Dokumentation sieht man eine Menge Trinkwasser und Proteinriegel, einige Kleidungsstücke, ein Schachbrett oder Backgammon und Notizbücher. Wenn man das Video sieht und weiß, dass sie so elf Monate überlebt haben, versteht man erst richtig, was sie durchgemacht haben. Niemand bleibt gleichgültig«, fügte einer der Minister hinzu und nannte die Hamas-Terroristen »Monster« und »Bestien in Menschengestalt«. Premierminister Benjamin Netanjahu sagte zu den Ministern: »Wenn Sie dieses Video sehen, schärft es Ihr Verständnis für das Böse, mit dem wir es zu tun haben. Sie sind der leibhaftige Satan.«
Unter einem Kinderzimmer
Am Dienstag machte Israel das Video dann der Öffentlichkeit zugänglich, das IDF-Sprecher Daniel Hagari zeigt, wie er den Tunnel betritt, in dem die israelischen Geiseln festgehalten und ermordet worden waren, und der etwa 700 Meter von jenem Tunnel entfernt liegt, aus dem Ende August der beduinische Israeli Farhan al-Qadi gerettet werden konnte.
Hagari stellte fest, dass sich der Tunneleingang in einem Kinderzimmer befand, mit Bildern von Disney-Figuren wie Schneewittchen und Mickey Mouse an den Wänden. In diesem Raum gab es einen »doppelten Boden«, den die Hamas-Terroristen benutzten, um den Tunnelschacht zu verbergen. »Alles, was sie tun mussten, war, den Boden [von unten] aufzubrechen und dann durch das Kinderzimmer nach draußen auf die Straße zu gehen, um wieder in den Tunnel zu gelangen. So hat die Hamas diesen Tunnel gebaut.«
Der IDF-Sprecher kletterte den zwanzig Meter tiefen Schacht hinunter, um zum Tunnel selbst zu gelangen, der »so niedrig ist, dass man darin nicht aufrecht stehen kann«, wie er beschrieb. Nach etwa hundertzwanzig Metern endet der Tunnel an einer Eisentür, hinter der die Geiseln festgehalten und ermordet wurden. »Wir wissen, dass zwischen zwei und sechs Terroristen mit den Geiseln hier waren«, sagte Hagari. »Wir sammeln hier alles für die Spurensicherung und den Geheimdienst.« Im Tunnel wurden Matratzen, Flaschen voller Urin und ein Eimer, der offenbar als Behelfstoilette diente, gefunden wie auch Proteinriegel, Magazine für AK-47-Sturmgewehre und Koranausgaben.
»Hier im Tunnel waren Frauen«, sagte Hagari, hob die Kleidung der Frauen hoch und zeigte auf einen großen Blutfleck auf dem Boden. »Das ist ihr Blut. Das ist das Blut von Hersh, Eden, Carmel, Ori, Almog und Alex. Sie waren Helden, und sie waren hier in diesem Tunnel. Ob für Wochen oder Tage, das werden wir herausfinden. Aber sie waren hier in diesem Tunnel unter entsetzlichen Bedingungen, wo es keine Luft zum Atmen gibt, wo man nicht stehen kann. Und sie haben überlebt, aber sie wurden von Terroristen ermordet.«
Israel untersuche das Material und verfolge jede Spur, »um die Terroristen aufzuspüren, die für diesen abscheulichen Mord verantwortlich sind.« Es gebe immer noch 101 Geiseln in den Händen der Hamas, »einige von ihnen sind noch am Leben, unter denselben Bedingungen, in Tunneln wie diesem in Gaza. Und wir müssen alles tun, was wir können, um sie lebend nach Hause zu bringen. Warum ermorden sie unschuldige Menschen?«, fragte er. »Frauen, junge Männer. Sie waren alle auf dem Musikfestival, und Carmel war in ihrem Haus im Kibbuz. Warum sie in einem Tunnel ermorden, nachdem sie elf Monate unter schrecklichen Bedingungen überlebt haben? Wir werden weiterhin alles tun, um alle Geiseln nach Hause zu bringen«, schwor Hagari abschließend.
Untersuchung eingeleitet
Der israelische TV-Sender Kanal 12 veröffentlichte am Sonntag weitere Ergebnisse der ersten Ermittlungen der IDF zu den Geiselmorden, darunter Beweise dafür, dass sich einige der Entführten wehrten und gegen ihre Entführer kämpften.
Die Untersuchung ergab, dass die Geiseln in dem Tunnel kaum stehen konnten und wegen fehlender Belüftungsöffnungen Schwierigkeiten beim Atmen hatten. In dem Gewölbe war es nicht nur stickig, sondern auch heiß, und es gab weder Toiletten noch Duschen. Die Gefangenen litten unter Hunger und drastischem Gewichtsverlust, wobei Eden Yerushalmi zum Zeitpunkt ihres Todes nur noch 36 Kilo wog. Die wenigen gefundenen Proteinriegel reichten nicht aus, um den Hunger zu stillen.
Gefundene Notizbücher, von den IDF eingesammelt, wurden den Familien übergeben. Zugleich wurde eine Untersuchung eingeleitet, nachdem die Namen der sechs getöteten Geiseln bekannt geworden waren, bevor ihre Familien auf offiziellem Weg benachrichtigt werden konnten. Die Nachricht von der Bergung der Leichen verbreitete sich bereits Stunden vor ihrer Rückführung nach Israel im Internet, sodass die Familien über die sozialen Medien und nicht von der Armee vom Tod ihrer Angehörigen erfuhren. Um den Gerüchten Einhalt zu gebieten, sah sich die Armee an diesem Tag gezwungen, eine Sondermeldung zu veröffentlichen, ohne darin jedoch die Identität der Entführten zu bestätigen.