Wegen des Ausnahmezustands durch die Corona-Epidemie verschob der Justizminister Netanjahus erste Anhörung vor Gericht – unnötig und durchsichtig, meinen Kritiker.
Yonah Jeremy Bob, The Jerusalem Post
Der Prozess gegen Premierminister Benjamin Netanjahu wurde am Sonntag um 10 Wochen auf den 24. Mai verschoben, nachdem der amtierende Justizminister Amir Ohana mitten in der Nacht den Befehl erteilt hatte, alle Gerichtsaktivitäten in einen „außerordentlichen Ausnahmezustand“ zu versetzen.
Sowohl Ohanas Notstandsbefehl als auch der Umstand, dass damit Netanjahus Prozess verzögert wird, lösten sowohl in politischen als auch in juristischen Kreisen rege Kontroversen aus – nicht zuletzt, weil die Knesset die Order nicht absegnete, und Ohana nur über die begrenzten Befugnisse des Ministers in einer Übergangsregierung verfügt.
Wie das politische Establishment gespalten war zwischen denen, die der Justiz in der aktuellen Situation einen Vertrauensvorschuss gewährten, und denen, die Netanjahu beschuldigten, die Coronavirus-Krise zu nutzen, um seinen Prozess zu verzögern, war auch das juristische Establishment ähnlich gespalten.
So schickte die Präsidentin des Obersten Gerichtshofs, Esther Hayut, einen Brief an die verschiedenen Gerichtsbezirke, in dem sie zu signalisieren schien, dass sie zwar die Unabhängigkeit des Gerichts verteidige, aber dennoch der Meinung sei, dass die Botschaft der Stunde darin bestehen müsse, sich den Sorgen um die öffentliche Sicherheit zu beugen.
Hayut bezog sich nicht ausdrücklich auf den Netanjahu-Prozess, aber sie schrieb, dass die Gerichte das Land unterstützen müssten, wenn ein Ausnahmezustand herrscht, wie er durch die Coronavirus-Pandemie hervorgerufen wurde.
Der Oberste Gerichtshof machte auch keine Anstalten, die neue Politik des Shin Bet (der israelischen Sicherheitsbehörde) infrage zu stellen, die es diesem erlaubt, Bürger zu überwachen, die mit dem Coronavirus infiziert sind. (…)
Doch führende Persönlichkeiten aus Juristenkreisen, darunter ehemalige Richter des Obersten Gerichtshofs und Spitzenanwälte der Regierung, haben Netanjahu scharf kritisiert. Viele, die anonym bleiben wollten, um die staatliche Justiz nicht zu untergraben, sagten gegenüber der Jerusalem Post, dass es, selbst wenn die Coronavirus-Krise so schlimm sei wie dargestellt, keinen Grund gebe, die erste Anhörung nicht am Dienstag abzuhalten.
Hochrangige Kritiker wiesen darauf hin, dass die erste Anhörung mit weniger als 10 Personen im Raum hätte stattfinden können. Da für diese technische Anhörung zur Beilegung von Beweisstreitigkeiten und zur Festlegung eines Verhandlungsterminplans keine Zeugen erforderlich seien und der Oberste Gerichtshof immer noch Anhörungen abhält, gebe es keine Grundlage dafür, eine für das Land so wichtige Anhörung zu verzögern. (…)
Kritisiert wurde darüber hinaus, dass die beiden Schritte – die neuen Überwachungsmaßnahmen durch den Shin Bet und die Schließung eines Großteils der Gerichte – gemeinsam angeordnet worden seien, um der Verschiebung von Netanjahus Prozess einen Anschein von Legitimität zu verleihen.
Außerdem sagten die Kritiker, dass der Shin-Bet gar nicht um die die neuen Befugnisse gebeten habe, die ihm gewährt wurden. Netanjahu habe offenbar Druck gemacht, um möglichst extreme Notmaßnahmen zu ermöglichen.
Was the delay of Netanyahu’s trial cynical or legal? – analysis