In europäischen Großstädten wie Berlin und London demonstrieren Muslime – aber nicht etwa gegen die Morde von Paris oder Nizza.
Johannes Bole, Welt am Sonntag
Im Jahr 2019 listete Welt am Sonntag alle islamistischen Terroranschläge seit „9/11“, dem Anschlag auf das World Trade Center 2001, auf – zumindest jene mit mehr als zwölf Todesopfern. Die Einschränkung war nötig, weil wir die eng gedruckte Liste sonst nicht auf den dafür vorgesehenen vier Seiten unterbekommen hätten. Es war die Zeit um Ostern, an dem Fest hatten Islamisten mindestens 253 Menschen in Colombo ermordet.
Der Politikwissenschaftler Herfried Münkler schrieb uns ein Vorwort zur Liste. Er lobte die „mürrische Indifferenz“ des Westens, als er unsere routinierte Reaktion auf den Terror beschrieb. Durch sie werde der Raum geschaffen für „strategisches Gegenhandeln“. Sein Plädoyer für Unaufgeregtheit bleibt mir im Gedächtnis. In diesen Tagen frage ich mich, ob wir womöglich unsere Indifferenz etwas über-, unser „strategisches Gegenhandeln“ dagegen deutlich untertreiben.
Weil zum Beispiel der Mörder, der bei Paris den Lehrer Samuel Paty geköpft hat, nicht nur in Idlib gefeiert wird. Sondern auch in Berlin, in London, selbst in Hildesheim, womöglich sogar mehr als in vielen arabischen Ländern. In der deutschen Hauptstadt sind nach den jüngsten Morden weit über 100 Menschen auf die Straße gegangen – um gegen die von ihnen empfundene Schmähung des Propheten zu demonstrieren: „Allahu akbar“.
Ähnliche Szenen spielten sich in Großbritannien ab. In den sozialen Netzen verbreiteten Nutzer in und aus Europa das Schlagwort „StopMacron“, als Protest gegen den französischen Präsidenten, der die islamistischen Morde verurteilt hat. Unter ihnen sind viele, die auf den ersten Blick integriert erscheinen. Unterstützung für oder wenigstens Verharmlosung von islamistischen Terroristen ist in Europa normal geworden.
(Aus dem Kommentar „Die Verharmlosung von islamistischen Terroristen ist normal geworden“, der in der Welt am Sonntag erschienen ist.)