Sehr geehrte Presse-Redaktion,
eine Reportage über die Lage, in der sich Anhänger der islamistischen Muslimbruderschaft befinden, seit die Gruppe von ägyptischen Behörden zur terroristischen Organisation erklärt wurde, könnte eine sehr interessante Geschichte sein. Leider lässt es Regina Strassegger in ihrer Reportage über „Kairo am Rand des Bürgerkriegs“ im aktuellen Spectrum an jeglicher kritischen Distanz missen. Ihre Charakterisierung der Freiheits- und Gerechtigkeitspartei und der Zeit, in der die Muslimbrüder die politische Macht in ihren Händen hielten, hat mehr mit fantasievoller Dichtung zu tun, als mit einer auch nur annähernd zutreffenden Beschreibung der Realität. Von den hartnäckigen Versuchen der Muslimbruderschaft, Ägypten in einen ihren totalitären Vorstellungen entsprechenden islamischen Staat zu verwandeln, ist in dem gesamten Text so wenig die Rede, wie von den Methoden, derer sich die Islamisten zu diesem Zweck bedienten – der gegen jeden Widerstand durchgepeitschten Verfassung, der per präsidentiellem Dekret verfügten Aufhebung jeglicher Gewaltenteilung, der Verschleppung politischer Oppositioneller in von Muslimbrüdern betriebene Folterkeller, der Säuberung der Medien von nicht genehmen Journalisten etc. Stattdessen behauptet Strassegger wider jegliche Evidenz, es sei darum gegangen, „demokratische Kontrollinstanzen (zu) forcieren“, und verharmlost die unter der Präsidentschaft Mohammed Mursis angestrebte Islamisierung Ägyptens zum Versuch, „den islamischen Charakter unter Wahrung der Minderheitenrechte moderat voranzutreiben.“ Als propagandistische Selbstdarstellung der Muslimbrüder würde man sich über derartige Apologetik nicht wundern; darüber, sie in den Seiten des Spectrum zu finden, hingegen sehr wohl.
Mit freundlichen Grüßen,
Mag. Florian Markl
Medienbeobachtungsstelle Naher Osten (MENA)