Von Stefan Frank
Im Internet kursieren zahlreiche gefälschte Zitate, die Zionisten zugeschrieben werden. Um eine solche Fälschung handelte es sich offenbar auch bei einem vermeintlichen Zitat von David Ben-Gurion, das die britische Tageszeitung Independent letzte Woche druckte.
Die Überschrift des Artikels fasst das Argument zusammen: „Professor, der Israel ein ‚Apartheidregime’ nannte, verteidigt UN-Bericht – Israelis hätten denselben Begriff benutzt“. Bei dem genannten UN-Bericht handelt es sich um jenes Dokument, das von einer nur aus arabischen Diktaturen bestehenden Kommission erstellt und wegen seines hetzerischen Charakters von UNO-Generalsekretär Antonió Guterres zurückgewiesen wurde. Der Professor ist der langjährige UN-Mitarbeiter und bekannte Extremist Richard Falk. Einst schrieb Falk, Ajatollah Khomeinis Gefolgsleute seien „moderate, progressive Individuen“. Die Hamas vergleicht er mit der französischen Résistance und fordert mehr Verständnis für ihre Methoden. Auf seinem Blog veröffentlicht er schon mal Karikaturen, die so antisemitisch sind, dass sich sogar die in dieser Hinsicht nicht als extrem kritisch bekannte UN-Hochkommissarin für Menschenrechte, Navi Pillay, distanziert. Und der frühere UN-Generalsekretär Ban Ki-moon konnte nicht umhin, Falk für seine Verschwörungstheorien über den Elften September zu rügen.
Nun also versucht der bei der UNO diskreditierte Professor seinen ebenso diskreditierten Bericht zu rechtfertigen, indem er als Zeugen einen der bekanntesten Zionisten anruft – einen, der sich gegen die Vereinnahmung durch Falk nicht wehren kann, weil er tot ist: den Staatsgründer und ersten israelischen Ministerpräsidenten David Ben-Gurion. Der fragliche Absatz in dem Artikel des Independent lautet so:
„Professor Falk wies zudem darauf hin, dass der Begriff ‚Apartheid‘ von einigen hochrangigen israelischen Politikern verwendet wurde, um die Situation mit dem palästinensischen Volk zu beschreiben, unter ihnen der erste Ministerpräsident des Landes, David Ben-Gurion. Er zitierte eine Radioansprache Ben-Gurions, in der dieser gesagt habe: ‚Israel würde rasch ein Apartheidstaat werden’, wenn es ‚die Gebiete und ihre arabische Bevölkerung nicht so schnell wie möglich loswerde’.“
Der Artikel zog schnell Kreise und beschäftigte bald Leute, die es genauer wissen wollen und sich nicht mit Hörensagen zufriedengeben. „Hat der Independent gerade ein gefälschtes Ben-Gurion-Zitat veröffentlicht?“, fragte Adam Levick von der Medienbeobachtungsgruppe UK Media Watch. „Dieses angebliche Zitat war uns vorher noch nie begegnet“, schreibt Levick, „und im Internet gibt es nicht viele Bezüge darauf – was überraschend scheint, wenn man bedenkt, wie wertvoll eine solche Anklage für Antizionisten wäre.“
Levicks Recherche ergab, dass es offenbar nur eine einzige Quelle für das Zitat gibt, ein Buch des israelischen Journalisten Hirsh Goodman aus dem Jahr 2005. Dieser zitiert darin aus dem Gedächtnis eine Radioansprache, die er am 10. oder 11. Juni 1967, also am fünften oder sechsten Tag des Sechs-Tage-Kriegs gehört haben will.
Niemand kennt das Zitat
Levick kontaktierte etliche Personen, von denen er annahm, dass sie das Zitat kennen würden, falls es authentisch ist. Der israelische Historiker Benny Morris schrieb ihm, er habe davon noch nie gehört. Der Nahosthistoriker Martin Kramer nannte das Zitat „dubios“. Er merkte an, dass Ben-Gurion in den Tagen nach dem Krieg Hebron besucht und gesagt habe, die „alte jüdische Stadt“ sei „Jerusalems Zwillingsschwester“; sie müsse „gehalten und schnell besiedelt“ werden. Ben-Gurion, so Kramer, habe zwar nicht die gesamte Westbank behalten wollen, sei aber auch nicht bereit gewesen, alles zurückzugeben. Es sei daher „extrem unwahrscheinlich“, dass er jemals eine Meinung über die Gebiete ausgedrückt habe. Was die Analogie zum „Apartheidstaat“ betrifft, so tauche diese nirgendwo in Ben-Gurions Kriegstagebuch oder irgendwo in der Forschungsliteratur über die letzten Jahre Ben-Gurions auf, so Kramer. Auch bei einem Archivar des Ben-Gurion-Archivs und bei der Ben-Gurion-Biographin Anita Shapira fragte Levick nach. Auch sie meldeten starke Zweifel an der Echtheit des Zitats an. Schließlich fragte er Hirsh Goodman, der das Zitat ja offenbar in die Welt gesetzt hatte. Er hielt an seiner Darstellung fest, konnte aber keine weiteren Angaben zu der fraglichen Radiosendung machen.
Inzwischen hat der Independent den Artikel geändert und weist nun darauf hin, dass das Zitat auf Falks Aussage beruht und von anderen in Zweifel gezogen wird.
Der große Zitateschwindel
Seit uralten Zeiten wird das „Gerücht über die Juden“ (Adorno) auch mithilfe von erfundenen oder verfälschten Äußerungen verbreitet, deren Urheberschaft irgendeinem einflussreichen Juden der Vergangenheit oder Gegenwart unterstellt wird. Das bekannteste Beispiel sind die „Protokolle der Weisen von Zion“, ein aus dem zaristischen Russland des 19. Jahrhunderts stammendes Buch, das nur aus fiktionalen Äußerungen besteht, die eine Versammlung von jüdischen „Weisen“ zu Papier gebracht haben soll und in denen es darum geht, mit welch finsteren Mitteln diese Juden sich die Herrschaft über die Welt anzueignen gedenken. Diese Fiktion wird von Antisemiten als echtes historisches Dokument dargestellt.
Vorher schon gab es die gefälschten Talmud-Zitate: Antisemiten verbreiteten etwa, der Talmud verhöhne die Christen, behaupte, dass Nichtjuden keine Menschen seien und erlaube es Juden, Nichtjuden zu bestehlen oder sie anzulügen. Es lässt sich leicht sehen, warum es aus Sicht der Judenhasser verlockend war, mit gefälschten Talmud-Zitaten zu operieren. Es ist ihnen immer daran gelegen, das den Juden unterstellte Böse nicht einfach als moralischen Verfall oder das böse Tun einzelner Juden darzustellen, sondern als etwas, das zentral koordiniert und von langer Hand geplant ist; eine Verschwörung eben. Den Talmud stellten sie als eine Art Geheimwissen und Leitfaden zur Unterdrückung von Nichtjuden dar: Weiß man, was dort steht, wird klar, warum die Juden so und so handeln.
Heutzutage operieren Antisemiten ganz ähnlich, wenn sie etwa behaupten, die Juden hätten eine „ethnische Säuberung“ Palästinas geplant und durchgeführt. Karl Pfeifer hat vor einiger Zeit auf Mena Watch ein Beispiel aus der BDS-Propaganda angeführt, das in eben diesen Zusammenhang gehört – auch dabei ging es um ein gefälschtes Ben-Gurion-Zitat.
Wiener Anti-Israel-Aktivisten zitierten damals Ben-Gurion mit den Worten: „Wir müssen die Araber vertreiben und ihren Platz einnehmen.“ In Wahrheit, so Pfeifer, stamme die „inkriminierte Passage (…) aus einem Brief Ben-Gurions an seinen Sohn Amos aus dem Jahr 1937. Tatsächlich lautet die englische Übersetzung: ‚We do not wish, we do not need to expel the Arabs and take their place. All our aspirations are built upon the assumption – proven throughout all our activity in the Land – that there is enough room in the country for ourselves and the Arabs.‘“
Ben-Gurion, so Pfeifer, „hatte also das genaue Gegenteil dessen geschrieben, was die Wiener BDS-Aktivisten ihm in den Mund legten: Statt der Aufforderung zu ‚ethnischen Säuberungen‘ handelte es sich um einen Appell zum Zusammenleben mit den Arabern. Das inkriminierende angebliche Zitat ist eine schlichte Erfindung, darin aber typisch für den Wahrheitsgehalt dieser Art von Propaganda.“
Man erkennt eine perfide Doppelstrategie: Unter den lebenden Juden finden Antisemiten immer ein paar, die das sagen, was sie hören wollen – etwas, das sich mit einem Satz wiedergeben lässt: Israel ist schuldig. Toten Juden und Zionisten werden einfach Äußerungen unterstellt, die diese nie gemacht haben (CAMERA hat ein ganzes Bündel davon dokumentiert).
Wie kann man reagieren?
Mena Watch sprach mit Adam Levick und fragte ihn nach den Lehren aus dem jüngsten Fall von Zitateschwindel. „Dagegen, dass antizionistische Aktivisten Zitate erfinden, sie falsch zuordnen oder aus dem Zusammenhang reißen, lässt sich nicht viel tun“, sagt er. Journalisten und Redakteure von respektierten Nachrichtenorganen hätten die professionelle Verantwortung, zu prüfen, ob ein Zitat echt sei, bevor sie die Veröffentlichung erlauben – das gelte sowohl für Nachrichtenartikel als auch für Kommentare. Im „Zeitalter der sozialen Medien“ sei dies „wichtiger denn je“.
„Oftmals ist es für einen Redakteur unglaublich schwierig, die Echtheit eines Zitats nachzuprüfen“, räumt Levick ein. Im Falle der angeblichen Äußerung von Ben-Gurion, die von Falk im Independent zitiert wurde, hätten die Redakteure jedoch nicht lange recherchieren müssen, so Levick, „um herauszufinden, dass die Quelle des Zitats das Buch eines israelischen Journalisten namens Hirsh Goodman ist, der es auf seine Erinnerung an eine Radiosendung stützte, die 35 Jahre zurücklag. An diesem Punkt hätten sie hinreichende Zweifel haben sollen, um zu erwägen, das Zitat aus dem Artikel herauszulassen. Hätten sie jedoch das Zitat weiter untersuchen wollen, dann hätten sie anerkannte Historiker und den offiziellen Ben-Gurion-Archivar kontaktieren können. Rasch wäre herausgekommen, dass Goodman womöglich die einzige Person ist, die diese Behauptung über Ben-Gurion macht und dass die Chance, dass das Zitat wahrheitsgemäß ist, gegen null geht.“
Was tun, wenn in einem Artikel, Kommentar oder Interview mit einem verdächtig scheinenden Zitat argumentiert wird? Levick empfiehlt zunächst eine Google-Suche: „Dann sieht man, wie oft es zitiert wird und, was noch wichtiger ist, ob es von zuverlässigen Nachrichtenquellen und in der wissenschaftlichen Forschung zitiert wird oder nur von Aktivisten oder Extremisten. Zeigen sich Warnzeichen, kontaktiert man, wenn möglich, Primärquellen, Historiker oder andere Experten auf dem Gebiet. Im Zeitalter von ‚Fake News’ erscheint es vernünftig, von den Medien zu erwarten, dass sie diese Art der elementaren Faktenprüfung betreiben.“