Sein Vater ermordete Israelis – und wird dafür in Gaza verehrt

Terrorist des Palästinensischen Islamischen Dschihad bei einer Trauerfeier für seinen verstorbenen Anführer in Gaza. (© imago images/ZUMA Wire)
Terrorist des Palästinensischen Islamischen Dschihad bei einer Trauerfeier für seinen verstorbenen Anführer in Gaza. (© imago images/ZUMA Wire)

Ein geflohener Journalist beschreibt die Last, im Gazastreifen als Sohn eines hochanerkannten Terroristen aufzuwachsen.

Jehad al-Saftawi, The New York Review of Books

Mein Name ist Jehad al-Saftawi. Ich bin Fotograf und Journalist. Jahrelang klammerte ich mich an die Idee, aus meinem Land in die westliche Welt zu fliehen. Es gibt keine freie Presse in Gaza. Die meisten Nachrichtenkanäle gehören zu politischen Parteien, die Gewalt anwenden, um die Opposition zum Schweigen zu bringen. (…)

Ich komme von einem Ort, der von Waffen überquillt, an dem mein Vater leicht eine Pistole kaufen und sie in die Luft schießen kann, während er durch die Straßen unserer Stadt fährt. Ein Ort, an dem Sie in jeder Nacht von einer Bombe geweckt werden könnten, die im Haus Ihres Nachbarn explodiert und dort von einem Familienmitglied aufbewahrt wurde, das einer bewaffneten Fraktion angehörte. (…)

Ich bin der zweite Sohn einer Familie von fünf Kindern. Unser Vater, Imad al-Saftawi, wuchs in einer ultrakonservativen Mittelschichtfamilie auf, die stark von der Muslimbruderschaft beeinflusst war. Als Erwachsener verbrachte er viele Jahre damit, am bewaffneten Kampf teilzunehmen, sowohl innerhalb als auch außerhalb des Rahmens der bewaffneten palästinensischen Organisationen. Er hielt das für gerechtfertigten Widerstand gegen die israelische Besatzung. Als Mitglied einer der führenden bewaffneten Gruppierungen in Gaza, des Islamischen Dschihad, tötete er unschuldige Israelis.

Ich verurteile diese Handlungen, obwohl viele in Gaza meinen Vater als Helden betrachten, einen, der tapfere Operationen zum Wohle seines Landes und seiner Religion durchgeführt hat. (…)

Im Jahr 2000, als ich neun Jahre alt war, wurde unser Vater von der israelischen Armee am Grenzübergang Rafah zwischen dem Gaza-Streifen und Ägypten verhaftet. Er verbrachte die nächsten achtzehn Jahre im Gefängnis. Sein Einfluss auf unsere Familie ließ nicht nach: Vom Gefängnis aus rief er häufig bei uns zu Hause an und zwang uns, seinen Kindern, religiöse und soziale Restriktionen auf und drohte uns im Falle der Nichteinhaltung. (…)

Meine Geschwister und ich lebten zu dieser Zeit bei der Familie meines Vaters und spürten ständig die Last seines Rufs als Held und die Missbilligung seiner Community, dass wir seinem Beispiel nicht folgten. Imad al-Saftawi wurde im Dezember 2018 freigelassen und dient als Brigadegeneral im Innenministerium der Hamas.

Zu diesem Zeitpunkt war es mir jedoch schon gelungen, zu entkommen. Im Jahr 2016, als ich 25 Jahre alt war, gelang es mir, den Gazastreifen in Richtung New York zu verlassen, und bald darauf begann ich in Berkeley/Kalifornien mit dem Asylverfahren. Jetzt bin ich siebentausend Meilen von ihm entfernt, von Gaza, und ich lebe als freier Mann.

(Aus dem Bericht „The Gaza I Grew Up In“, der im New York Review of Books erschienen ist. Übersetzung von Florian Markl.)

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